Hinter „Blocklistenanbieter-Accounts“ stehen immer Menschen – mit eigenen Meinungen, Empfindungen und Vorurteilen. Das sollte jedem klar sein. Wer ihre Listen abonniert, verleiht ihnen erheblichen Einfluss. Und diesen können sie nach persönlichem Ermessen nutzen – oder missbrauchen.
Es mag wie eine persönliche Abrechnung klingen, weil ich mich selbst als Beispiel nehme. Aber so lässt sich das Problem am deutlichsten darstellen. Ich weiß seit längerem, dass ich auf einer solchen Liste falsch eingeordnet bin, und habe es bislang ignoriert. Erst durch ein Gespräch, das jemand anderes mit SkywatchDE deswegen begann, wurde mir klar, dass beim Hinzufügen zu solchen Listen durch SkywatchDE Kritik und Gegnerschaft nicht mehr unterschieden werden. Stattdessen betreibt man eine Form der „Echokammerpflege“, indem man unliebsame Kritik und unangenehme Wahrheiten als global „blockwürdig" deklariert.
Hintergrund: Wie ich auf der „Menschenfeinde“-Liste landete
Einige Freunde, die von „X“ zu Bluesky gewechselt sind, abonnierten auf Empfehlung mehrere Listen – darunter die populäre „Menschenfeinde“-Liste von SkywatchDE. Diese enthält angeblich Queer- und Transfeinde sowie Ableisten und ist vor allem mit Nazis und anderen tatsächlich problematischen Accounts bestückt.
Zu meiner Überraschung stehe auch ich darauf – obwohl ich weder Transfeind noch Ableist bin, sondern selbst queer/LGBTQ+ und nebenbei behinderte Familienmitglieder unterstütze.
Was ich allerdings tatsächlich tue, ist, Menschen für unreflektiertes, extrem einseitiges Verhalten zu kritisieren und mich gelegentlich darüber lustig zu machen. Oft ist mir die Seite sogar egal - ich bin eben einfach jemand, der blanke Unlogik und Realitätsleugnung nicht erträgt.
Und wer hat mich nun auf die Liste setzen lassen? Das sind Personen, die aus Ablehnung gegenüber J. K. Rowling Dinge in „Harry Potter“ hineinlesen, die schlicht nicht im Text stehen. Dabei ging es mir in der entsprechenden Diskussion nicht um Rowling selbst, sondern um Lesekompetenz. Dennoch wurde ich gemeldet – mit der Behauptung, ich würde Rowling und Transfeindlichkeit verteidigen.
In Wahrheit verteidigte ich Fakten. Dazu gehört etwa die Feststellung, dass Rowling nicht antisemitisch ist. Das macht ihre Haltung zu anderen Themen nicht weniger problematisch, aber es ist unnötig und schädlich, offensichtliche Unwahrheiten zu verbreiten.
Der Vorwurf zur Nutzung von „TRA“
Ein weiterer Kritikpunkt war, laut SkywatchDE, meine Nutzung der Abkürzung „TRA“ (Trans Rights Activist). Unterstellt wurde mir, sie gezielt zur Provokation von trans Personen zu verwenden. Tatsächlich nutze ich den Begriff – ebenso wie „TERF“ (Trans-Exclusionary Radical Feminist) – für extrem aggressive und irrationale Aktivisten, je nach Seite. Amüsanterweise sind die aggressivsten „TRA“s eher selten selbst trans und die aggressivsten „TERF“s glänzen oft mit einem extrem verzerrten, mitunter toxischem Frauenbild.
Mir geht es darum, dass komplexe Themen nur zu verstehen sind, wenn man ihre Komplexität anerkennt. Extrempositionen blenden diese Komplexität aus und ich scheue mich nicht, das auch zu benennen.
- TERFs leugnen, dass Transidentität keine Wahl ist, und ignorieren das reale Leid von trans Personen. Sie neigen auf abstruse Weise dazu, banale soziale Alltagssituationen unnötig und zu ihrer eigenen Empörung zu sexualisieren.
- TRAs ignorieren dagegen Stimmen von Detransitionierten sowie die medizinischen Risiken einer Transition, und brandmarken jede kritische Nachfrage als transfeindlich.
Der „Alt-Text-Ritter“-Vorwurf
Zusätzlich wurde mir vorgeworfen, meine Blockliste gegen sogenannte „Alt-Text-Ritter“ sei ableistisches „Tone-Policing“. Möglicherweise hat man auch nur verzweifelt einen dritten Vorwurf gegen mich gesucht und dann - gottseidank - meine Blocklisten gefunden. Auf der Liste „Alt-Text-Ritter" sammle ich Accounts, die wahllos fehlende Bildbeschreibungen suchen, um deren Verfasser öffentlich zu kritisieren – ohne Kontext, ohne Beteiligung am eigentlichen Gespräch, unter Unterstellung rüder Absicht oder egoistischer Gleichgültigkeit gegenüber Sehbehinderten. Ein solches Verhalten geschieht mitnichten aus Solidarität gegenüber Blinden oder Sehbehinderten, sondern zur Selbstprofilierung. In meinem vorherigen Artikel zum „Backseat Catkeeping“ habe ich dieses Phänomen der perfomativen Empathie schon einmal beschrieben.
Ähnliche Muster beobachte ich bei extremen Veganern oder in Teilen der Radfahr-Community, die Autofahrer pauschal verurteilen. Bei allen gilt für mich dasselbe Prinzip: Ich blocke unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Alter, Hobby oder anderen persönlichen Merkmalen, sondern ausschließlich aufgrund des destruktiven Verhaltens. Wer Empörung als Mittel zur Selbstdarstellung nutzt, landet auf einer meiner Listen. Leider habe ich keine Listen für alle Subgruppen, da ich mit dem Sortieren der Blockgründe erst spät angefangen habe. Gerade diejenigen, die ich priorisiert am Anfang meiner BlueSky-Zeit geblockt habe, landeten noch auf einer generischen Liste.
Anekdotischer Exkurs: Ein befreundeter Account, der sich selbst unter anderem als Spinnerin bezeichnet, landete ebenfalls auf einer Ableismus-Blockliste. Allerdings spinnt die Frau wirklich. Nämlich Wolle.
Ich diene hier als Beispiel, aus welchen Gründen man by SkywatchDE so mit Nazis und anderem Gesocks gleichgesetzt wird und bin ein kleines, unwichtiges Licht. Das Phänomen, unliebsame Kritik sofort dem Feind zuzuordnen, rasant und ohne Nuancen zu verurteilen, bzw. anzuprangern, hat jedoch weitaus größere Implikationen.
Das Grundproblem: Die Abwesenheit von Grautönen
In sozialen Medien gilt häufig: Wer nicht uneingeschränkt auf einer Seite steht, wird der Gegenseite zugerechnet. Für TERFs bin ich eine TRA, für TRAs eine TERF. Ich bin beides nicht.
Bluesky erleichtert das Blocken – sogar über fremde Listen – so sehr, dass Differenzierungen verschwinden. Kritik aus den eigenen Reihen muss nicht mehr angenommen werden. Selbstreflexion wird überflüssig, solange man im „richtigen“ Lager steht. Im Artikel über „Digitale Sekten“ habe ich bereits erklärt, dass dies auch dazu führt, dass Leute aus den eigenen Reihen es nicht mehr wagen, Bedenken zu äußern, da der Ausschluss und das Abstempeln als Advokat der Gegenseite oft radikal und kompromisslos erfolgen. Bist du nicht 100% unserer Meinung, dann bist du inakzeptabel.
Auf diese Weise werden notwendige, eventuell auch unangenehme Diskussionen gar nicht erst geführt. Bei komplexen Themen, bei denen die Realität zu komplex ist, um ihr mit Pauschalantworten zu begegnen, ist eine Unterdrückung von Auseinandersetzungen mit Nuancen, Grauzonen und Nebeneffekten mindestens gesellschaftlich gefährlich. Schlimmstenfalls führen sie zu Leid und Gefahr für marginalisierte Gruppen, die Bauernopfer der fehlenden Nuanciertheit werden. So halten TERFs es für tragbar, Menschen in schlichten Alltagssituationen kompromisslos durch Misgendern zu beleidigen und vulnerable transFrauen Gewalt und Gefahren auszusetzen, weil es für TERFs seltene(!), und spezifische Situationen gibt, in denen für sie Grenzen überschritten würden (beispielsweise in Bezug auf die eigene Sexualität oder Entblößung). Die Bauernopfer der TRAs sitzen dagegen in Frauengefängnissen und in für Frauen bestimmte Schutzzonen und -programmen.
Diese kompromisslose Haltung findet aber auch anderweitig längst den Weg ins reale Leben: Parteien müssen die eigene Meinung zu hundert Prozent vertreten und sich keinerlei Fehltritte leisten, sonst gelten sie als untragbar. Bei Fehltritten von Idolen gibt es zwischen Verteufeln und Leugnung selten nuanciertere Reaktionen. Natürlich gibt es etliche unentschuldbare Verhalten, die eine starke und kompromisslose Reaktion rechtfertigen. Die Anwendung dieses Prinzips auf geringere Fehler oder Unstimmigkeiten wird aber zunehmend zur gesellschaftlichen Norm. Menschen mit leichten Fehltritten und ungeschickten Äußerungen oder mit anderer Schwerpunktsetzung bei gesellschaftlichen Themen werden abgewertet. Kompromisse, Akzeptanz oder gar „agree to disagree“ werden seltener. Wer mit seiner Meinung nicht ~100% „richtig“ steht, wird gerne gnadenlos abgesägt.
Um meinen Fall abzuschließen:
Zur Einordnung:
- Ich setze mich in meiner Firma aktiv für Trans-Akzeptanz ein.
- Ich habe behinderte Familienmitglieder und engagiere mich lokal für Inklusion.
- Ich unterstütze fremde behinderte Menschen auf Anfrage persönlich.
- Ich spende entsprechend.
- Unter meinen trans Bekannten bin ich willkommen.
Trotzdem stehe ich auf einer Liste mit Transfeinden und Ableisten.
Nach Rücksprache mit SkywatchDE per Direktnachricht wiegt die fehlerhafte Fremdeinordnung meines Accounts als „TERF“, weil Abstempeln und Anprangern so schön einfach ist, wohl mehr als meine tatsächliche Einstellung und meine Taten. Man ist dort eher unwillig, sich zu korrigieren und reagiert auch auf die (von SkywatchDE ursprünglich selbst vorgeschlagene) Gesprächsanfrage träge und nur nach einer expliziten Aufforderung durch Dritte. Eine Antwort auf die Korrektur ihrer Anschuldigungen gegen mich habe ich letztendlich dann gar nicht mehr bekommen. Funkstille.
Auch das ist bedenklich. Ein Account profiliert sich selbst als hilfreicher Türsteher, aber eine Reflektion über die eigene autoritäre Entscheidung für andere ist nicht erwünscht.
Die Macht einzelner Accounts
Listen wie die von SkywatchDE werden weiterhin abonniert werden – auch ich nutze fremde Listen. Der Schutzgedanke dahinter ist nachvollziehbar - rechtzeitig auf Empfehlung die Tür verschließen, statt sich erst mit schlechten Menschen abzugeben, ist ja eigentlich ein gutes Konzept. Problematisch wird es, wenn wenige Accounts darüber entscheiden, wer „mundtot“ gemacht wird, ohne dass man ihre Kriterien oder Motive kennt, noch darüber reden kann. Beliebte Listen mit gut klingenden Namen oder Beschreibungen suggerieren Objektivität, wo keine ist. Und ja, es gab bereits Accounts, die versucht haben, dies auszunutzen und vermeintlich „gegen rechts“ gerichtete Listen erstellt haben, um tatsächlich progressiven Accounts die Reichweite zu nehmen. Der Buschfunk lässt solche Versuche meistens schnell scheitern. Aber ein System, das meist zuverlässig und objektiv agiert und ab und zu mal einen unliebsamen Account einschmuggelt, ist da schon wesentlich effektiver.
Manche nutzen auch einfach die Größe eines solchen Blocksystems, um unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen, anstatt sich mit inhaltlicher Kritik auseinanderzusetzen. Ein einigermaßen gut konstruierter Hinweis an den Listenbetreiber, der ja nicht jede Seite befragen und allem nachgehen kann und will, reicht – und der unliebsame Account landet in der „Blockschublade“. Hat der Listenbetreiber persönliches Vertrauen zum Anprangerer, dürfte es sogar noch einfacher sein. Auch ich blocke schnell Accounts, die meine „Bubble“ auf Social Media mir als blockwürdig meldet - und mindestens eine Person hat meine persönliche Blockliste abonniert und schenkt mir damit bei der Einordnung vollstes Vertrauen.
Anekdotischer Exkurs: Nach Sichtung dieses Artikel schrieb mich ein Bluesky User an, dass wohl auch seine Partnerin auf einer Liste für queerfeindliche Menschen sei. Der User selbst is queer.
Fazit
Beim Abonnieren von Blocklisten sollte man sich bewusst sein, dass man damit dem Betreiber der Liste Macht über Inhalte und Diskurs gibt, selbst wenn man nicht weiß, wer dahinter steckt und welche Interessen verfolgt werden. Eventuell ist es sinnvoller, in einer Bubble wenigstens nicht die gleichen Listen zu abonnieren, oder gleich lieber eine eigene zu führen. Mal ehrlich: mit den meisten Accounts auf solchen Listen wären wir doch eh nie in Kontakt gekommen.
Inhaltlich ist mir die Zuschreibung übrigens egal: ableistisch, transfeindlich, dumm oder dürr – der Schuh passt nicht. Das Gefühl bleibt für mich dabei immer dasselbe: Es ist, als würde mir jemand ernsthaft raten, beim Betreten eines Raumes den Kopf einzuziehen, damit ich mich mit meinen 155 cm nicht am Türrahmen stoße.
Mein inneres Echo darauf ist dann eher ein verwirrtes: „Häh?“ 🤨
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