Das Teile-und-herrsche-Prinzip gibt es ja schon seit den alten Römern („Divide et Impera“). Es ist ein Herrschaftsinstrument, was darauf basiert, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen, damit diese mit sich selbst beschäftigt sind und sich nicht um eine für sie schlechte Regierung und diejenigen, die davon profitieren, kümmern. Das wurde ja auch in den letzten Jahrzehnten recht unverhohlen praktiziert, zuvorderst war natürlich immer wieder die BILD mit dabei, die sich perverserweise auch immer noch als Medium geriert, das die Interessen der „kleinen Leute“ vertritt: Alt gegen Jung, Mann gegen Frau, Arbeitende gegen Arbeitslose, Christen gegen Muslime, Deutsche gegen Ausländer, Fleischesser gegen Vegetarier, Heterosexuelle gegen Homosexuelle, Autofahrer gegen Radfahrer – und jetzt kommt auch noch Geimpfte gegen Ungeimpfte dazu.
Und viele ganz normale Menschen haben dieses Herrschaftsprinzip auch schon für sich ziemlich stark verinnerlicht, was man immer wieder bei Diskussionen beobachten kann. Beispielsweise zum Thema Klimaschutz. Da sagen die Kreuzfahrer dann „Aber die Vielflieger …“, die Vielflieger sagen „Aber die SUV-Fahrer …“, die SUV-Fahrer sagen „Aber die Fleischesser …“ und die Fleischesser sagen „Aber die Kreuzfahrer …“. Hauptsache, man findet jemanden, den man als „die anderen“ markieren kann (s. dazu auch hier), um so vom eigentlichen Thema abzulenken und Schuldzuweisungen auszusprechen.
Das Ganze ist aber auch gerade jetzt echt zu praktisch, da auf diese Weise von unseren Herrschenden schön vom aktuellen Politikversagen (s. hier) abgelenkt werden kann – wenn es denn überhaupt Versagen ist und nicht gezielte Ausnutzung dieser Pandemie, um ein marodes Wirtschaftssystem ein bisschen mehr über die Zeit zu retten (s. hier) und dabei noch ordentlich Profite für sich und seine Klientel abzuschöpfen.
Ich habe auch selten erlebt, dass ein Thema so sehr polarisiert und Diskussionen darüber so schnell ins Persönliche und Aggressive abdriften, wie das zurzeit beim Umgang mit der Covid-19-Pandemie der Fall ist. Die Fronten sind da komplett verhärtet, es gibt fast nur noch Schwarz und Weiß, moderate Töne werden immer seltener.
Das Resultat davon: Sachliche Kritik an der Corona-Politik ist kaum noch möglich, man wird dann sofort mit der AfD und anderen rechten Schwurbelspinnern in einen Topf geworfen, auf der anderen Seite sind diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, auch oft diffamierend, nutzen (zuvor schon von Rechtsaußen erprobtes) Diskreditierungsvokabular und suhlen sich in ihrer Hybris, als Einzige zu wissen, wo es langgeht. YouTube-Uni schlägt etablierte Wissenschaft.
Meine persönlichen Erfahrungen dazu: Ich habe mich in den letzten knapp zwei Jahren auch mit einigen Menschen überworfen, weil diese partout keine Kritik an der Corona-Politik duldeten und dann sehr schnell persönlich anfeindend wurden. Und das habe ich mittlerweile schon von vielen Menschen, sowohl von Geimpften als auch Nichtgeimpften, gehört, dass es ihnen ähnlich ergangen wäre.
Es zieht sich also ein tiefer Riss durch unsere Gesellschaft – wir erleben Divide et Impera in Vollendung.
Was nun noch hinzukommt: In der letzten Zeit stoße ich zunehmend auf Äußerungen, die diese Spalterei gutheißen und für richtig befinden. Hier mal ein paar Beispiele:
Das hab ich nun alles nicht von rechten oder konservativen Quellen, sondern das kommt aus dem eher links-progressiven Lager, wie zum Beispiel von der antifaschistischen Facebook-Seite von Frank Stollberg, einem Kabarettisten aus dem öffentlich-rechlichen Rundfunk und Fernsehen sowie einem Journalisten der Zeit.
Ich bin ja auch der Ansicht, dass man mit Rechtsradikalen nicht diskutieren kann und muss (s. dazu auch hier und hier), würde aber dennoch nie den Begriff „Spalten“ verwenden, um das zu kennzeichnen. Das wäre m. E. allein schon aufgrund des damit zusammenhängenden Framings fatal. „Ausgrenzung“ wäre hier der passendere Begriff.
Wenn eine Gesellschaft jemanden ausgrenzt aufgrund von beispielsweise kriminellem oder menschenverachtendem Verhalten, dann ist das ein recht normaler Vorgang, und diese Ausgrenzung findet ja mitunter auch durch räumliche Separation statt, wenn jemand ins Gefängnis kommt. Da wird dann eben sanktioniert, wenn jemand sich nicht dem gesellschaftlichen Konsens entsprechend verhält. Eine Gesellschaft, die Personen, die anderen schaden, ausgrenzt, ist zumindest nach unserem Gesellschaftsverständnis gesund und etwas ganz Normales.
Eine gespaltene Gesellschaft hingegen ist weder gesund noch normal, sondern zeigt auf, dass es einen gesellschaftlichen Konsens nicht mehr gibt und sich zwei (oder mehr) Seiten mit unterschiedlichen Wertvorstellungen gleichberechtigt und unversöhnlich gegenüberstehen. Das ist das Resultat vom permanenten Divide et Impera – und zurzeit gerade in besonders starkem Maße zu erleben. Zumal ja dieser Zustand, wie oben gezeigt, auch noch als erstrebenswert herbeigeredet werden soll.
Und was nun noch hinzukommt: Auch wenn die Nichtgeimpften häufig zu rechten und rechtsextremen politischen Ansichten tendieren (s. hier), so sind die doch beileibe nicht alle so drauf, sondern haben durchaus unterschiedliche Gründe, sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen zu wollen. Es sind also nicht alles Menschen, die grundsätzlich gegen einen zivilisierten, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaftskonsens verstoßen, sodass hier eine Ausgrenzung schon nicht angebracht wäre, eine Spaltung erst recht nicht.
Zumal die Spaltung unserer Gesellschaft ja ohnehin schon sehr weit vorangeschritten ist, und zwar noch mal massiv in den letzten knapp zwei Pandemiejahren. Wer sich davon überzeuge möchte, der braucht nur in die Kommentarspalten von Medien und bei Beiträgen in sozialen Medien zu dem Thema zu schauen: Da stehen sich meistens diejenigen, die Covid-19-Impfungen befürworten, und diejenigen, die das ablehnen, unversöhnlich gegenüber. Und der Diskurs ist nicht nur total verhärtet, sondern es wird mittlerweile beleidigt, wo es nur geht, und sogar Gewalt wird ganz offen befürwortet.
Letzteres habe ich gerade erlebt, als auf der Facebook-Seite Mensch und Politik heute ein Artikel vom Tagesspiegel, in dem es um tätliche Angriffe auf Journalisten am Rande einer Querdenker-Demo ging, diskutiert wurde. Da wurde dann nicht nur vonseiten derjenigen, die sich anscheinend selbst zu den Querdenkern zählen, relativiert, sondern auch ganz offen Zustimmung geäußert, und das unter Klarnamen, so wie beispielsweise hier:
Der erste Kommentar bezieht sich dabei (auch nicht auf die ganz feine Art und Weise) auf die Schläger, der zweite ist dann einfach nur noch Hassrede par excellence. Dass dieser Sven Otto sein Profil voller Rechtsaußen-Likes hat, passt da natürlich auch ins Bild – und deswegen wurden er und sein Kommentar auch von der Seite entfernt. Aber immerhin gibt es ja noch mindestens zwei weitere User, die so eine Aussage richtig toll finden.
Diese Affinität zur AfD oder anderen Rechtsextremen findet sich tatsächlich bei vielen Profilen von denen, die sich entsprechend aggressiv als Impfgegner äußern, dabei selbst gern die Opferrolle übernehmen (kennt man ja auch von der AfD), dass sie ja so diskriminiert und diffamiert würden, aber dann geimpfte Menschen häufig als „Schlafschafe“, „Systemlinge“ und mit weiteren abwertenden Bezeichnungen titulieren.
Auch bei einem Kunden von mir, der in der Schweiz eine Zeitschrift für Country-Musik betreibt, macht sich diese Verbissenheit bei dem Thema bemerkbar. Nachdem da im letzten Monat ein Redakteur einen Artikel zur aktuellen Corona-Situation geschrieben und sich dabei für Impfungen ausgesprochen hat, folgten nun einige Abonnementskündigungen, teilweise mit der Begründung, dass so was nichts in einer Musikzeitschrift zu suchen hätte. Da nun aber gerade Musiker, Veranstalter und Clubs besonders stark von den Corona-Maßnahmen betroffen waren und sind, ist das natürlich eine etwas absurde Argumentation, denn schließlich war bei abgesagten Konzerten und Tourneen, ausgefallenen Festivals, insolventen Locations und letztlich auch einigen an Covid-19 erkrankten und sogar verstorbenen Musikern dieses Thema in den letzten Monaten sehr präsent in der Musikszene.
Wenn also bei solch massiven gesellschaftlichen Gräben und zunehmender Diskussionsunwilligkeit noch weitere Spaltung fordert, der gießt m. E. in unverantwortlicher Weise Öl ins Feuer.
Und hier wird dann auch eine der Funktionen der AfD sehr deutlich, denn diese hat ja die Spaltung der Gesellschaft schon von Anfang an betrieben und ständig auf Konfrontation statt auf konstruktive politische Aussagen gesetzt – gut, das ist natürlich auch das übliche Geschäft von Politikern am rechten Rand. Das wird nun eben gerade weiter auf die Spitze getrieben, unterstützt auch noch von der ebenfalls mittlerweile weit rechtsaußen angesiedelten FDP, die sich ja erfolgreich als „Corona-Opposition“ inszenieren konnte und deshalb nun mit dem für sie erfolgreichen Wahlergebnis Teil der Regierung ist. Es ist kein Zufall, dass diese Parteien auch die neoliberalsten im deutschen Parteispektrum sind.
„There is no such thing as society“ lautet ein berühmter Satz von Margaret Thatcher, und damit fasste sie einen der wichtigsten neoliberalen Leitsätze sehr deutlich zusammen. Wenn nun allerdings in so einer Pandemie, wie wir sie gerade erleben, funktionierende gesellschaftliche Verhaltensmuster und Strukturen erforderlich sind, aber nicht mehr bestehen, dann läuft so einiges aus dem Ruder. Und neben der fehlenden Solidarität ist dann eben auch ein Effekt, dass die Menschen gegenseitig aufeinander losgehen.
Zur fehlenden Solidarität hatte ich kürzlich auch einen interessanten Text von Ilija Trojanow in der tazgelesen. Darin thematisiert der Autor die Covid-19-Impfung als einen Akt der Solidarität, greift dann allerdings bei seiner Analyse zu kurz, denn er erkennt eine m. E. entscheidende Parallele im Sinne von Divide et Impera nicht, als er das laxe Verhalten der Polizei gegenüber Impfgegnern und Querdenkern anspricht und mit dem rigorosen Vorgehen gegen andere Demonstranten, beispielsweise bei Stuttgart 21, im Hambacher Forst oder in Gorleben, vergleicht. Dort haben die Demonstranten nämlich Positionen vertreten, die eine gesellschaftliche Mehrheit hinter sich wussten, und das ist bei den Impfgegnern nicht der Fall. Geschützt bzw. unterstützt wird also in all diesen Fällen die Position der Minderheit, um diese so größer und wichtiger zu machen, als sie ist – und so eine Spaltung weiter voranzutreiben.
Ein System, was laufend Krisen produziert, ist nicht in der Lage, Krisen zu lösen, wie ich ja bereits in einem Artikel im April dieses Jahres feststellte. Zudem kollabiert dieses System gerade, was sich zuvorderst in der Klimakatastrophe zeigt, aber auch in der zunehmenden Ungleichheit (sowohl in einzelnen Staaten als auch global), immer mehr Menschen auf der Flucht (aus diversen Gründen), dem Erstarken rechtsextremer, antidemokratischer Regimes und eben auch immer stärker gespaltenen Gesellschaften. Da nur leider nicht für einen Übergang zu etwas Neuem gesorgt wurde und der neoliberale Kapitalismus zur alternativlosen Wirtschaftsform erhoben wurde, erleben wir nun eben einen Crash – der alles andere als angenehm verlaufen wird.
Die ersten Vorboten sind schon vorbei, wir sind bereits mitten drin. Oder anders ausgedrückt: Der Neoliberalismus frisst seine Kinder.
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