Die Clearingstelle für Urheberrechte im Internet hat mitten in der Pandemie das Licht erblickt. Und sie hat die Macht Webseiten im deutschen Internet nahezu unzugänglich zu machen. Ohne Gerichtsbeschlüsse oder die Involvierung des Rechtsstaates. Möglich wird das durch den Zusammenschluss mächtiger Verbände und Providern - mit dem Segen der Bundesnetzagentur. Wo bleibt der Aufschrei? Ein Kommentar.

Gemeinsam gegen das Internet

Selten in meinem Leben habe ich so viel Verbundenheit und gemeinsamen Kampfeswille erlebt wie auf den Demos gegen den Artikel 13 beziehungsweise Artikel 17, welcher vor einigen Jahren durch das Europäische Parlament geprügelt wurden. Zusammen mit tausenden anderen jungen Menschen war es mir wichtig zu zeigen, dass dieses Internet, welches ich liebe, nicht zum Spielball von Politik und Industrie werden darf. Natürlich, der Politik war mein Protest ziemlich egal, doch zeigten die Demonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmer*innen europaweit eine Sache sehr deutlich: Ohne massiven Widerstand würde keine Regierung und kein Unternehmen einfach so die Hand an das freie Internet legen können. Zumindest dachte ich das.

Denn seit diesem Frühjahr gibt es einen neuen mächtigen Spieler im weltweiten Netz, welcher eine größere Gefahr für die Netzneutralität, die Meinungsfreiheit und generell das freie Internet sein könnte, als es Uploadfilter je waren. Die Clearingstelle für Urheberrecht im Internet, kurz CUII, ist ein Zusammenschluss aus Providern wie der Telekom, 1&1, Mobilcom-Debitel, Vodafone sowie der Telefonica auf der einen Seite und Urheberrechtsvertretern auf der anderen Seite. Um hier nur ein paar Namen zu nennen: Sky Deutschland, den VdF (Verband der Filmverleiher), der DFL (Deutsche Fußball Liga), dem Bundesverand Musikindustrie oder Game, dem Branchenverband der Deutschen Games Branche.

Ein breites dafür stumpfes Schwert

Ziel der CUII ist es gegen Seitenbetreiber mit sogenannten DNS Sperren vorzugehen. Vereinfacht gesagt soll so verhindert werden, dass Nutzer*innen aus Deutschland eine Webseite betreten können, welche in den Augen der CUII Urheberrechte verletzt. Genau hierfür ist es für den Verein relevant alle deutschen Provider mit einzubinden, da nur so eine Sperrung auch ohne gerichtliche Beschlüsse vollzogen werden kann. Schlicht und einfach gesagt einigen sich die Konzerne darauf, eine gewisse Seite für ihre Kund*innen zu sperren. Und da alle Anbieter diese Sperrung gemeinsam umsetzen, gibt es für Nutzer*innen keine Alternative mehr im deutschen Netz.

Bereits in der Vergangenheit wurden solche Netzsperren eingesetzt. Jedoch dann auf richterliche Anweisung. So erwischte es 2018 das Kinoportal Kinox.to oder die Literatursammlung Gutenberg.org. Aber auch sehr viele pornografische Seiten, vor allem im Bereich der Kinderpornografie, wurden in den vergangenen Jahren auf Anweisung eines Gerichtes aus dem deutschen Internet entfernt. Wobei schon der Begriff "Entfernung" irreführend ist. Denn: DNS-Sperren sind ein breites aber extrem stumpfes Schwert. Oder anders gesagt: sie betreffen niemanden, der das nicht will.

Wie funktioniert die CUII?

Das Problem nämlich ist, dass DNS Sperren extrem einfach zu umgehen sind und nur minimale Wirkung zeigen. Durch sogenannte VPN-Tools ist es nämlich möglich, sich komplett legal und oft kostenfrei eine neue IP (eine Internet Adresse) aus einem anderen Land einfach auszuleihen. Eine DNS-Sperrung würde in diesem Fall schon nicht mehr greifen, da die Maßnahme nur für eine deutsche IP gilt. Schon heute gibt es im Internet viele Anleitungen, wie Nutzer*innen standardmäßig ihre eigene Herkunft mit jedem Klick im Internet verbergen können.

Vor diesem Problem steht die Bundesnetzagentur schon seit Jahren. Die Behörde fordert immer wieder deutlich dazu auf, dass mehr Webseiten in Deutschland einer Sperre unterliegen müssten. Gleichzeitig soll das Amt jedoch auch auf die Netzneutralität im Internet achten und diese verteidigen und wahren. Dass dieser Spagat sehr schwierig zu bewerkstelligen ist, macht das Vorgehen der Bundesnetzagentur sehr deutlich. Auf der einen Seite soll sie die CUII durchaus kritisch begleiten, auf der anderen Seite erfüllt die CUII einen der größten Wünsche der Behörde: unbürokratische Sperrungen im großen Stile.

Organisiert ist die CUII dabei rein privatwirtschaftlich. Finanziert wird sie durch ihre Mitglieder. Jeweils drei pensionierte Richter*innen aus einem Pool, welcher laut Verein anonym bleiben soll, entscheiden über die Fälle, welche ein Prüfverfahren durchlaufen. Vorgeschlagen werden diese Richter*innen von den Rechteinhabern selbst. Eine ausführliche Erklärung dazu gibt es im Verhaltenskodex der CUII zu finden. Fürs Erste möchte die CUII 200 Fälle pro Jahr prüfen. Sollten weniger Prüfungen in einem Jahr stattfinden, kann der Verein die offene Anzahl von Prüfungen ins kommende Jahr übernehmen - sich also ein Guthaben aufbauen.

Hier ist also im März 2021 ein Verein entstanden, welcher komplett abgekoppelt von der Justiz Sperrverfahren gegen Webseiten umsetzen kann. Dabei entscheiden von den Unternehmen selbst bestimmte Menschen mit Befähigung zum Richteramt über Recht und Unrecht im Netz. Oder anders gesagt: Hier hat sich die Privatwirtschaft ein eigenes Erschießungskommando erschaffen, welches gegen alle Betreiber*innen vorgeht, die der Wirtschaft missfallen. Und auch, wenn diese Schützen wohl nicht sehr fähig sein dürften und ihre Waffen nur mit Platzpatronen geladen sind, ist die bloße Existenz der CUII in meinen Augen doch eine Kriegserklärung an das freie Internet.

Bisher gibt es zumindest jedoch keine Anzeichen dafür, dass rein juristisch ein Problem mit der CUII besteht. Auch, wenn sicherlich in den kommenden Jahren (hoffentlich) viele Verfahren genau diese Frage immer wieder aufwerfen werden. Moralisch jedoch ist schon jetzt klar, dass mit der Clearingstelle für Urheberrechte im Internet versucht wird, das freie Internet weiter einzuschränken. Und das widerspricht den Idealen, welches sich Netzaktivist*innen auf der ganzen Welt auf die Fahnen geschrieben haben deutlich. Daher ist der ausbleibende Aufschrei umso ohrenbetäubender. Vielleicht hat die CUII ihre Gründung aber auch einfach sehr schlau geplant. Denn eine globale Pandemie ist natürlich ein guter Deckmantel.

Die Netzneutralität ist schon lange tot

Jedoch muss man auch feststellen, dass Netzneutralität in Deutschland heute ein toter Begriff ist. So gibt es bereits heute in Internet der Klassen - und der Geschwindigkeiten. Große Anbieter mit viel Kapital wie Netflix, Spotify oder Youtube haben Deals mit den Internet-Providern geschlossen, um ihre Angebote bevorzugt zu positionieren. Kaum ein Anbieter hat heute nicht besondere Pakete im Angebot, die zum Beispiel das Hören von Spotify vom Datenverbrauch auf dem Handy ausnimmt oder das Streaming von SKY oder Netflix erleichtert. Während andere Dienste zeitgleich mit vollem Datendurchsatz berechnet werden. Neutral ist an diesem Internet schon lange nichts mehr.

Passiert ist das auch unter dem wachsamen Auge der Bundesnetzagentur. Dass diese nun auch die CUII begleiten und beaufsichtigen soll, ist ein klares Indiz, in welche Richtung die Reise geht. Was dagegen hilft? Laut sein. Und möglichst vielen Menschen von der CUII zu erzählen, damit diese sich nicht hinter der Pandemie verstecken kann. Das wäre ein Anfang.