Kürzlich las ich einen Artikel auf Über Medien von letzter Woche. Darin wurden 57 Fragen gestellt am Tag nach der Europawahl. Ich hab mich mal hingesetzt und die für mich beantwortet …

1. Sind Sie heute auch so müde wie wir?

Nö, war ich eigentlich nicht, da mich das Ergebnis nicht sonderlich überrascht hat.

2. Wie müssten Medien über die AfD berichten, damit sie weniger gewählt wird?

Im Zusammenhang mit der AfD müsste vor allem mal auf sozialpolitische Themen fokussiert werden. Stattdessen werden immer wieder typische AfD-Themen in den Mittelpunkt der Berichterstattung und von politischen Talkshows gestellt und dazu dann auch noch AfDler zu Wort gebeten (s. dazu hier).

3. Oder ist das die falsche Frage?

Nein, die Frage ist ganz genau richtig und wichtig. Vor allem wenn man dann zu dem Schluss kommt, dass neoliberale Medienschaffende offenbar gar kein Interesse daran haben, die AfD möglichst nicht immer größer werden zu lassen.

4. Haben die etablierten Medien die Politik der Ampelparteien zu wenig kritisiert?

Zu wenig bestimmt nicht, aber vor allem meistens für die falschen Sachen (s. dazu hier). Wird ja schon einen Grund geben, dass der Wahlkampf der rechten Parteien von CDU bis AfD vor allem auf „Weg mit der Ampel“ basierte und nicht auf eigenen Konzepten (die sie meistens ja auch gar nicht haben).

5. Oder, im Gegenteil, zu heftig draufgeschlagen?

Wie eben schon angedeutet: vor allem auf unsachliche Art und Weise draufgeschlagen. Und meistens schön die FDP außen vor gelassen, obwohl diese ja nun die destruktivste Rolle in der Koalition spielt.

6. Wie viel Ampel-Hass beruht auf tatsächlichen Entscheidungen der Regierungskoalition, wie viel auf Schlagzeilen über „Dauer-Streit“?

95 % auf Schlagzeilen, würde ich mal so schätzen.

7. Gab’s eigentlich eine Wahlparty in der Pony Bar und wieso hat noch niemand die Videos davon veröffentlicht?

Vermutlich eher nicht, dazu ist bisher noch zu wenig Gras über die Sache gewachsen. Aber das ist ja vermutlich eh eine eher lustig gemeinte rhetorische Frage.

8. Darf man überhaupt noch lustige Fragen stellen?

Unbedingt! Denn die AfD trifft man am meisten, wenn man sich über diese Pappnasen lustig macht.

9. Hat sich Tom Buhrow schon entschuldigt?

Hab ich was nicht mitbekommen? Das war doch das letzte Mal prominent bei dem Oma-im-Hühnerstall-Gedöns der Fall. Was hat das hiermit zu tun? Oder hab ich nur gerade den Witz nicht kapiert?

10. Warum hören und lesen wir so oft von „Protestwählern“, wenn 70 Prozent der AfD-Wähler:innen sagen, dass sie die Partei wegen ihrer politischen Forderungen wählen?

„Protestwähler“ hört sich eben besser und vor allem harmloser an, als wenn man sich eingesteht, dass die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte die Menschen zunehmend entsolidarisiert und zu menschenverachtenden Agitatoren treibt (s. hier).

11. Berichten Medien genug über die Themen, die Menschen zur AfD treiben?

Nö, tun sie nicht. Die springen in der Regel nur auf das Sündenbock-Gekeife der AfD an, thematisieren dann Geflüchtete u. Ä., was aber nichts mit den realen Nöten der Menschen im Land zu tun hat. Aber das, was die Menschen zur AfD treibt, wäre dann ja auch, wenn man es kritisch sieht, nur mit Systemkritik vorzubringen. Uiuiuiui – das ist eben nicht unbedingt erwünscht.

12. Oder zu viel?

Mit Sicherheit nicht, s. die Antwort hiervor.

13. Oder in falscher Weise?

Das trifft es eben schon: Man springt zu gern über die Stöckchen, die von der AfD hingehalten werden, anstatt die Blaubraunen selbst über Stöckchen springen zu lassen, mit denen sie beispielsweise ihren marktradikalen Wesenskern offenbaren würden.

14. Kaufen Menschen die NZZ, um am Tag nach so einer Wahl die „Analyse“ zu lesen: „Das Problem ist der Kanzler“?

Da die NZZ meines Wissens eher von Konservativen gelesen wird: ja. Denn Konservative suchen ja bei Problemen (genau wie noch weiter rechts Stehende) nie nach Lösungen, sondern stets nach Sündenböcken.

15. Hat es Ulf Poschardt dieses Mal zur Wahl geschafft?

Hoffentlich nicht, denn der wählt mit Sicherheit etwas, wovor sich zivilisierte Menschen ekeln.

16. Wie viel Mitschuld trägt Julian Reichelt, so allgemein?

Julian Reichelt ist durch seine Arbeit bei BILD und nun mit seinem neuen rechten Hetzportal Nius mit Sicherheit nicht unbeteiligt daran, rechtes Gedankengut zu verbreiten und hoffähig zu machen. Dass solche Gestalten in der Medienbranche in führenden Positionen kommen, ist m. E. ein ziemlich großes Problem – allerdings offenbar nicht für diejenigen, die so einen Typen einstellen und beschäftigen.

17. Welche Medien würden Sie konsumieren, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?

Die gleichen wie sonst auch immer.

18. Welche Art von Journalismus hilft gegen Populismus?

Sachliche Berichterstattung mit nachvollziehbaren Belegen, dazu auch mit einer guten Meinungspluralität versehen. Wobei Lügen nicht als Meinung durchgehen sollten. Zudem wären mehr Journalisten mit Haltung notwendig, die Antidemokraten keine Bühne bieten und von Politikern verbreiteten Unwahrheiten deutlich widersprechen.

19. Würde es helfen, wenn der „Stern“ endlich die Höcke-Tagebücher veröffentlicht?

Um Himmels willen, wer will denn lesen, was in dessen verdrehtem, piefigem Hirn so vor sich geht? Das Schlimme ist bei Höcke (im Gegensatz zu vielen anderen AfD-Karrieristen): Der glaubt offensichtlich, was er da so an Müll von sich gibt. Insofern wären Tagebücher von ihm wohl wenig aufschlussreich oder gar entlarvend.

20. Was bringt es, vor „Rechtsextremismus“ zu warnen, wenn dieses Label über 80 Prozent der AfD-Wähler:innen gar nicht abschreckt?

Rechtsextremismus ist für viele eine recht vage Angelegenheit, deswegen jammern Rechtsextreme ja auch immer, wenn man sie als Rechtsextreme bezeichnet. Die bringen sich selbst damit gar nicht in Verbindung, das ist für die eine Art Stigmatisierung des „linksgrünversifften Establishments“. Besser wäre es auch hier mal wieder, auf die realen sozial- und wirtschaftspolitischen Forderungen der AfD zu fokussieren, um die Blaubraunen zu entzaubern.

21. Was bedeutet es für die AfD-Berichterstattung, wenn Menschen die Partei möglicherweise extra wählen, weil sie „dämonisiert“ wird?

Das ist so wie das Silvesterböllern, wenn man noch nicht 18 ist: Der Reiz des Verbotenen macht da den größten Teil des Spaßes aus. Zudem: Wenn Menschen nachvollziehbarerweise die Schnauze voll haben von der immer gleichen neoliberalen Politik nur mit jeweils etwas anderem Anstrich, dann wird das, was „dämonisiert“ wird, auf einmal attraktiv. Aber das ist ja m. E. auch der eigentliche Sinn dieser „Alternative“, die keine ist: die Unzufriedenen einzufangen und von Systemkritik abzuhalten, indem man genauso neoliberal wie der Rest ist, aber eben einiges an volkstümlichen Abartigkeiten raushaut (s. hier).

22.Warum sollten AfD-Wähler:innen Medien konsumieren, die sie als ihre Gegner empfinden?

Um sich einer offenen Diskussion zu stellen und eventuell den eigenen Standpunkt zu revidieren, wenn dieser sich als unhaltbar herausstellen sollte. Das Problem dabei: Gerade AfD-Wähler unterliegen in großem Maße dem Alter-weißer-Mann-Syndrom (s. hier), sodass es ihnen vor allem darum geht, recht zu haben und ihre Ansichten bestätigt zu bekommen. Solche Menschen sind über Medien m. E. ohnehin nicht mehr zu erreichen.

23. Wird Landolf Ladig MDR-Intendant, wenn Björn Höcke bei der Landtagswahl in Thüringen gewinnt?

Nee, den Job kriegt Götz Kubitschek.

24. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk für alle da ist, muss er dann auch die politischen Präferenzen der AfD-Wähler:innen widerspiegeln, insbesondere in den ostdeutschen Ländern, wo die AfD stärkste Partei ist?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gibt den AfD-Wählern ja schon genügend Futter. Allerdings gibt es ja auch klare Ansagen im Programmauftrag: „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. […] Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern.“ Hier nun antidemokratische und mit Sicherheit nicht integrative oder völkerverständigende Aussagen als legitime Meinungsäußerungen darzustellen, widerspricht diesem Auftrag. Insofern: klare Kante gegen Rechts sollte da allein deswegen schon Maxime sein.

25. Ist es ein Problem, wenn die Positionen einer sehr großen Zahl von Wähler:innen – zum Beispiel zu Russland – in den Medien nur absolute Minderheitenpositionen sind?

Solange Positionen sich im demokratischen und rechtsstaatlichen Spektrum befinden, sollten sie auch in den Medien Widerhall finden und entsprechend dargestellt werden, da sonst der Vorwurf der einseitigen Berichterstattung schnell zur Hand ist und generalisierte Medienschelte zur Folge hat. Leider ist die Unausgewogenheit von Positionen ja immer wieder zu beobachten, gerade auch wenn es um progressiv systemkritische Ansichten geht.

26. Muss der sogenannte „Meinungskorridor“ breiter werden?

Wenn damit gemeint ist, sich der „Das wird man ja noch sagen dürfen“-Fraktion anzubiedern, dann ganz klar: nein. Wie eben schon gesagt: Demokratisch und rechtsstaatlich legitime Positionen sollten hingegen schon ausgewogen dargestellt werden.

27. Was bedeutet es für die Berichterstattung von Lokalmedien, wenn in einer Kommune die AfD die stärkste Kraft ist?

Dann müssen die Journalisten eben so viel Arsch in der Hose haben, dass sie sich mit ihrer lokalen Obrigkeit anlegen. Ansonsten schaffen sie sich letztlich irgendwann selbst ab, denn Faschisten halten ja nun mal nicht so viel von freier Presse.

28. Hat Rainer Wendt schon bei „Welt“ das Wahlergebnis analysiert?

Ist mir wurscht, da ich die Aussagen sowohl von Wendt als auch von der WELT nicht ernst nehmen kann.

29. Wie viel Einfluss haben Medien überhaupt darauf, wie Menschen wählen?

Ziemlich viel. Das Wahlprognosen, die über Medien zur Verfügung gestellt werden, einen Einfluss auf das Wahlverhalten haben, ist ja schon länger bekannt (s. hier). Genauso wie zu beobachten war, dass die FDP immer wieder in Fernsehsendungen auftauchte zu einer Zeit, als sie nicht mal im Bundestag war, weil eben viele Chefredakteure und Alphajournalisten FDP-Fans sind und so die Partei gepusht haben (bei der BILD kam das ja sogar ganz direkt raus über geleakte Mails von Mathias Döpfner; s. hier). Zudem bestimmen Medien, vor allem die sogenannten Leitmedien mit großer Reichweite, welche Themen überhaupt in den öffentlichen Diskurs kommen und welche nicht. Als Stichwortgeber der AfD bringt man dann natürlich auch mehr Leute dazu, die Blaubraunen zu wählen (s. hier).

30. Überschätzen wir diesen womöglich?

Nein, ganz sicher nicht.

31. Und welchen Einfluss sollten sie haben?

Wünschenswert wäre, wenn Medien dazu beitragen würden, politische Inhalte zu vermitteln und diese auch mit Parteipositionen abzugleichen, statt überwiegend oberflächliche und auf Krawall gebürstete Formate anzubieten. Die Anstalt macht das beispielsweise hervorragend, auch andere Satiresendungen bieten gut recherchierte und sogar investigative Informationen, die eigentlich eher nicht in ein komödiantisches, sondern in ein politisches Sendungsformat gehörten. Zurzeit treiben die meisten Medien allerdings leider die Entrationalisierung voran – und beteiligen sich fleißig an der Teile-und-herrsche-Strategie, indem zunehmend nicht auf Dinge fokussiert wird, bei denen es Übereinstimmung gibt, sondern Triggerpunkte in den Vordergrund gestellt werden, an denen sich die Menschen dann (auf)reiben.

32. Erreichen Journalist:innen mit ihrer Politikberichterstattung irgendwen unter 25 Jahren?

Gute Frage – ich fürchte, dass viele junge Menschen mittlerweile derartige Aufmerksamkeitsdefizite haben (s. hier und hier), dass sie kaum noch in der Lage sind, längere Texte zu lesen und so auch komplexere Sachverhalte zu verstehen, die sich eben nicht in zwei Sätzen hinreichend erläutern lassen. Dass viele der jungen Menschen mittlerweile AfD wählen (s. hier), weist ebenfalls in diese Richtung. Leider sind unsere Schulen ja in einem erbärmlichen Zustand (s. hier), sodass kaum zu erwarten ist, dass dort entsprechend gegengesteuert wird, indem politische Inhalte und Medienkompetenz stärker vermittelt würden.

33. Tun wir das bei Übermedien?

Ich fürchte, dass Eure Texte zu lang sind für viele Unter-25-Jährige …

34. Nutzen die 16 Prozent der Unter-25-Jährigen, die die AfD gewählt haben, die gleichen Medien wie die, die demokratische Parteien gewählt haben?

Ich tippe mal, dass die vorwiegend auf TikTok unterwegs sind, dort ist die AfD ja auch von allen deutschen Parteien am stärksten vertreten. Klar: populistische Parolen kann man auf dort natürlich bestens präsentieren, komplexe Inhalte eher weniger. Was mir bei dieser Frage aber sonst ein wenig aufstößt, ist, dass CDU/CSU und FDP immer noch wie selbstverständlich zu den demokratischen Partien gezählt werden. Die kungeln ja nicht nur schon andauernd mit der AfD (nicht nur in Thüringen), sondern sind aufgrund ihrer Politik und ihrem ständigen Verhindern von Transparenz schon reichlich mit daran beteiligt, dass immer mehr Menschen am parlamentarischen Politbetrieb verzweifeln und dann so was wie die AfD wählen.

35. Haben klassische Medien im Wettbewerb mit TikTok und Co. sowieso schon verloren?

Mit Sicherheit nicht. Ich kenne einige junge Menschen, die keine Lust mehr auf TikTok haben, weil ihnen das zu oberflächlich ist und sie zudem das Suchtpotenzial des dort verwendeten Algorithmus durchschauen. Also nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern überlegen, wie man zusammen mit Eltern, Lehrern und auch der Politik junge Menschen wieder dafür gewinnen kann, sich mit Inhalten von mehr als 30 Sekunden Länge auseinanderzusetzen. Das wird in unserem aktuellen neoliberalen Wirtschaftssystem und dem damit verbundenen Zeitgeist allerdings schwierig.

36. Oder machen wir es uns zu einfach, wenn wir den sozialen Medien die Schuld an allem möglichen geben?

Ja. Soziale Medien sind m. E. eher ein Symptom, das natürlich verstärkend auf gesellschaftliche Trends einwirken kann. Zudem können soziale Medien ja auch konstruktiv genutzt werden.

37. Müssten wir als Medienmagazin viel mehr kritisch über TikTok berichten?

Ist die Frage, ob das dann nicht so was wie predigen zu den Gläubigen wäre. Wer Über Medien liest, dürfte weniger auf TioTok unterwegs sein. Andererseits: Problematisieren kann nie schaden, und ich hab den Eindruck, dass viele Eltern gar nicht so richtig wissen, was ihre Kids da so den ganzen Tag auf TikTok treiben.

38. Was sagt Checker Tobi dazu, dass so viele junge Leute die AfD gewählt haben?

Da müsste man ihn wohl mal fragen … Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass er nicht so begeistert davon ist.

39. Was bringt es, wenn Journalist:innen jetzt wieder symbolisch in „AfD-Rekorddörfer“ fahren, um die Leute da zu beäugen?

Ich schätze mal: nichts. Das ist m. E. nichts anderes als sensationsheischender Oberflächenjournalismus, der vor allem Symptome schildert und die Ursachen außen vor lässt.

40 .Oder müssten Journalist:innen noch viel öfter in „AfD-Rekorddörfer“ fahren, um den Leuten da Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen ernsthaft zuzuhören?

Solchen Leuten wird doch viel zu oft ernsthaft zugehört, sodass die sich in ihrer irrationalen Weltsicht auch noch bestätigt fühlen. Versucht man nun schon seit fast zehn Jahren und hat ja nicht so richtig toll geklappt, oder? Zeit, vielleicht mal was anderes auszuprobieren …

41. Müssen wir Paul Ronzheimer in den Osten schicken?

Oh ja, super Idee, mehr BILD brauchen die Menschen da bestimmt. Nicht.

42. Wann hört die AfD auf, sich als arme, von Medien verfolgte Opferpartei zu beweinen?

Nie. Das ist ja deren Erfolgsmasche. Und selbst wenn die Blaubraunen immer wieder über Gebühr wohlwollend in Medien behandelt werden und schön deren Themen bespielt werden, werden sie sich beim nächsten Gegenwind wieder als Opfer darstellen. Das verfängt offensichtlich bei einem Anhang, der selbst zu einem nicht unerheblichen Teil zu den Opfern unseres Wirtschaftssystems gehört. Insofern sollte man der AfD lieber zu verstehen geben: „Klar seid ihr Opfer, ihr seid ja auch für zivilisierte Menschen gesellschaftlich inakzeptabel. Also heult gefälligst leiser!“ Und vor allem sollte man der AfD zu verstehen geben, wie es sich anfühlt, wenn man wirklich zu einem Opfer der Medien wird, und das geht nun mal nicht mit Freundlichkeit.

43. Merken AfD-Wähler:innen eigentlich, was für ein Geheule das ist?

Nö, merken die meisten zumindest nicht. Aber passt halt, wie eben schon bei 42. geschrieben, zu ihrem eigenen Gefühl in unserer Gesellschaft. Zudem bekommt die AfD dadurch absurderweise ein Flair von Anti-Establishment – was verkehrter nicht sein könnte, wenn man sich deren Parteigranden mal so anschaut.

44. Wer hängt sich ernsthaft solche Plakate auf?

Also, ich kenn da niemanden … aber irgendjemanden wird es schon geben. Gibt ja auch Leute, die auf die E-Mail vom nigerianischen Prinzen antworten, der ihnen ein Millionengeschenk verspricht …

45. Sollten Medien die AfD aktiv bekämpfen?

Natürlich! Denn sollte die AfD mal an die Macht kommen, dürfte es mit der Pressefreiheit schnell vorbei sein. Einfach mal gerade nach Italien schauen, da sieht man ja, was passiert, wenn Faschisten an der Regierung sind. Die AfD nicht aktiv zu bekämpfen bedeutet also für Journalisten, massiv an dem Ast zu sägen, auf dem man selbst sitzt.

46. Oder wenigstens mit aller Kraft für die Demokratie kämpfen?

So diese Medien selbst die Demokratie für eine gute Sache erachten, sollten sie das dringend machen – ist zurzeit leider sehr notwendig.

47. Aber was würde das konkret bedeuten?

Vor allem wäre es wichtig, wie schon gesagt, sich nicht immer weiter sich zum Handlanger der Teile-und-herrsche-Strategie zu machen, sondern gesellschaftlichen Konsens stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Zudem muss Journalismus sauber arbeiten, um wieder Glaubwürdigkeit als „vierte Macht“ zu bekommen. Das heißt dann beispielsweise auch, sich von Hetzblättern wie BILD zu distanzieren und nicht von denen auch noch abzuschreiben.

48. Brauchen wir mehr oder weniger Haltung im Journalismus?

Kommt drauf an. Mehr neoliberale Haltung bestimmt nicht, davon gibt es mehr als genug, sondern mehr Haltung im Sinne von konstruktiver Kritik an Regierung und Opposition im Sinne der Demokratie, Menschenrechte und gesellschaftlichen Solidarität anstatt pro Egoismus, Konkurrenzdenken und was es sonst noch so für kaputte neoliberale Werte gibt. Haltung sollte vor allem immer auch die Schwächeren im Blick haben und für sie Partei ergreifen – leider ist oft das Gegenteil der Fall.

49. Wie vielen Menschen ist Pressefreiheit eigentlich egal?

Leider wohl recht vielen, denn die wollen meistens nur das hören, was ihnen in den Kram passt – und dafür braucht es keine Pressefreiheit, sondern nur PR-Schreiber.

50. Warum hörte sich viel Wahlberichterstattung gestern so an, als ginge es vor allem um einen „Stimmungstest“ für Deutschland?

Das Wahlergebnis spiegelt ja ziemlich die Rezeption der Bundespolitik in den letzten Jahren wieder, zudem stehen dieses Jahr einige Wahlen an, bei denen die AfD stärkste Partei werden könnte. Das wird in anderen Ländern allerdings offenbar auch so gehandhabt – oder warum sollte Emmanuel Macron sonst das Parlament in Frankreich auflösen?

51. Und nicht darum, über die Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes zu entscheiden?

Europapolitik ist für viele Menschen kaum noch nachvollziehbar – zu kompliziert, und zudem wird von vielen Medien ja immer wieder auf „die schlimmen Bürokraten“ in der EU eingedroschen. Zudem hat das Europaparlament ja auch nur sehr beschränkte politische Handlungsmöglichkeiten. Na ja, und dass beim letzten Mal dann eine Politikerin zur Präsidentin der EU-Kommission ernannt wurde, die überhaupt nicht zur Wahl stand, stärkt bestimmt auch nicht das Vertrauen in die europäischen Institutionen …

52. Was wäre anders, wenn es mehr Medien gäbe, die für ganz Europa berichten würden?

Vielleicht würden die Menschen dann mehr Gemeinsamkeiten der Europäer erkennen und die Vorteile sehen, welche die EU für uns alle im alltäglichen Leben bringt.

53. Wissen wir selbst genug über Europa? (Wie viele Fraktionen hat noch gleich das Europäische Parlament?)

Kommt drauf an, wer „wir“ ist. Wer sich informieren möchte, kann das ja ohne Probleme machen dank Internet, aber ich fürchte, dass die meisten daran einfach nicht interessiert sind. Die wählen dann lieber nach Image als nach europapolitischen Inhalten. Und wenn ich mir die Wahlplakate so anschaue, ist das auch kein Wunder – das war ja nun praktizierte Inhaltsarmut par excellence.

54. Was lässt sich aus der Europawahlberichterstattung für die Wahlen im Herbst lernen?

Ich hab das, ehrlich gesagt, wenig verfolgt, da mir klar war, was ich wählen würde. In jedem Fall sind solche Sachen wie das Höcke-Voigt-Interview auf WELT TV schon übel, denn solche Leuten sollte man keine Plattform bieten, die sie dazu nutzen, sich als halbwegs normal darzustellen. Aber gut: Springer, was will man da schon erwarten? Ansonsten, wie schon gesagt, sollte die AfD mal auf die Programmpunkte festgenagelt werden, die nichts mit „Ausländer raus!“ zu tun haben, sondern mit Sozialpolitik. Vielleicht erreicht man damit dann ja den einen oder anderen Wähler der Blaubraunen, der davon null Ahnung hat bisher (s. hier). Und vor allem: richtig harte Bandagen raus gegen die AfDler und auch ihre potenziellen Koalitionspartner von CDU/CSU und FDP.

55. Dürfen Medien sich auf die Schulter klopfen, weil sie immerhin zu einer hohen Wahlbeteiligung beigetragen haben?

Wenn eine hohe Wahlbeteiligung, die generell etwas Positives ist, dazu führt, dass viele Nichtwähler offenbar nun Rechtsextreme wählen, dann haben die Medien insgesamt da wohl etliches falsch gemacht und mit Sicherheit keinen Grund, sich dafür noch selbst zu feiern.

56. Was darf Satire?

Im Grunde alles – und von mir aus auch gern deftig und schwarzhumorig. Allerdings sollte Satire schon zusehen, nicht im Sinne der Herrschenden auf die Schwächsten der Gesellschaft einzudreschen, sondern eben genau die Mächtigen kritisieren. Also das Gegenteil von dem, was beispielsweise Dieter Nuhrmacht. Und auch PR für ewiggestrige Großunternehmen, wie sie gern von Vince Ebert präsentiert wird, zudem noch garniert mit wissenschaftlichen Fake News, gehört sich m. E. nicht für Satire.

57. Und was fragen Sie sich?

Mag etwas zynisch erscheinen, aber ich frage mich, wo wohl die nächste Naturkatastrophe in Deutschland stattfinden wird – und hoffe, dass das nicht wieder wie im letzten Oktober bei mir um die Ecke sein wird. Wobei das ja offensichtlich auch nicht ausreicht, um den Leuten mal die Einsicht zu vermitteln, dass Klimaschutz nicht nur extrem wichtig, sondern mit Union, FDP und AfD (die zusammen mehr als 50 % der Stimmen erhalten haben bei der EU-Wahl) auch nicht zu machen ist. Und dann frage ich mich noch, ob Friedrich Merz in zwei Jahren schon mit der AfD koalieren wird nach der Bundestagswahl, nachdem auf EU-Ebene ja immer stärker vonseiten der Konservativen mit Rechtsextremen zusammengearbeitet wird (s. hier und hier).

Ob das nun so beabsichtigt war von Über Medien, diese Fragen auch tatsächlich alle zu beantworten? Keine Ahnung – in jedem Fall hat es mir dabei geholfen, noch einmal ein wenig über das Wahlergebnis und wie es zustande gekommen ist nachzudenken. Und das kann ja nun wahrlich nicht schaden, oder?

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