„Charlotte, Du glaubst es ja nicht.“
Bei diesen Worten wusste ich, jetzt ist an Arbeiten nicht mehr zu denken. Ich sitze ohnehin schon frustriert in meinem Lieblingscafé und sinne vergeblich darüber nach, welche Geschichte ich schreiben könnte. Doch die Leere in meinem Kopf steht mir dabei massiv im Wege.
„Marie Delphine, Du bist ja emotional ganz aufgelöst. Setz dich und berichte.“, lud Charlotte zum Verweilen und zur Seelenentblößung ein.
Ich tue also das, was ich in solchen Situationen immer tue,
ich stelle meine eigenen Überlegungen ein und höre ungefragt zu. Manchmal entsteht ja in mir eine Idee beim heimlichen Zuhören anderer Gespräche. Nach fünf Minuten stand unweigerlich für mich das Genre wenigstens fest. Krimi – Mord – an jungen geschwätzigen Frauen.
Diese beiden, die sich überlaut über Unsinniges unterhalten, sind prädestiniert für meine neue Geschichte. Würden sie etwas langsamer sprechen, könnte ich locker ihre aberwitzigen Dialoge mitschreiben. Beide sprechen gleichzeitig und scheinen sich dennoch, auch zuzuhören. Ein Phänomen, was jungen Frauen gegeben ist und nur Gott weiß warum. Aber man muss ihm zubilligen, auch einmal einen schlechten Tag zu haben. Mit Erstaunen stelle ich fest, sie reden, ohne dabei sichtbar zu atmen. Ich vermute, sie haben Kiemen. Anders ist das nicht zu erklären. Ein Mann wäre längst schon erstickt. Nicht so diese Atem- und sinnlosen Mädels, die, wenn es nach substanziellem Inhalt gehen würde, wohl für immer verstummen müssten. Sie plappern einfach so drauf los. Es scheint nicht wichtig was, sondern das man, beziehungsweise Frau, was sagt. Die anfängliche Empörung von Marie Delphine, liegt, wie ich aus dem Wortschwall entnehme, in einem abgebrochenen Fingernagel begründet, der beim Einsteigen in den öffentlichen Nachverkehr geschehen ist. Für sie ist damit die Bahn zu einem Sicherheitsrisiko verkommen und nun leidet sie lautstark und öffentlich. Charlotte treibt unterdessen ein anderes Problem. Es geht um ihre Schwangerschaft, die noch nicht ausgebrochen ist. Hauptgrund dafür ist ein fehlender Mann, der sich ihr erbarmt.
Aus Spaß überlege ich, ob ich mich anbieten soll.
Ich verwerfe jedoch den Gedanken, denn ich befürchte zu Recht, währenddessen wird sie weitersprechen und ich müsste sie, aus Selbstschutz, im Dienste der Menschheit, erwürgen. Überhaupt, wie kann man ein Kind nach einem Fisch benennen? Irgendwann wird wohl Helga Zitteraal und Greta Kofferfisch modern. Überhaupt, was sollen diese Doppelvornamen? Wenn Eltern sich nicht auf einen Namen verständigen können, dann sollten sie es überhaupt lassen Kinder in die Welt zu setzen. Wenn dann noch ein Doppelnachname hinzukommt, wird es ohnehin unübersichtlich. Greta Kofferfisch Müller-Elmau. Trifft die dann auf Johannes Mario Knapp-Lohse und die Heiraten, dann heißt die Frau: Greta Kofferfisch Müller-Elmau – Knapp-Lohse. Jetzt könnte natürlich Herr Knapp-Lohse blaublütigen Geschlechts sein und darauf bestehen, diesen Titel im Namen zu führen. Dann würde aus: Greta Kofferfisch Müller-Elmau – Knapp-Lohse: Gräfin Greta Kofferfisch Müller-Elmau – Knapp-Lohse. Nicht auszudenken wenn die Frau gebildet ist und sich noch einen Doktorgrad einfängt oder Professorin wird. Die darf sie natürlich auch im Namen tragen. Sie muss dann nur damit leben, dass ihr Personalausweis in DIN a 4 Format ausgestellt wird.
Mit solchen Gedanken muss ich mich beschäftigen, weil diese Frauen mir intelligente Gedanken nicht ermöglichen. Sie sind eine Störung in der Lust zum Denken.
Seit inzwischen einer Stunde werde ich von ihren Nichtigkeiten beschallt und meine Mordgelüste steigen minütlich an. Leider kennt unsere Justiz den „mord aus berechtigten Gründen“ nicht an. Ein fataler Irrtum ihrerseits. Ich nenne so etwas ein judikatives Unvermögen. Die haben die Wirklichkeit nicht im Blick oder die Verantwortlichen besuchen keine Cafés auf. Für mich würde es jedoch eindeutig unter Notwehr fallen. Warum wurde Dummschwätzerei nicht in die Genfer Konventionen aufgenommen. Dabei ist doch jegliche Folter zu verurteilen. Aber sinnentleertes Geschwätz, so wie auch Fahrstuhlmusik in Hotels, gehört verboten, bestraft und ausgemerzt.
Ich bin eigentlich ein sehr friedlicher Mensch. Ich entferne Nichteinmal Spinnweben aus meiner Wohnung. Respekt und ein geselliges Miteinander sind mir wichtig. Und, Spinnen sprechen nicht. Das macht sie wertvoller als das, was da neben mir sitzt und über stunden seinen Milchkaffee verdunsten lässt. Denn Sprechen und Trinken verträgt sich nicht miteinander. Es geht eben immer nur das eine. Und auf das Labern können sie nicht verzichten, wohl aus angst, sie könnten vergessen, was sie sagen wollten. Wobei sie ja eben nur reden, aber nichts sagen.
Eigentlich verbrauchen sie nur unnötigerweise Luft aus der Atmosphäre. Warum darf man ihnen nicht ungestraft die Stimmbänder durchschneiden, im Sinne der Menschlichkeit? Oder sie wenigstens auf ihr dummdreistes Geschwätz hinweisen? Da steht mir leider meine Erziehung massiv im Wege. Äußerlich wirke ich eben sehr freundlich und ausgeglichen. Doch innen, in den Untiefen meiner dunklen Gedankenwelt, entstehen mörderische Szenarien, diesen beiden Sprechmüllproduzierenden ein humanes Ende zu bereiten. Ich überlege schon ernsthaft, mich oberkörperfrei auszukleiden, damit sie angewidert zahlen und gehen. Aber die sind so sehr in ihr Nichtssagen vertieft, dass sie es vermutlich nicht mitbekommen und ich erleide eine Lungenentzündung, ohne das sich dies für mich dann auszahlt. Wenn wenigstens eine mal dazu entschließen könnte und auf Toilette zu gehen, damit ich einen Moment der Entspannung habe. Aber bei meinem Glück gehen die dann gemeinsam, um den Gesprächsfaden nicht zu verlieren. Das wäre natürlich für mich die Chance, ihnen laktosefreies Rattengift in den Milchkaffee einzurühren. Leider habe ich von der wirkungsvollen Medizin nichts dabei. Darüber ärgere ich mich einigermaßen und beschimpfe mich, schlecht vorbereitet zu sein.
Endlich, sie stehen auf und die Kellnerin eilt schon herbei, um sich ihr Gehalt zu verdienen. Ich atme auf, als sie außerhalb der Hörweite meiner Ohren waren. Ich genieße die Ruhe, die mir ihr Abgang gebracht hat. Jetzt endlich, ich kann mich auf meine Geschichte konzentrieren, die zu schreiben, ich ja extra hergekommen bin. Ich höre in meinen Kopf hinein, ob sich da inzwischen eine Idee breitgemacht hat. Mit leeren Händen kehre ich zurück. Was ist denn heute nur los. Jetzt ist es ruhig und dennoch herrscht nach wie vor geistige Ebbe bei mir. Es ist die Stille, die unheimliche Ruhe, die mich nun stört.
Endlich, ich bin schon am Verzweifeln, als sich zwei junge, modisch sportliche Männer, sich ihres makellosen muskulösen Körpers durchaus bewusst sind, wofür ich sie selbstverständlich hasse, sich an den freien Tisch setzen. Doch statt sich gegenseitig die Bewunderung für den Six-, Eight- oder Tenpack auszusprechen, schweigen sie sich nur an.
Sie tun dies so, dass ich nicht anders kann, es als persönlichen Affront gegen mich anzusehen. Aber nicht mit mir, ihr aufgepumpten Muskel- und Samenstränge. Mit einem aufmunternden und animierenden Ausdruck im Gesicht, das ihnen die Erlaubnis zum Sprechen erteilt, schaue ich sie an. Doch die beiden starren nur stumm vor sich hin. Sie sehen nicht einmal her zu mir. Ich räuspere mich überlaut, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Doch diese beiden Hirnis glotzen nur blöde in die Gegend.
Ein solches Verhalten kann schon einmal einen in sich ruhenden, geistig überlegten und im menschlichen Umgang miteinander versierten Mann, auf die Palme des Zorns bringen. Nichts ist schlimmer, als nicht wahrgenommen zu werden. Das gilt am Zebrastreifen ebenso, wie an einem benachbarten Caféhaustisch. Einer alleine, der mag ja noch schweigen, weil er nicht weiß, was er sich erzählen soll, was er nicht schon weiß. Aber zwei junge Typen, die, so wie sie aussehen, wohl Studenten sind, müssen doch reden miteinander. Sonst könnten sie ja zwei getrennte Tische besetzen. Dieses demonstrative Schweigen ist geradezu eine Provokation, die ihresgleichen sucht.
Aber ich möchte nicht ungerecht erscheinen und gleich den Stab der Verachtung über ihnen brechen. Vielleicht sind es ja Mönche inkognito, denen ein Schweigegelübde obliegt? Aber dann haben sie auch arm zu sein und den teuren Kaffee nicht zu bestellen. Außer, es sind Bettelmönche. Zum Glück habe ich immer meinen kleinen Tischpappaufsteller dabei, wo ausdrücklich gebeten wird, vom Betteln und Haussieren abzusehen.
„Versucht es gar nicht erst. Bei mir beißt ihr auf Granit.“, rufe ich ihnen zu und weise auf das Schild vor mir hin.
Doch selbst auf mein freundliches Ansprechen reagieren diese Deppen nicht. Wenn sie wenigstens Kaugummi kauen würden. Dann hätte man wenigstens den optischen Eindruck als würden sie sprechen. Das zumindest würde mich einigermaßen beruhigen.
„Darf ich bitte den Aschenbecher haben?“, starte ich einen erneuten Versuch, die Saubande zum Sprechen zu bewegen.
Wortlos reicht einer dieser Typen mir ihn herüber. Jetzt steht so ein stinkiges Ding auf meinem Tisch. Und das, obwohl ich Nichtraucher bin. Aber das scheint die nicht zu interessieren. Kein „Bitte“ oder wenigstens ein warnendes „Rauchen ist ungesund“ kommt ihnen über die Lippen. Schweigend kann man ja auch demonstrieren, wie man andere Menschen hasst. So jung und schon so menschenverachtend. Am liebsten hätte ich ihnen eine Standpauke über das menschliche Miteinander gehalten. Aber die sind es nicht einmal wert, dass man ihnen gute Ratschläge kostenlos zur Verfügung stellt. Ich bin weiß Gott ein friedfertiger Mensch, aber die zwei da am Nebentisch, sind kurz davor ernsthaft Ärger zu bekommen. Wenn ich nicht so einen ausgleichenden Charakter hätte, stünde ernsthaft eine Prügelei im Raum. Noch halte ich mich zurück, aber wenn die noch länger nichts sagen, dann erzähl ich denen mal was über Anstand und soziales Verhalten. Asoziales Pack! Doch weil ich der Klügere bin, wie eine Selbstauskunft ergeben hat, gebe ich nach. Ich gebe nur nach, das ist keine Kapitulation. Ich nehme meinen Milchkaffee, meinen Laptop und ziehe mich in den Innenraum des Cafés zurück, wo mich eine inspirierende wohlige Akustik erwartet. Doch kaum nehme ich Platz, dröhnen dummdreiste Wortfetzen und ein infantiles Hintergrundgedudel aus den Lautsprechern, an mein empfindliches Ohr. Höhepunkt der Unmöglichkeit eines intensiven und produktiven Nachdenkens, ist das überflüssige Erscheinen einer lästigen Bedienung.
„Möchten Sie noch was?“
„Ja Ruhe!“, brülle ich sie an und verlasse die Stätte der Gastunfreundlichkeit.
Warum machen es die Menschen einem hochsensiblen Künstler es so schwer, sich in wohltemperierter Akustik sich frei entfalten zu können? Fortan werde ich nur noch im Schoße meiner Wohnung schreiben. Denn eines ist mir überdeutlich klar geworden: Die Menschheit ist noch nicht reif für mich. Und so bin ich gezwungen zu vereinsamen. Für die Menschen. Für die Kunst.
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