Die Debatten anlässlich der Kritik des SPD-Urgesteins Wolfgang Thierse offenbarten jüngst die wachsende Bedeutung von Identitätspolitik auch in Deutschland. Auch Begriffe wie „Postmodernismus“, „Wokeness“ und „Social Justice“ beschreiben allesamt dasselbe Phänomen. Der in den Vereinigten Staaten längst in aller Härte tobende „Kulturkampf“ befindet sich hierzulande zwar noch im Anfangsstadium, nimmt aber rasant an Fahrt auf. Bei ungehinderter Entwicklung wird er unsere Gesellschaft noch weiter entzweien.

Genesis und Entwicklungen
Die Entwicklung des akademischen Postmodernismus beginnt in den 1950er- und 1960er-Jahren als Reaktion auf tiefsitzenden Kulturpessimismus und kulminiert in den Schriften von Michel Foucault, Jacques Derrida und Jean-François Lyotard. Er zeichnet sich durch einen performativen Radikalskeptizismus aus: Dies äußert sich hauptsächlich in der Ablehnung kulturell dominierender Methoden der Wahrheitsfindung – sog. Metanarrative, so zum Beispiel Religion, Wissenschaft, aber interessanterweise auch Marxismus. Diesen Metanarrativen wird mit Dekonstruktion begegnet, indem ihr Objektivitätspotenzial offensiv negiert wird. Grob lassen sich hier vier Gedankenstränge identifizieren: die negative Konnotation von Grenzen bzw. Kategorien, Sensibilität für Sprache, Kulturrelativismus und eine Ablehnung von sowohl Individualismus, als auch Universalismus.1
Diese Form des Postmodernismus blieb jedoch auf den akademischen Raum begrenzt. Über seinen ursprünglich nihilistischen und selbstzerstörerischen Wesenszug hinaus wurde diese originär französische Kulturerscheinung im anglo-amerikanischen Raum adaptiert und mutierte in Kombination mit einem Identitätsfokus in verschiedene Teilgebiete mit dem Ziel, die Gesellschaft zu dekonstruieren und sie anschließend nach den Grundlagen des abstrakten Konzepts „Social Justice“ zu rekonstruieren. Die Essenz der Dekonstruktion blieb also, vermengte sich aber mit einem politischen Gestaltungsanspruch. Bis heute hat sich aus den verschiedenen Anwendungsfeldern dieses angewandten Postmodernismus („Gender Studies“, „Postcolonial Studies“, „Critical Race Theory“, „Queer Theory“ und neuerdings auch Obskuritäten wie „Disability“ und „Fat Studies“) eine mehr oder weniger kohärente Weltanschauung gebildet.

Sprung aus dem Elfenbeinturm
„Social Justice“-Theorien interpretieren die Welt als Geflecht aus Machtdynamiken und strukturellen Problemen (zumeist Diskriminierung). Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass sich besagte Dynamiken und Probleme in allen Interaktionen und Prozessen äußern, die in der Gesellschaft stattfinden – sie seien omnipräsent und eine Repräsentation der objektiven Wahrheit. Sollten ebensolche Konzepte ursprünglich abgelehnt werden, hat sich die „Theorie“ damit ein eigenes Metanarrativ geschaffen, das mit aller Macht und Gewalt durchgesetzt wird.
Nun mag man sich folgendes fragen: Das ist ja alles schön und gut, aber warum sollen absurde abstrakt-akademische Theorien nun „gefährlich“ sein? Das ist prima facie und vom Standpunkt eines distanzierten Beobachters ein durchaus nachvollziehbarer Einwand, verkennt jedoch die Art und Weise, wie besagte Theorien wirken. Mittlerweile hat sich eine milliardenschwere „Social Justice“-Industrie entwickelt, Unternehmen nehmen die ideologische Basis der „Theorie“ im eigenen Geschäftsinteresse wohlwollend auf (etwa mit sog. „Diversity-Managern“) und tragen so entscheidend zu ihrer Proliferation bei. Höhere Bildungseinrichtungen sind längst dabei, die politischen Forderungen punktgenau umzusetzen. Universitäten werden von Tempeln des Wissens, der Aufklärung und des Fortschritts, von glühenden Verteidigern freiheitlicher Werte in autoritär-ideologische Kaderschmieden verwandelt. Phänomene wie Political Correctness und Cancel Culture hängen mit dem universitären Verbreitungsraum eng zusammen, haben sich allerdings bereits darüber hinaus verbreitet. Die „Theorie“ hat die Geisteswissenschaften vereinnahmt, jüngst existieren mit der Idee sog. „Ethno-Mathematik“2 sogar Ansätze eines Einbruchs in die Naturwissenschaften.

Anti-Wissenschaft und ihre Folgen
Die Fusion von „Wissenschaft“ mit offensivem Aktivismus führt dazu, dass die „Theorien“ nicht mehr nur den Anspruch erheben, die Wirklichkeit zu beschreiben, sondern sie als Instrument einer „Social Justice“-Ideologie zu verändern – von Deskription zu Präskription. Der Wille zur Aktion geht dem nur augenscheinlich wissenschaftlich-deskriptivem Phänotyp also voraus und bestimmt seine Inhalte. Dies geschieht etwa, indem Sprache und Bilder „problematisiert“ und daraus politikpraktische Schlüsse gezogen werden.
Die Konsequenzen daraus tragen immer neue Früchte. Beispielhaft sei hier das nicht nur absurde, sondern auch gefährliche Konzept der „Research Justice“ genannt: Die in unserer Gesellschaft über Sprache und Wissenschaft vermittelten „Diskurse“ seien demnach lediglich ein Instrument „weißer, heterosexueller Männer“ zur Absicherung ihrer „Privilegien“. In der praktischen Umsetzung sollen in wissenschaftlichen Arbeiten bevorzugt „marginalisierte Stimmen“ zitiert werden, weil gerade eine Forschungskultur, die auf Beweisführung und rationaler Argumentation fußt (also im Prinzip die Quintessenz von Wissenschaft überhaupt) ein „Konstrukt“ dieser „privilegierten“ Gruppen sei. Traditioneller wissenschaftlicher Diskurs sei danach „epistemische Gewalt“ gegen von ihm auf essentialistischer Grundlage angeblich ausgeschlossene Gruppen. Die Tatsache, dass damit also nicht mehr die Qualität einer wissenschaftlichen Ausführung ausschlaggebend für ihre Rezeption sein soll, sondern einzig Eigenschaften, die in der Person des Autors liegen, ist dabei nicht nur anti-wissenschaftlich, sondern auch illiberal und anti-individualistisch.
Aber besagte Liaison von Theorie und Aktivismus verändert auch die Vorstellung von Bildung: Sie soll kein (soweit möglich) objektives Unterfangen mehr sein, sondern ein politischer Akt, die die einzig akzeptable Interpretation der Wirklichkeit vermitteln soll. Das klingt wie Indoktrination – und genau das ist es auch. Es wird erwartet, dass das von der „Theorie“ nunmehr produzierte Metanarrativ, gewissermaßen das Fundament eines reifizierten Postmodernismus, als objektive und absolute Wahrheit akzeptiert wird. Es sollen ausschließlich Arbeiten verfasst werden, die dieses Narrativ bekräftigen. Das klingt nach Totalitarismus – und genau das ist es auch. Aus der ursprünglichen Ablehnung entwickelte sich ein eigenes Metanarrativ (die „Wahrheit“ nach der „Theorie“) und daran geknüpft eine Art operative Mythologie, die praktifiziert und politisch anwendbar gemacht wurde. Der nur vorgebliche Kampf gegen Rassismus („Antirassismus“) oder andere Formen der Diskriminierung fungiert dabei als moralischer Lockvogel, um Ahnungslose zu gewinnen und sie schnell und effektiv einer Indoktrination im Sinne der „Theorie“ zu unterziehen.

Essentialistische Diskursvernichtung
Aus den anti-objektivistischen Prämissen des politischen Postmodernismus folgt ein weiterer Kernaspekt der „Theorie“: Die Annahme, dass eine bestimmte Position im Sozialgefüge innerhalb einer identitär definierten Gruppe zu denselben Erfahrungen von und Ansichten über Unterdrückung und Diskriminierung führt. Die eigene, relative Stellung innerhalb einer sozialen Hierarchie prädisponiert damit angeblich den eigenen Erfahrungs- und Wissenshorizont (Standpoint Theory). „Debatten“ (also ergebnisoffene, argumentative Auseinandersetzungen auf Augenhöhe) kann es demnach gar nicht mehr geben, schon gar nicht unter Angehörigen verschiedener Identitätsgruppen. Vielmehr sollen besagte Gruppen unter sich bleiben und ihre Erfahrungen mit Privilegien und Diskriminierung im Sinne einer Selbsthilfegruppe „reflektieren“. Wer davon ausging, „Rassentrennung“ gehöre der Vergangenheit an, liegt falsch. Solche „Racial Affinity Groups“ gehören bereits zum Alltag vieler Universitäten in den Vereinigten Staaten.3
Hieraus folgt in praktischer Perspektive wiederum etwa die erstrebte Umdeutung der repräsentativen Demokratie in das Erfordernis einer Replikation der Sozialstruktur der Gesellschaft (Paritätsgesetze) oder die Empörung über fehlende Repräsentanz „Betroffener“, etwa in Debatten über Rassismus oder Diskriminierung. Widerspricht jedoch ein Betroffener (d. h. etwa ein Schwarzer, ein Homosexueller oder eine Frau) den Thesen der „Theorie“ und offenbart eine andere Sichtweise auf diese Probleme, wird das nicht etwa als mögliche Perspektivenerweiterung akzeptiert und begrüßt, sondern als Tokenismus oder internalisierte(r) Rassismus/Homophobie/Sexismus verunglimpft. „Social Justice“ soll eben unfehlbar sein.

Zerstörungspfad einer selbstgerechten Sekte
Die Folgen, die sich aus einem solchen Postulat der Unfehlbarkeit ergeben, sind unverkennbar. Kritik an den Prämissen oder Methoden der „Theorie“ sind ausdrücklich unerwünscht. Widerspruch wird entweder als Resultat einer fehlenden „korrekten“ Auseinandersetzung mit ihren Inhalten, womöglich sogar als vermeintliche „Wissenschaftsfeindlichkeit“, im schlimmsten Falle als tiefgreifende moralische Verfehlung gedeutet. Die damit bezweckte Immunisierung vor kritischer Auseinandersetzung erinnert stark an fundamentalistische Lesarten diverser Religionen oder Sekten4: Wenn du nicht an die „Theorie“ glaubst, hast du selbstverständlich entweder die „heilige Schrift“ nicht richtig gelesen, oder du entscheidest dich bewusst für die „Sünde“. Es handelt sich damit eher um einen Mythos, der seinem äußeren Erscheinungsbild als „Wissenschaft“ nach pseudo-logifiziert wird, gleichsam aber materiell nicht wahrhaftig Logos ist.
Diese religiöse Qualität tritt mit der Zeit immer deutlicher zutage: Die „Hohepriester“ und Anhänger der „Social Justice“-Bewegung werden von Doktrinarismus, fehlender Akzeptanz von Meinungsverschiedenheiten und moralischem Sendungsbewusstsein geleitet. Die kulturkonstruktivistische Annahme, die Gesellschaft und die Gesamtheit ihrer Prozesse seien von omnipräsenten Machtdynamiken und -ungleichheiten durchsetzt, entfaltet manipulative Wirkung und ruft eine fast neurotische Geisteshaltung hervor. Keine Interaktion sei frei von diesen strukturellen Ungerechtigkeiten, jedes Verhalten, jede noch so simple und persönliche Unterhaltung sei in Subordinationsverhältnisse getränkt. Jonathan Haidt und Greg Lukianoff beschrieben dies treffend als umgekehrte kognitive Verhaltenstherapie,5 die den Betroffenen – anders als ihrer eigentlichen Zweckbestimmung nach – nicht hilft, sondern mit einer radikal negativen Interpretation der sie umgebenden Welt ein von Paranoia und Selbstsabotage gezeichnetes Mindset hervorruft. Zwischenmenschliche Interaktion wird dadurch völlig pervertiert, wenn nicht gänzlich verunmöglicht.

Die „Theorie“ hat immer Recht
Die „Social Justice“-Lehre steht Falsifikation, Argumentation und Widerspruch also feindselig gegenüber. Ihre unmittelbaren Entwicklungen blieben zunächst im akademischen Milieu und entfalteten damit nur mittelbaren Einfluss. Dies ändert sich jedoch seit einigen Jahren auf gefährliche Weise: Vor allem das 2018 von Robin DiAngelo, einer der wichtigsten Protagonisten der „Critical Race Theory“, veröffentlichte Werk White Fragility entfaltet als Bestseller großen Einfluss auch auf ein allgemeines Publikum. DiAngelo behauptet, jede Kritik an ihren Thesen von Weißen, d. h. schlicht und ergreifend aufgrund seiner Hautfarbe für eine „rassistische Gesellschaft“ verantwortlich gemacht zu werden, sei ein Ausdruck „weißer Fragilität“.6 Der einzige Weg, dieser Zuschreibung zu entgehen, ist die Zustimmung zu ihren Prämissen. Erkennst du unser Dogma nicht an, bist du vom Satan besessen. Du kannst dich von der Sünde nur reinwaschen, indem du unsere Heilslehre vollumfänglich als objektive Repräsentation der Wahrheit anerkennst. Weiße müssen ihr „Privileg“ (die „Erbsünde“) einsehen bzw. „gestehen“.7 DiAngelo wiederum wendet sich offen gegen die Prinzipien des liberalen Individualismus und damit verbunden das Konzept der „Farbenblindheit“, dem sich Martin Luther King und die „Civil Rights“-Bewegung verschrieben haben, die sie nonchalant als „Ideologie“ verunglimpft.8
Was „Social Justice“ bei ungehinderter Verbreitung anrichten kann, demonstrierten eindrücklich die Ereignisse am Evergreen State College im Bundesstaat Washington 2017: Als Prof. Bret Weinstein sich weigerte, am „Day of Absence“ für weiße Studenten und Mitarbeiter dem College fernzubleiben und Beweise für dort angeblich existierenden Rassismus verlangte, reagierte eine Gruppe von Aktivisten mit gewaltsamen Protesten. Die Situation eskalierte vollends und mündete in eine Art kollektiven Wahnsinn, der den Betrieb der Einrichtung völlig lahmlegte. Die Aktivisten bewaffneten sich, errichteten Barrikaden gegen die Polizei und nahmen einige Mitarbeiter faktisch als Geiseln.9 Es sind diese mikrokosmischen Ereignisse, die einen dunklen Vorgeschmack auf das liefern, was die „Theorie“ im Makrokosmos anrichten kann.
Führende Köpfe wenden sich explizit gegen jeden Widerspruch. Sie setzen sich nicht mit der Validität von Gegenargumenten auseinander, sondern unterstellen Kritikern, lediglich „ihre Privilegien zu verteidigen“.10 An dieser Stelle sei ein jüngeres Beispiel aus Deutschland genannt: Drei schwarze Frauen lehnten die Einladung des WDR zu einem Diskussionsabend zum Thema Rassismus mit der Begründung ab, es werde „eher eine Debatte, als Betroffenen zuzuhören“.11 Es soll also gar kein Austausch mit Argumenten stattfinden, sondern bestehende Narrative lediglich mit „gefühlten Wahrheiten“ bekräftigt werden. Es geht nicht um Wahrheitsfindung (den Anspruch von Wissenschaft schlechthin), sondern darum, ein spezifisches Verständnis von „Gerechtigkeit“ zu lehren und aktivistisch zu verarbeiten. Auch mit dem Aufzeigen logischer Widersprüche innerhalb ihrer Lehren stößt man auf eine Mauer, denn „Social Justice“ ist prononciert anti-logisch. Sie will auch überhaupt nicht „logisch“ sein, weil das Konzept Logik per se auch nur ein Konstrukt der weißen Mehrheitsgesellschaft sei.
Die „Theorie“ hat sich als prätentiöse Pseudowissenschaft in ein Glaubenssystem entwickelt, das einem toten Gott huldigt, fast mystische Kräfte in vermeintlichen Strukturen aus Macht und Privilegien sieht und den Opferstatus sanktifiziert. Die Glaubensinhalte werden mit evangelikalem Eifer und dem Ziel verbreitet, das gegenwärtige Gesellschafts-, Wirtschafts- und politische System in Rezeption marxistischer Konflikttheorie „zu zerstören“ und es durch ein neues zu ersetzen. Wie diese Vision genau aussehen soll, ist unklar. Man umschreibt sie mit wohlklingenden, aber gleichzeitig vagen Begriffen wie „Gerechtigkeit“, „Gleichheit“ oder – besonders plakativ – eben „Social Justice“.

Lichtblicke in der Finsternis?
Am Beispiel Robin DiAngelos lassen sich die Schäden verdeutlichen, die derartige Attitüden hervorrufen können. Wie reagieren Menschen, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie seien bloß aufgrund ihrer Hautfarbe „Komplizen“ eines rassistischen Systems und immer und in allen ihrer Handlungen rassistisch?12 Dies kann zu Abwehrreaktionen und unter Umständen sogar einer feindlichen Haltung „marginalisierten“ Gruppen gegenüber führen.13
Die Fiktion eines omnipräsenten Rassismus bekämpft real existierende Diskriminierung also nicht, sondern entfaltet eher kontraproduktive Wirkungen. Die Segmentierung der Gesellschaft in verschiedene Identitätsgruppen und die Konstruktion einer intersektionalen „Opferhierarchie“14 lassen den gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhalt erodieren und im schlimmsten Falle gänzlich zerbrechen. Die Folgen der Einflussnahme der „Theorie“ auf nahezu alle Lebensbereiche sind jenseits des Atlantiks am deutlichsten spürbar. Die US-amerikanische Gesellschaft ist gespalten wie nie und die schädliche Verbreitung eines aggressiv-puristischen Wokeismus spielte eine zentrale Rolle bei der Wahl Donald Trumps. Hillary Clinton verlor durch ihre maßlos arrogante Haltung den sog. „Deplorables“ („Beklagenswerten“) gegenüber massenhaft traditionelle Wählergruppen der Demokraten an die Republikaner.15 Es bleibt nur zu hoffen, dass uns ein solches Schicksal nicht auch in Deutschland droht.
Angesichts dieser düsteren Prognosen gibt jedoch auch Lichtblicke. In den USA entwickelt sich ein gesteigertes Bewusstsein für die Problematik im Gefolge der „Theorie“ (s. etwa der Erfolg des Grundsatzwerkes Cynical Theories von Helen Pluckrose und James Lindsay). Hierzulande wurde das Thema zuletzt im Rahmen der von Thierse geäußerten Kritik am „identitätspolitischen Kurs“ seiner Partei intensiv diskutiert. Die Tatsache, dass die Kritik großen Zuspruch nicht nur aus dem bürgerlichen Lager, sondern sogar aus dem linken Spektrum erhielt, lässt hoffen. In erster Linie liegt es an Zivilgesellschaft und Politik, die Gefahren der „Social Justice“-Ideologie aufzuzeigen und sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Andernfalls bedeutet das angesichts der zerstörerischen Wirkung dieses Gedankenguts das Ende der westlichen Zivilisation wie wir sie kennen.

Fußnoten:

  1. Pluckrose/Lindsay, Cynical Theories. How Activist Scholarship Made Everything About Race, Gender and Identity (2019), S. 39 ff.
  2. Die (an sich bereits hochgradig rassistische) Behauptung, Mathematik sei ein inhärent „rassistisches, weißes Konstrukt“ zur Unterdrückung von Minderheiten und daraus zu ziehende Schlüsse. Dazu: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/usa-benachteiligung-in-mathematik-wegen-herkunft-17222203.html.
  3. Beispielhaft für die Harvard T. H. Chan School of Public Health: https://www.hsph.harvard.edu/diversity/resources/anti-racism/affinity-group-dialogues/.
  4. Lindsay unterscheidet im Rahmen der Funktionalität dieses Sektencharakters drei Phasen bei der Gewinnung neuer Mitglieder: Initiation, Indoktrination und Reprogrammierung. Vgl. ders., The Cult Dynamics of Wokeness (2020): https://newdiscourses.com/2020/06/cult-dynamics-wokeness.
  5. Haidt/Lukianoff, The Coddling of the American Mind: How Good Intentions and Bad Ideas Are Setting Up a Generation for Failure (2019), S. 36 ff.
  6. DiAngelo, White Fragility: Why It Is So Hard to Talk to White People about Race (2018), S. 57. Die Ideen DiAngelos sind im deutschsprachigen Kontext von Alice Hasters direkt rezipiert worden. Vgl. dies, Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten (2019). Vertiefend dazu Lindsay, The Problem with White Fragility (2020): https://newdiscourses.com/2020/06/problem-white-fragility/
  7. Applebaum, Being White, Being Good: White Complicity, White Moral Responsibility, and Social Justice Pedagogy (2010), S. 31.
  8. DiAngelo, White Fragility, S. 142.
  9. Kurze und illustrative Zusammenfassung: https://www.youtube.com/watch?v=2cMYfxOFBBM&t=70s&ab_channel=VICENews.
  10. Instruktiv am Beispiel von Bailey, Tracking Privilege-Preserving Epistemic Pushback in Feminist and Critical Race Philosophy Classes (2017), S. 886 oder auch Applebaum, Being White, Being Good, S. 108.
  11. https://uebermedien.de/58416/warum-drei-schwarze-frauen-bei-der-wdr-runde-zu-rassismus-abgesagt-haben/.
  12. DiAngelo fordert eine solche Klassifizierung direkt. Vgl. dies, White Fragility, S. 89. Die Folgen illustrierte Pascal Bruckner bereits in einem lesenswerten Interview mit der WELT: https://www.welt.de/kultur/plus224995959/Pascal-Bruckner-Die-einzige-Identitaet-die-den-Weissen-noch-erlaubt-ist-ist-die-Identitaet-der-Reue.html.
  13. Hierzu existieren bereits einschlägige Studien, s. etwa Rock/Grant, Is Your Company’s Diversity Training Making You More Biased? (2017): https://www.psychologytoday.com/us/blog/your-brain-work/201706/is-your-company-s-diversity-training-making-you-more-biased.
  14. Die Idee des Intersektionalismus geht auf Crenshaw zurück. Vgl. dies, Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics and Violence Against Women of Color (1991).
  15. Dazu instruktiv vor kurzem die Neue Zürcher Zeitung: https://www.nzz.ch/meinung/wolfgang-thierse-hat-recht-identitaetspolitik-ist-gift-ld.1606241?reduced=true.

Foto: © Annette Bernhardt, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en

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