Es ist eine wiederkehrende Frage die sich unter Menschen eines gewissen intellektuellen Niveaus aufdrängt, was genau diesen geistigen Wandel in unserer Gesellschaft treibt, welcher zwar oftmals als Tatsache erkannt wird, aber sehr schwer konkret zu definieren ist. Während die erkenntnistheoretische Ebene der Postmoderne im Grunde in Form des Poststrukturalismus akzeptiert ist, so wurde bisher die soziologische Metaebene, welche die Abwendung von Rationalismus hin zu Poststrukturalismus treibt, wenig studiert. Einige Beschreibungen dessen geschehen unfreiwillig, indem Betrachtungen über den Zeitgeist geäussert werden, so schreibt Kissler über die „infantile Gesellschaft“, oder erwähnte Turnhofer in einer Kritik auf einen Beitrag des Schreibenden dieser Zeitgeist sei durch Willkür geprägt. Solche Betrachtungen greifen eindeutig zu kurz.
Der Poststrukturalismus verbirgt im Grunde nichts anderes als die Kapitulation gegenüber der unendlichen Schwierigkeit, die Realität vollends zu begreifen, und vermeint in der folglichen Begrenzung von rationalistischen, phänomenologischen und strukturalistischen Methoden der Erkenntnis deren Scheitern zu sehen. Die Frage über den soziologischen Treiber der Postmoderne ist somit mit der Frage gleichzustellen, welche die Referenz bezüglich der Realität sein kann, wenn auf Rationalität basierende Methoden verworfen werden. Die Antwort hierauf ist so einfach zu finden, wie man sich nur fragen muss, was vom menschlichen Geist übrig bleiben sollte, wenn der rationale Aspekt des Denkens verschwindet: Triebe, Instinkte und, vor allem, Emotionen. Denn es sind die Emotionen welche der wesentlichste Bestandteil der ursprünglichen Psyche darstellen, der niederste Treiber des Denkens, der den Menschen mit den Tieren gleichsetzt.
Der Fluch der rationalen Erkenntnis ist es, dass diese oftmals im Widerspruch zu den menschlichen Begehren steht. Gerechtigkeit ist nicht immer möglich, die Gleichheit aller Menschen ist ein Trugschluss, eine durchsetzungsfähige Zivilisation kann nicht nach Zufriedenheit Aller agieren, oder, abstrakter, jeder Wettstreit muss Verlierer haben, usw., usf.. Die rationale Erkenntnis setzt unweigerlich auch den Irrtum und die Falschheit voraus, welche stets wider unseres emotionalen Begehrens nach Zustimmung sind. Hier würde z.B. Kisslers Auffassung der infantilen Gesellschaft greifen, da es ein kindisches Verhalten ist, den Irrtum nicht zu akzeptieren, oder sich der fehlenden Zustimmung zu grämen. Doch dies ist nur so, weil im Kind das rationale Denken, welches erst erlernt werden muss, noch nicht ausgebildet ist, und somit die Kontrolle oder Unterdrückung der Emotionen ebenfalls schwer fällt.
Der Poststrukturalismus bietet eine Überbrückung des Mühsal vom rationalen Denken, indem rational ergründete Fakten oder Tatsachen vermeintlich aufgrund von Vorurteilen oder Fehlinterpretationen für ungültig erklärt werden, und stattdessen die tieferliegenden Strukturen und Systeme miteinbezogen werden sollen. In der Praxis bedeutet dies nichts anderes, als dass die rationale Erkenntnis verunmöglicht wird, und dessen Position als Leitfaden in der erkenntnistheoretischen Auffassung einer Gesellschaft folglich unweigerlich von der übrigbleibenden geistigen Dimension eingenommen wird: Der Emotion. Hier ist schliesslich die von Turnhofer suggerierte Willkür wiederzufinden, ein vom Rationalismus abgekoppeltes Denken oder Handeln, welches willkürlich erscheint, aber im Grunde ebenfalls vom emotionalen Begehren getrieben wird.
Der emotionale Aspekt des postmodernen Denkens ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, sondern erfordert eine tiefgreifendere Analyse postmoderner Phänomene. Diese treten vor allem dort auf, wo der Rationalismus an seine Grenzen kommt und kein angemessene Lösung bieten kann, sondern allenfalls einen pragmatischen Ansatz, welcher seine eigene Mangelhaftigkeit miteinbezieht. Dies führt unweigerlich zur Frustration über das fehlen einer vollständigen Lösung. Nun bietet der Poststrukturalismus einen Ausweg, indem auf die tieferliegenden Strukturen hingewiesen wird, als vermeintlicher „Störfaktor“, welcher diese Lösung verunmöglicht. Dies führt zur enthemmten Konzipierung einer utopischen Lösung, deren Undurchführbarkeit dann ebenfalls diesen Strukturen zugeordnet wird. Somit wird das Problem zwar nicht einmal im Ansatz angegangen, aber auf emotionaler Ebene ist eine zufriedenstellende Lösung definiert worden, sowie der Störfaktor der diese verunmöglicht, an welchem man sich nun sprichwörtlich die Hörner abstossen kann, was ebenfalls die Satisfaktion bietet, zur vermeintlichen idealen Lösung hin zu arbeiten.
(Der Poststrukturalismus an sich ist somit bereits ein markant postmodernes Phänomen, welches statt des pragmatischen Denkens, das den Makel einer Methode akzeptiert und die Methode trotz seiner Begrenzung als Teil eines ganzheitlichen Lösungsansatzes behält, diese voll und ganz verwirft, um stattdessen eine emotional zufriedenstellende Pseudo-Lösung zu finden.)
In dem Sinne greift die Postmoderne in die geistigen Bedürfnisse nach absoluter Wahrheit, nach Antworten, nach Transzendenz, gar nach einem Lebenssinn, welche für gewöhnlich von der Religion aufgegriffen wurden, welche infolge des Trugschlusses, dass diese durch das rationale Wissen nunmehr bedeutungslos geworden sei, aus dem Alltag vieler Menschen verschwunden ist. Dies erklärt auch weshalb sich die postmodernen Phänomene dermassen sektiererisch verhalten, die Debatte meiden, in absoluten Werten wie Gut und Böse gliedern, existenzielle Bedrohungen herbei beschwören, Etikettierungen an Abweichler verteilen, usw., vor allem aber jeglichen Pragmatismus mit grösster Vehemenz ablehnen.
Das Gleichgewicht zwischen dem gesunden Ausleben des emotionalen Begehren nach transzendentaler Wahrheit und der rationalen Akzeptanz von pragmatischer Realität gerät aus den Fugen. Stattdessen setzen sich die emotionalen Triebe durch, welche den Zeitgeist der Postmoderne prägen.