Es wird gerade ein zynisches Spiel mit der Inzidenz gespielt, sie sei nicht mehr relevant. Das ist hahnebüchen. Gerade an den altersspezifischen Inzidenzen, sieht man sehr genau, in welchen Bereichen, unsere Pandemieabwehr Probleme hat. Dies Transparenz scheint nur nicht gewollt.

Aber erstmal der Reihe nach, was kann die Inzidenz denn eigentlich?

Die Inzidenz ist der früheste Indikator, den wir mitbekommen können

Gerne würden wir erfassen, wenn sich Menschen anstecken, das ist unmöglich. Erst mit Testung nach dem Auftreten von Symptomen oder nach positiven Testen bei der anlasslosen Testung haben wir die erste Indikation der Erkrankung.

Diesen allerersten Punkte, beschreibt die Inzidenz, sie ist unser frühester Indikator. Und eine dynamische Lage kontrolliert man mit den frühesten Indikatoren, die man hat.

Niemand fährt mit Blick durch die Heckscheibe Auto

Auf der Autobahn schaue ich weit nach vorne, damit ich die Dinge sehe, so dass ich noch bremsen kann. Wenn ich langsam fahre, dann schaue ich näher dran. Wir wissen intuitiv, dass wir frühe Indikatoren brauchen.

Die Autofahrer, die versucht haben, auf der Autobahn schnell zu fahren und dazu nur aus der Heckscheibe schauen, sind entweder tot oder in einer geschlossenen Anstalt.

Aber in der Pandemie soll es auf einmal in Ordnung sein, Indikatoren wie Hospitalisierung zu nutzen, die zwei Wochen nachlaufen.

Zwei Wochen nach den Sommerferien haben NRW gereicht, die Inzidenz in z.B. Wuppertal auf über 700 zu treiben. Die Inzidenz in der Altersklasse der Schüler.

Wir heizen auch nicht nach Schimmelbefall der Wohnung oder Wasserstand der Zimmerpflanzen

Unsere Wohnungsheizung regeln wir nach der Raumtemperatur. Man könnte auch nach dem Wasserverbrauch der Zimmerplanzen heizen. Die Info kommt mit ein paar Tagen Verspätung. Das klingt absurd, das ist absurd. Genauso absurd ist die Pandemiekontrolle nach Krankenhausbelegung.

Die Pandemie ist immer instabil

Eine sich ausbreitende Pandemie mit einem R über 1 ist instabil. Mehr Ansteckungen machen noch mehr Ansteckungen. Je größer das Problem, desto größer das zusätzliche Problem.

In der Technik gibt es solche Phänomene. Teils ergeben sie sich aus der Anwendung (die Leistungsregelung von Atomkraftwerken haben instabile Anteile), teils sind sie gewollt (Kampfflugzeuge werden wendiger, wenn man sie instabil auslegt).

Alle diese technischen Systeme werden durch Regler kontrolliert und letztlich durch Regeleingriffe stabil gehalten. Und diese Regler haben eine wichtige Eigenschaft: Sie greifen auf den frühesten Indikator zurück, den man bekommen kann, weil das die beste Kontrolle erlaubt.

Selbst wenn das nicht die gewünschte Kontrollgröße ist, wird mit dem frühen Indikator geregelt. Und dann noch einlangsamerer Regelkreis draufgesetzt. Kaskadenregler heißt das technisch. Das ist Rountine.

Selbst wenn man also die Krankenhausauslastung kontrollieren wollte würde man die Inzidenz nutzen

Wenn jetzt also die wichtige Kontrollgröße die Krankenhausauslastung sein soll (und das Ziel teile ich in keinster Weise), würde man schauen, welche Inzidenz aktuell zu welcher Krankenhausauslastung führt  und würde diese Inzidenz dann kontrollieren wollen.

Denn die Krankenhausauslastung ist ein nacheilender Indikator, der die gleiche Information 2-3 Wochen später als die Inzidenz liefert. Und 2-3 Wochen später heißt, dass die Pandemie schon 2 Verdoppelungen weiter gelaufen ist.

Wer also sagen wir nur 100 Betten mit COVID belegen will und handelt, wenn diese voll sind, ist dann schon in der Situation, dass alle Ansteckungen schon passiert sind, die zwei Wochen zu einer Krankenhausbelegung mit 400 führen.

Nicht schlau.

Späte Indikatoren schützen vor Maßnahmen vor der Wahl

Der einzige Grund, die Auslastung der Kliniken zu nehmen ist, dass der Indikator zwei Wochen nachläuft und die Bundestagswahl in drei Wochen ist. Durch den späteren Indikator wird der Moment der Reaktion verzögert und die unangenehmen Maßnahmen kommen dann zwar zu spät, aber auch erst nach der Wahl.

Dass der Ministerpräsident, dessen Bundesland gerade völlig aus dem Ruder läuft der gleiche ist, der mit dem Gesundheitsminister ein Team bilden wollte, ist sicherlich nur zufällig. Der gleich Bundesgesundheitsminister, der gerade die Inzidenz als Leitindikator abschaffen will.

Ist die Inzidenz denn schlechter geworden als Indikator?

Aber ist die Inzidenz schlechter geworden? Leistet sie nicht mehr das, was sie mal leisten sollte oder geleistet hat?

Die Inzidenz bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist sicherlich nicht mehr gleich zu behandeln, wie die Inzidenz noch vor drei Monaten.

Es sind noch nicht ganz zwei Drittel der Bevölkerung geimpft. Und die Inzidenzen laufen komplett auseinander. Die Inzidenz unter den geimpften ist ein Zehntel der Inzidenz der Ungeimpften. Die Pandemie findet fast nur noch im nicht geimpften Drittel statt.

Einerseits ist das super, weil das heißt, das Impfen wirkt und nicht nur individuell vor schweren Verläufen und Tod schützt, sondern auch massiv bremsend in die Pandemie eingreift.

Andererseits heißt das, das eine Inzidenz von 100 bezogen auf die Gesamtbevölkerung jetzt einer Inzidenz von 300 unter den Ungimpften entspricht. Die Ungeimpften und mit ihnen die Kinder, vor allem die U12, kommen jetzt in die für sie gehrlichste Phase der Pandemie. Sie haben die großen Inzidenzen und eine 2/3-Mehrheit der Bevölkerung ist nicht mehr betroffen und will keine Schutzmaßnahmen.

Eine Inzidenz von 100 heißt noch immer die gleiche Zahl der Erkrankungen

Eine Inzidenz von 100 heißt noch immer 100 angesteckte Personen von 100.000 über 7 Tage. Auch wenn diese Ansteckungen fast nur noch im nicht geimpften Drittel der Bevölkerung vorkommen.

Die Inzidenz beschreibt die Zahl der Erkrankungen fehlerfrei.

Schwere Verläufe sind seltener nicht wegen der Inzidenz sondern wegen der Altersverteilung der Impfung

Und es ist wahr. Für die gleiche Zahl Erkrankte, sind aktuell weniger Menschen mit schweren Verläufen oder Krankenhausaufenthalten dabei. Das liegt aber nicht an der mangelnden Aussagekraft der Inzidenz, sondern daran, dass sich die Altersverteilung verschoben hat. Die Infizierten sind jetzt jünger als vorher und Jüngere haben im Schnitt weniger schwere Verläufe.

Das liegt nicht an der Inzidenz, sondern an der Altersverteilung der Impfungen. Die Alten sind zu einem viel höheren Anteil geimpft als die Jungen.

Deswegen bedeutet die gleiche Zahl Infektionen zur Zeit weniger Krankanhausaufenthalte. Wieviele ist bekannt, weil es gute Erkenntnisse gibt, wie wahrscheinlich ein schwerer Verlauf in welcher Altersklasse ist. Man kann, und manche tun das sehr erfolgreich, die Krankenhausauslastung also weiterhin aus er Inzidenz vorhersagen. Der Umrechnungsfaktor hat sich etwas verschoben.

Es ist weiterhin so, dass man aus der Inzidenz die schweren Verläufe vorhersagen kann. Es sind jetzt weniger als früher, aber es ist bekannt, wie viel weniger. Deswegen macht die Inzidenz weiterhin Sinn.

Krankenhäuser füllen macht keinen Sinn

Es ist der gleiche Aufwand, die Pandemie bei einer Inzidenz von 10, 100 oder 1000 zu stabilisieren. Die Maßnahmen, die wir machen (Kontaktvermeidung, Kontakt unter Schutz) wirken ja darauf, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Wie viele Gesunde darum herum noch keinen anstecken ist völlig egal.

Ich brauche also die gleichen Maßnahmen (mein Aufwand) für eine Stabilisierung, ich habe bei niedrigen Inzidenzen aber weniger Erkrankungen (weniger Krank = mehr Nutzen). Es macht also keinen Sinn, Inzidenzen als Obergrenze zu definieren oder Krankenhausbelegungen als Obergrenze zu definieren.

Bei gleichem Aufwand habe ich immer mehr Nutzen, wenn WENIGER Menschen sind anstecken.

Krankenhäuser bis ans Limit zu fahren ist zynisch und menschenverachtend. Der Aufwand zur Pandemiekontrolle für die Gesellschaft ist der Gleiche, aber mehr Menschen werden krank, haben schwere Verläufe oder Langzeitschäden und sterben.

Dazu kommt, wer mit nacheilenden Indikatoren die Krankenhäuser ans Limit führt, wird überschwinger bekommen, die das System überlasten.

Wichtig für die Kontrolle sind die Inzidenzen nach Gruppen

Wir sollten aktuell nicht höhere Inzidenzen zulassen, sondern geringere. Bei 2/3 Impfquote sollte die Grenze um den Faktor 3 niedriger liegen, damit bei den Ungeimpften die Inzidenz nicht höher liegt als früher.

Teile der Ungeimpften, nämlich die Kinder U12 können noch nicht geimpft werden. Die Impfquote in dieser Altersklasse ist null. Das sind rund 1/6 der Bevölkerung. Wenn wir für die Gesamtbevölkerung höhere Inzidenzen zulassen, wird es diese Kinder treffen. Das ist in vielen Bundesländern schon zu beobachten, in NRW ist es besonders sichtbar.

Wer die U12 Kinder gesund durch die Pandemie bekommen will, nachdem wir das schon 18 Monate geschafft haben, der darf jetzt nicht aufgeben und muss verhindern, dass durch hohe Inzidenzen speziell in dieser Altersgruppe alles zu nicht gemacht wird, was durch viele Vorsichtsmaßnahmen über 18 Monate erreicht und erhalten wurde.

Inzidenzen nach Altersgruppen gibt es hier zu sehen. In der Altersgruppe 4-15 erkennt man sehr gut die Umrisse von NRW.

https://semohr.github.io/risikogebiete_deutschland/

Außerdem können die Inzidenzen bei den Kindern nur durch Maßnahmen bei den Kindern reduziert werden. Sie unterhalten ihr eigenes Ansteckungsnetz. Hier sind meine Lösungsvorschläge.

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Der Schlüssel, um die Schulen in der Pandemie offen zu halten, ist anzuerkennen, dass Schulen nur bei niedrigen Inzidenzen sicher sein können, dass sie selber zu Verbreitung beitragen und dass sie Hilfe brauchen, damit die Inzidenzen eben nicht steigen. Wir brauchen niedrige Inzidenzen Es geht kein…

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe zu COVID und speziell Infektionen in der Schule. Hier geht es los

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Die Pandemie ist vorbei, wenn sie für alle vorbei ist. Und sie ist für so viele noch nicht vorbei, dass sie noch nicht vorbei ist. Auch wenn wir das gerne hätten, auch wenn wir alle kein Bock mehr haben.