"An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern." (Erich Kästner)

Der Trubel um die frischgebackene Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist überwiegend armselig und dient vor allem dazu, das System öffentlich-rechtlicher-Rundfunk weiterhin für seine Profiteure am Laufen zu halten. Aller Wahrscheinlichkeit ist die Dame, wiewohl allzuviel Mitleid mit ihr unangebracht ist, ein Bäuer:innenopfer. Weil die Causa Schlesinger denjenigen hervorragende Argumente liefert, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk drastisch zusammenstreichen oder gleich  ganz abschaffen wollen, gerät dessen Geschäftsmodell unter Druck. Da  wirft man die lieber die raffgierige Hexe der Öffentlichkeit zum Fraße  vor, bevor es einem selbst ans Leder geht.

Oh, und apropos Hexenjagd: Es handelt sich auch nicht um ein sinsitres Komplott des Patriarchats, um eine Starke Frau(TM) aus dem Amte zu mobben. Ein Christian Wulff wurde einst wegen dreistelliger Kleckerbeträge (private Übernachtung nicht angegeben und so) aus dem Amte gejagt. Ob und inwieweit sich in Schlesingers Chefinnen-Gebaren eine tumbe neureiche Gier offenbart, ein kleinbürgerliches Krachenlassen der Marke "Ich hab’s geschafft!", mögen welche beurteilen, die sich mit so was auskennen. Wirklich Reiche dürften aber für dergleichen pömplige Peanuts wohl nur ein mitleidiges Lächeln übrighaben.

Die Lady hat, vielleicht aus einer entsprechenden Mentalität heraus, mitgenommen, was sie halt mitnehmen konnte. Das kann man unmoralisch nennen oder verwerflich. Dass aber kaum jemand ein System infrage stellt bzw. überhaupt mal fragt, was das für ein System ist, in dem so etwas möglich ist, und in dem Beschwerden der Innenrevision wegen Compliance-Verstößen einfach weggewischt werden, und zwar über Jahre, ist mindestens genau so problematisch.

Einem entsprechend Befugten eine möglichst fett ausgestattete Karre anzudienen, ist im übrigen Teil des milliardenschweren  Dienstwagenprogramms deutscher Premiumautobauer:

"[Ihr]  Luxus-Audi A 8 kostet regulär 145.000 Euro, aber der RBB bekam ihn sehr viel günstiger, wie das Magazin Business Insider recherchiert hat. Dank eines Rabattes von knapp 70 Prozent betrug die Leasinggebühr pro Monat nur ganze 457,21 Euro. Das ist ein Schnäppchen und selbst für den armen RBB mühelos zu stemmen. [...] Pikant ist aber, wie dieser Rabatt bei Audi heißt: nämlich »Regierungspreis«. Systematisch sponsert die deutsche Autoindustrie die Luxusgefährte der MinisterInnen in Berlin und in den Ländern. Ganz harmlos heißt dies »Marketing«. Die Wahrheit ist viel härter: Es handelt sich um Lobbyismus. Die MinisterInnen sollen auf ihren eigenen Pobacken erleben, wie weich und sanft eine deutsche Luxuskarosse dahingleiten kann. Wer dieses sinnliche Erlebnis genossen hat, so hofft die Autoindustrie, wird niemals am staatlichen Dienstwagenprivileg rütteln, das die Konzerne indirekt mit Milliarden subventioniert." (Ulrike Herrmann)

Für das, was da an Steuergeldern hineinfließt, wenn auch eventuell über Umwege, muss eine Patricia Schlesinger jedenfalls lange stricken. Kann man Whataboutismus nennen. Oder: Gewisse Dinge in Perspektive rücken.

Der Bundeskanzler bekommt im Jahr um die 300.000 Euro überwiesen, der Bundesgrüßonkel von Bellevue um die 200.000, Bundesminister ungefähr dasselbe. Ohne Bonus, aber zuzüglich Dienstaufwandsentschädigungen und Privilegien wie gepanzerter Limousinenservice und großzügige Versorgung nach Ausscheiden aus dem Amt. Insofern wäre es nicht völlig abwegig bzw. spricht nichts Erkennbares dagegen, Gehälter für öffentliche Toppositionen, wozu auch die Intendanz bei einem ÖR-Sender gehört, irgendwo bei 250.000 Euro zu  deckeln.

Erwähnte ich schon, dass nicht nur Intendanten öffentlich-rechtlicher Sender, sondern beispielsweise auch reihenweise Spaßkassendirektoren mit mehr als dem doppelten Schlesinger-Gehalt nach Hause gehen, ohne dafür mit nassen Fetzen durchs Dorf gejagt zu werden? Auch das kann man  selbstverständlich Whataboutismus nennen.

Das Argument, man bekomme sonst für Toppositionen keine Topleute und man müsse doch irgendwie konkurrenzfähig bleiben mit der Privatwirtschaft, ist lachhaft. Unsinn und dient allein der weiteren Selbstbedienung. Der von Schlesinger bis vor kurzem geleitete RBB hat um die 3.500 Mitarbeiter. Der Geschäftsführer/Vorstand/CEO eines Unternehmens dieser Größe (von denen es in ganz Deutschland gerade einmal ein paar Hundert gibt), dem man ein Schlesinger-Gehalt von gut 300.000 Euro p.a. anböte, würde als nächstes nach den Boni fragen und anmerken, dass er für weniger als eine halbe Mille fix im Jahr nicht geruhe, sich überhaupt allmorgendlich vom Futon zu erheben.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass kaum ein ÖRR-Intendant, Sparkassendirektor o.ä. aus einer vergleichbaren Position aus der Privatwirtschaft quereinsteigt. Sind meist Eigengewächse, die sich hochgearbeitet haben und die richtigen Kontakte gepflegt haben.

Apropos: Auch Schlesinger und andere RBB-Direktoren bekamen, wie erst jetzt herauskam, so genannte 'Zielprämien' ausgezahlt. In ihrem Fall kamen 2021 noch einmal 50.000 Euro obendrauf. Und zwar nach einem mit der Unternehmensberatung Kienbaum ausgearbeiteten Schema, das sich an "Unternehmenszielen" orientiert, die die Betreffenden im Gespräch selbst definieren dürfen, wie es heißt. Bin ich der einzige, der es fragwürdig findet, Chefs eines größtenteils über Zwangsabgaben finanzierten Anstalt des öffentlichen Rechts nach denselben Prinzipien zu behandeln wie die eines rein privatwirtschaftlichen Unternehmens? Willkommen in der Welt, in der nur mehr BWLer das Sagen haben.

Ich finde ja, wenn Kapitalismus, dann richtig. Man kann natürlich so weit gehen, Beitragszahler mit Aktionären zu vergleichen. Das wäre aber Quatsch, denn Aktionäre haben im Gegensatz zu Beitragszahlern die Wahl, ob sie Geld für Aktien ausgeben oder nicht. Aber selbst wenn, müssten die Beitragszahler dann als Finanziers der ganzen Veranstaltung nicht ein vergleichbares Anrecht haben auf Transparenz in Puncto Vorstandsgehälter und -boni wie Aktionäre? Das mindeste wäre, die Öffentlichkeit irgendwie darüber zu informieren, etwa in Form von  Jahresberichten. Wenn das bereits geschieht, will ich natürlich nichts gesagt haben.

WDR-Intendant Tom Buhrow ist auch ein öffentlich-rechtliches Eigengewächs. Der bekommt über 400.000 Euro Jahresgehalt und im Alter eine ziemlich komfortable Pension, für die der WDR entsprechende Rückstellungen bilden muss. Warum? Weil der WDR 18 Mio. Haushalte verstrahlt, der RBB hingegen deutlich weniger? Weil der WDR mehr Werbekunden erreicht? Schon mal was davon gehört, dass die Zeit der analogen Dachantennen vorbei ist? Was von Digital- oder  Satellitenfernsehen gehört? Von Mediatheken?

Ist Schlesinger zu Recht ihren Job los? Denke schon. Dass aber nun einer wie Buhrow sich besonders lautstark empört über seine geschasste Kollegin und vor allem mal persönliches Versagen sehen mag -- darüber kann man sich natürlich so seine Gedanken machen.


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