Von: Jürgen Kremb, 16. März 2021

China wird Supermacht, das wissen wir mittlerweile alle.  Deswegen hat auch jeder noch so unwissende Schreiber, Redakteur und  Autor dieser Tage eine Meinung zu dem Riesenland im Osten. Manchmal hätte er oder sie das besser nicht.

Schon im Volontariat bekam früher jeder Redakteurslehrling diesen  Leitsatz eingebläut: „Namen sind Leser.“ Ich erinnere mich noch lebhaft,  als dereinst mein Lokalchef im Frankenthaler Teil der pfälzischen  „Rheinpfalz“ mir verbal eine abwatschte, weil ich den Namen eines  Stadtrats falsch geschrieben hatte. „Wer nimmt Ihnen denn ab, dass Sie  verstehen, worüber Sie schreiben, wenn Sie noch nicht mal den Stadtrat  richtig buchstabieren können.“ Und dann schob er nach: „Der bestellt uns  doch die Zeitung ab.“ Denn, Namen brächten eben Leser. Das saß.

Nun, es ist nicht zu erwarten, dass Xi Jinping oder der Sprecher des  chinesischen Außenministeriums Zhao Lijian demnächst den SPIEGEL  abbestellt. Aber bei der Lektüre einer SPIEGEL-Kolumne fiel mir die  Standpauke meines ersten Chefs wieder ein. Und ich fragte mich  ernsthaft, ob der Kollege versteht, wovon er schreibt, wenn er noch  nicht einmal den Vornamen vom Nachnamen der handelnden Personen  unterscheiden kann.

Aber jetzt erstmal von Anfang an. Es geht um die Kolumne „Von Putin lernen heißt Lügen lernen“ von Christian Stöcker. Der Kollege möchte darin nachweisen, dass Chinas Staatsmedien jetzt  auch das Lügen von Vladimir Putin gelernt haben, weil sie sich seiner  „Verschwörungsnarrative bedienen“. Ich möchte nicht grundsätzlich der  These von Stöcker widersprechen, dass Chinas Kommunisten verdammt gute  Lügner sind. Das durfte ich ja selbst für das Blatt, das Kollege Stöcker  bedient, acht Jahre lang vor Ort erleben.

Dass sie dafür aber Putin bräuchten oder gar von ihm lernen müssten,  hm? Äußerst fraglich. Dazu sei das derzeit wohl beste Buch zum Thema  zitiert. In die „Neuerfindung der Diktatur“ weist Kai Strittmatter, der ehemalige Korrespondent der SZ in Peking  nach, dass die chinesischen Kommunisten die Gehirnwäsche quasi erfunden  haben. In der Kulturrevolution (1966-1976) war das Lügen, Täuschen und  Betrügen im Namen Maos das Vorgeplänkel, um mindestens sechs, vielleicht  zehn Millionen Menschen meist grausam ins Jenseits zu befördern. Und  unter dem neuen roten Kaiser Xi Jinping haben die „commies“ aus Peking  die staatliche Propaganda geradezu monströs perfektioniert. Keiner  beschreibt das im Moment besser als Strittmatter. Okay, das kann man  noch verzeihen, wenn ein Propaganda-Experte (das ist doch ein Kognitionspsychologe, oder?) meint, dass die KPCh das Lügen von Putin lernen müsste.

Screenshot “Der Spiegel”. Vot the….

Was dann mein altersgeschwächtes Sinologen-Herz  gefährlich schnell schlagen ließ, war als Stöcker begann mit Namen um  sich zu werfen. Erst schrieb der SPIEGEL-Mann von Staats- und Parteichef  Xi Jinping. Korrekt! Dann von Zhao Lijian, einem der Sprecher des  Außenamtes. Perfekt, 100 Punkte für’s richtige Buchstabieren von  exotischen Namen. Als Stöcker aber die Chinesen beim Familiennamen  nennen wollte, wurde daraus Xi und Lijian. „Vot?“ würde Uncle Rogers aufschreien. „Vot the §$%&.“

Okay! Ich verstehe, irgendwie sehen die Asiaten ja doch alle gleich  aus. Am Tag vor meiner Hochzeit (damals in Taiwan) habe ich fast  meine (zukünftige) Frau im Frisörsalon nicht mehr erkannt. Das freilich  ist jetzt eine gaz andere Geschichte.

Aber wie sehr der Kollege Stöcker mit den Namen und Funktionen  durcheinander geriet, zeigte sich beim nächsten Zitat. Da wurde Liu Xin,  „eine Moderatorin des chinesischen Staatsfernsehens“ zitiert, um sie  dann kurz später zu Frau „Xin“ zu machen. Da muss doch was auffallen,  wenn man halbwegs nachdenkt – oder? Wie liest sich denn ein Text, bei  dem von „Bundeskanzlerin Merkel“, dem „Finanzminister Olaf“ und  „ZDF-Anchor Marietta“ die Rede ist?

Jetzt mal die Regeln:

  1. Familiennamen stehen in China vorne.  Also: Herr/ Frau Xi, Zhao, Liu, Wang, Chen, Ma, Huang usw. (Queer kennt  der Chinese nicht, obwohl er ja eigentlich immer eher links is‘.)
  2. Die eine Silbe (= Schriftzeichen) oder die zwei Silben dahinter (meistens sind es zwei!) benennen den Ruf- oder was im Deutschen der „Vor“name ist.

Also: Oberkommunist Xi, Pressesprecher Zhao und Fernsehtante Liu. Es  sei denn, ihr seid schon beim „Du“. Dann Kumpel Jinping, Lijian oder  Xin.

Ihr seid per Du, oder?

Und nicht nur das, die zitierte Moderatorin Liu Xin ist nicht  „Moderatorin des Staatsfernsehens“, sondern Sprecherin beim  englischsprachigen, also dem für das Ausland bestimmten Ableger des  chinesischen Staatsfernsehens CGTN (= China Global Television Network). Damit sowas wie die Deutsche Welle  und nicht die ARD. Leute, was ist denn mit der berühmten  SPIEGEL-Dokumentation los, wenn so ein Lapsus auch sechs Wochen (Stand:  16. März 2021) nach Erscheinen der Kolumne noch immer auf  SPIEGEL-ONLINE dümpelt?

Aber Stöcker steht mit seinem China-Un-Wissen nicht alleine. Gabor  Steingarts „Morning Briefing“, eigentlich von mir sehr verehrt, der  Mann, wie seine journalistischen Auftritte, erinnerte an Deng Xiaoping, „des ökonomisch bedeutsamsten Politikers des 20. Jahrhunderts.“ Und zwar so: „Der von Mao Zedong zunächst geschätzte und geförderte, dann allerdings verfemte und verfolgte Kommunist, stieg wenige Monate nach dem Tod seines Peinigers im Alter von mittlerweile 74 Jahren zum Staats- und Parteichef auf.“

Deng Xiaoping war der mächtigste Mann seiner Zeit in China. Aber Deng  war nie Staatspräsident und schon gar nicht Parteichef der KPCh. Das  „Regierungssystem Deng“ funktionierte folgendermaßen: „Er  war Vizepremierminister, Vizeparteivorsitzender und Vorsitzender der  Zentralen Militärkommission. Zu Hongkonger Medien meinte er dazu „Ich  habe doch schon Namen und Ruhm, oder? Mehr brauche ich nicht!“ (PS: Zudem war kurz nach der Kulturrevolution das Amt des Staatspräsidenten noch abgeschafft.)

Das Großartige an dem gerade mal 1,53 Meter kleinen Deng, er zog  meist nur aus dem Hintergrund, als „graue Eminenz“, die Strippen der  chinesischen Politik. Das jedenfalls in den Achtziger Jahren des letzten  Jahrhunderts. In den 50ern hatte er sehr wohl auch bedeutende  Regierungs- und Parteiämter innegehabt. Aber nie in der ersten Reihe.

Die einzige Funktion, die Deng zuletzt behielt, war der Vorsitz der  Zentralen Militärkommission. Die Macht kommt ja in China bekanntlich, so  Mao, „aus den Gewehrläufen.“ Über seine wirtschaftlichen Kompetenzen  machte Deng sich übrigens selbst wenig Illusionen. Das erzählte mir  seine älteste Tochter Deng Lin einmal auf einer gemeinsamen zweiwöchigen  Reise durch Deutschland. Der alte Deng vertraute, wenn es um die  Ökonomie ging, lieber auf den Reformer Chen Yun, KP-Generalsekretär Hu  Yaobang und den späteren Premier Zhao Ziyang.

„Why the hell it matters?“ würde der Angelsachse vielleicht jetzt fragen.

Heugabel oder Mistblatt?

Das erklärt eine weitere Anekdote aus dem bisweilen trüben Quellenteich deutscher China-Erklärer. Am 9. Dezember letzten Jahres erschien im Berliner Tagesspiegel ein Artikel zum Thema Chinas „Wolfskrieger“. Wie das eben so läuft,  wollten die Kollegen besonders smart sein und bebilderten die Geschichte  mit einem Schriftzeichen, das, wie sie glaubten, „Macht“ hieße.

Dummerweise kommt es bei chinesischen Schriftzeichen auf jedes kleine  Häkchen, Strichlein und jeden Punkt an. Und im Tagesspiegel war dann  bei „Macht“ eben ein Strich zu viel des Guten. Die Berliner Schlaumeier  druckten das Zeichen für „Heugabel“. Mist gestricht könnte man sagen.

Für die chinesische Propaganda war das ein gefundenes Fressen, wie Wolfgang Hirn vom Newsletter „ChinaHirn“ hier erklärte. Damit zeige sich nämlich, dass all die bösen Ausländer, die es wagten China zu kritisieren, eigentlich gar keine Ahnung vom Land der Mitte haben. Das muss dann doch wirklich nicht sein – oder?

Sinologen gegen Tagesspiegel

Deshalb:

liebe Kollegen und Kolleginnen in den deutschen Redaktionsstuben,

es gibt mittlerweile eine Menge ganz herausragender junger Sinologen  und besonders Sinologinnen, die so gut Chinesisch sprechen und auch  schreiben, wie meine Generation (Babyboomer) vielleicht grad mal  Englisch. Bitte fragt die doch in Zukunft, wenn ihr so tun wollt, als  hättet ihr Ahnung von China. Sonst wird’s wieder mal nur peinlich.  Danke!

Zuerst erschienen auf: Der Rikscha-Reporter - Blick auf Asien von Jürgen Kremb

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