Vor 42.000 Jahren gab es zum letzten Mal einen Polsprung. Die Folgen für Mensch, Tier und Klima waren verheerend. Eine Studie zeichnet die apokalyptischen Bedingungen nach, die auch für das Aussterben der Neandertaler verantwortlich gewesen sein könnten.
Der magnetische Nordpol hat keine permanente Position. Er ist gerne auf Wanderschaft. Sehr selten kommt es vor, dass die Bewegungen so extrem sind, dass das Erdmagnetfeld sich umkehrt und aus dem Nord- der Südpol wird. Ein solcher Polsprung fand zum letzten Mal vor etwa 42.000 Jahren statt. Damals schwächte sich das Magnetfeld zeitweise auf bis zu sechs Prozent seiner heutigen Stärke ab. Insgesamt hielt die Umpolung nicht lange an, nach rund 800 Jahren war die „Exkursion“ wieder vorüber. Die letzte anhaltene Polumänderung liegt rund 780.000 Jahre zurück.
Eine internationale Studie, die von der Universität von New South Wales (UNSW) in Sydney und dem Südaustralischen Museum geleitet und im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde, versucht nun ein Bild von dem zu zeichnen, was damals vor 42.000 Jahren auf der Erde vorgefallen ist.
„Wie das Ende der Welt“
Die Analyse gleicht einem Horrorszenario: Die Forscher sprechen von „apokalyptischen Zuständen“, die durch die Umkehr des Erdmagnetfeldes und dem daraus folgenden Verhalten der Sonne über mehrere Jahrhunderte auf der Erde geherrscht hätten. Diese „dramatischen“ Ereignisse hätten „weitreichende Konsequenzen für unseren Planeten“ gehabt, kommentierten die Forscher in einem Bericht zur Studie, den sie im akademischen Magazin „The Conversation“ veröffentlichten.
Nachdem die Stärke des Magnetfeldes während des Polsprungs auf weniger als sechs Prozent des heutigen Wertes abfiel, verlor die Erde zeitweise ihr wirksames Schutzschild gegen kosmische Strahlung. Im folgenden wurde die Ozonschicht zerstört und elektrische Stürme wüteten über den Tropen – so die Forscher. Sonnenwinde hätten spektakuläre Lichtshows, sogenannte Auroras, erzeugt, arktische Luft sei über Nordamerika geströmt, das Klima habe sich weltweit dramatisch verändert. Zudem soll das Leben auf der Erde intensivem ultraviolettem Licht ausgesetzt gewesen sein. „Es muss sich wie das Ende der Welt angefühlt haben“, sagte Alan Cooper vom Südaustralischen Museum, der an der Studie beteiligt war.
Australiens Megafauna starb aus
Ihre Erkenntnisse verdanken die Forscher einem „Zeitzeugen“. Etwa vor zwei Jahren entdeckten Bauarbeiter in Neuseeland einen uralten Kauribaum – perfekt konserviert im Moor. Dieser massive Baum wuchs zu Zeiten des letzten Polsprungs und seine Jahresringe waren so gut erhalten, dass es den Forschern mithilfe von Klimamodellen sowie der Radiokarbondatierung gelang, eine Zeitskala zu bauen, die diese dramatische Periode in der Erdgeschichte abbildete. „Damit konnten wir den Zeitpunkt und die Umweltauswirkungen des letzten Polsprungs zum ersten Mal genau datieren“, sagte Chris Turney von der UNSW, einer der Hauptautoren der Studie. Diese Zeitskala verglich das Team mit Aufzeichnungen aus Höhlen, mit Eisbohrkernen und Torfmooren aus der ganzen Welt.
Dabei stellten die Forscher fest, dass sich das Wachstum von Eisschildern und Gletschern über Nordamerika sowie große Verschiebungen der Wettersysteme unter Umständen auf den Polsprung zurückführen lassen. Einer ihrer ersten Hinweise war, dass die Megafauna auf dem australischen Festland und auf Tasmanien – Riesenkängurus und Riesenwombats – ebenfalls vor rund 42.000 Jahren ausgestorben ist. „Das schien nie richtig zu passen, denn es war lange nach der Ankunft der Aborigines, aber ungefähr zur gleichen Zeit, als sich die australische Umwelt in den gegenwärtigen trockenen Zustand wandelte“, sagte Cooper.
Sterbestunde der Neandertaler, Geburtsstunde der Kunst?
Die Forscher gehen aber noch weiter. Sie glauben, dass die damalige Pol-Exkursion auch für das Aussterben der Neandertaler verantwortlich sein könnte. Gleichzeitig halten sie es für keinen Zufall, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch die figurative Höhlenmalerei entwickelte. Der moderne Mensch habe in dieser Zeit vermutlich Zuflucht in Höhlen gesucht, schlussfolgern sie.
Die weitreichenden Rückschlüsse der Forscher haben in der Wissenschaftsgemeinde heftige Diskussionen ausgelöst. Einigen Kollegen gehen die Annahmen dann doch zu weit, wie die zahlreichen Kommentare im akademischen Magazin „The Conversation“ deutlich machen. Doch die Geheimnisse, die der uralte Kauribaum preisgegeben hat, zeigen auf alle Fälle, welch weitreichende Folgen ein Polsprung auf das Leben auf der Erde hat.
Und sie stellen eine Warnung dar: Denn auch in der heutigen Zeit ist ein erneuter Polsprung nicht völlig abwegig. So haben sich einige Wissenschaftler in der jüngeren Vergangenheit besorgt über die derzeitige Bewegung des Nordmagnetpols geäußert. Diese könnte – gepaart mit der Abschwächung des Erdmagnetfeldes um rund neun Prozent in den letzten 170 Jahren – durchaus „auf eine bevorstehende Umkehr deuten“, sagte Cooper. Auch in der heutigen Zeit wären die Folgen für die moderne Gesellschaft enorm: Die kosmische Strahlung würde nicht nur unsere Strom- und Satellitennetze zerstören, laut Turney wäre eine Polumkehr auch ein „beispielloser Beschleuniger“ der vom Menschen verursachten Klimakrise.
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