Fast jeder von uns hat irgendwann einmal Kreuzschmerzen, die uns dann das Leben zur Hölle machen. Viele gehen dann zu alternativen Heilern -- Heilpraktikern, Osteopathen, Akupunkteuren, Chiropraktikern, etc. - denn konventionelle Mediziner haben in Bezug auf Rückenprobleme Scheuklappen auf und taugen ja bekanntlich nichts. Dass diese weit verbreitete Meinung so nicht ganz stimmt, stellt ein jüngster Artikel im Lancet (eine der führenden Zeitschriften der konventionellen Medizin) dar[1]. Hier meine Übersetzung der Zusammenfassung:
Schmerzen im unteren Rückenbereich umfassen ein Spektrum verschiedener Schmerztypen (z. B. nozizeptiv, neuropathisch und nociplastisch oder unspezifisch), die sich häufig überschneiden. Die Elemente, aus denen die Lendenwirbelsäule besteht (z. B. Weichteilgewebe, Wirbel, Zygapophysen- und Iliosakralgelenke, Bandscheiben und neurovaskuläre Strukturen), sind anfällig für unterschiedliche Stressoren, und jeder dieser Faktoren kann allein oder in Kombination zu Kreuzschmerzen beitragen. Aufgrund der zahlreichen Faktoren, die mit Kreuzschmerzen in Verbindung stehen, und der geringen Spezifität von bildgebenden Verfahren und diagnostischen Injektionen werden die diagnostischen Methoden für diesen Zustand weiterhin kontrovers diskutiert. Das biopsychosoziale Modell geht davon aus, dass Kreuzschmerzen eine dynamische Interaktion zwischen sozialen, psychologischen und biologischen Faktoren sind, die sowohl prädisponieren als auch aus einer Verletzung resultieren können und bei der Erstellung interdisziplinärer Behandlungspläne berücksichtigt werden sollten. Die Prävention von Kreuzschmerzen wird als eine zentrale Herausforderung in Hochrisikopopulationen anerkannt, um die hohen Gesundheitskosten für Therapie und Rehabilitation in den Griff zu bekommen. Die Therapie hängt weitgehend von der Schmerzklassifikation ab und beginnt in der Regel mit Selbstbehandlung und Pharmakotherapie in Kombination mit nicht-pharmakologischen Methoden, wie z. B. physikalischen Therapien und psychologischen Behandlungen bei geeigneten Patienten. Für refraktäre Kreuzschmerzen steht bei sorgfältig ausgewählten Patienten ein breites Spektrum an nicht-chirurgischen (z. B. epidurale Steroidinjektionen und Rückenmarkstimulation bei neuropathischen Schmerzen sowie Radiofrequenzablation und intraartikuläre Steroidinjektionen bei mechanischen Schmerzen) und chirurgischen (z. B. Dekompression bei neuropathischen Schmerzen, Bandscheibenersatz und Versteifung bei mechanischen Ursachen) Behandlungsoptionen zur Verfügung. Die meisten Behandlungsoptionen adressieren nur einzelne, solitäre Ursachen, und angesichts der komplexen Natur von Kreuzschmerzen ist ein multimodaler interdisziplinärer Ansatz erforderlich. Obwohl der Kreuzschmerz weltweit als wichtige gesundheitliche und sozioökonomische Herausforderung mit einer erwarteten Zunahme der Prävalenz anerkannt ist, bietet er nach wie vor ein enormes Potenzial für Verbesserungen sowohl in diagnostischer als auch in therapeutischer Hinsicht. Zukünftige Forschungen zu Kreuzschmerzen sollten sich darauf konzentrieren, die Genauigkeit und Objektivität der diagnostischen Bewertungen zu verbessern und Behandlungsalgorithmen zu entwickeln, die einzigartige biologische, psychologische und soziale Faktoren berücksichtigen. Hochwertige vergleichende Effektivitäts- und randomisierte kontrollierte Studien mit längeren Nachbeobachtungszeiträumen, die darauf abzielen, die Wirksamkeit und Kosteneffektivität der Behandlung von Kreuzschmerzen zu ermitteln, sind gerechtfertigt.
Was heißt das im Klartext? Die Autoren stellen einige Punkte unmissverständlich klar, die mir wichtig erscheinen:
- Rückenschmerzen sind ein komplexes Problem.
- Psychologische und soziologische Faktoren werden in der konventionellen Medizin, entgegen der Behauptungen vieler Anhänger der Alternativmedizin, keinesfalls vernachlässigt.
- Die konventionelle Therapie ist hochgradig interdisziplinär.
- Trotz aller Bemühungen, ist die Therapie leider oft nicht optimal erfolgreich.
- Alternative Verfahren leisten keinen entscheidenden Beitrag zum Erflog.
Als Forscher In diesem Bereich liegt mir der letztgenannte Punkt besonders am Herzen. Es ist unbestreitbar, dass Rückenschmerzen einer der häufigsten Gründe sind, warum Patienten alternative Behandler aufsuchen. Scharlatane aller Schattierungen befleißigen sich, zu beteuern, dass sie Rückenprobleme wirksam behandeln können. Die Vielfalt des Angebots ist, wie ich auf meinem Blog (Edzard Ernst) oft genug diskutiert habe, dementsprechend enorm, z.B.:
- Akupunktur[2]
- Alexander Technik[3]
- Blutiges Schröpfen[4]
- Chiropraktik[5]
- Craniosakrale Therapie[6]
- Dorn Therapie[7]
- Edelstein Therapie[8]
- Eurythmie[9]
- Hypnotherapie[10]
- Kinesiology Tape[11]
- Manual Therapie[12]
- Mindfulness[13]
- Naprapathie[14]
- Osteopathie[15]
- Pilates[16]
- Power Point Therapie[17]
- Reiki[18]
- Shiatsu[19]
- Tai chi[20]
- Unblutiges Schröpfen[21]
- Yoga[22]
Allen diesen Verfahren ist eines gemeinsam: sie tragen wenig oder gar nichts dazu bei, das Leiden von Patienten mit Rückenschmerzen nachhaltig zu mindern.
Fazit: Die Tatsache, dass die konventionelle Medizin etwas nicht optimal im Griff hat, bedeutet noch lange nicht, dass alternative Behandler es besser machen.
Acupuncture for acute low back pain: a new systematic review (edzardernst.com) ↩︎
Alexander technique: some evidence and plenty of wishful thinking (edzardernst.com) ↩︎
Chiropractic manipulation is not the best therapy for back pain of seniors (edzardernst.com) ↩︎
Cranio-sacral therapy: misleading? dishonest? unethical? (edzardernst.com) ↩︎
The ‘Dorn Method’ – relatively new and totally bogus (edzardernst.com) ↩︎
Crystal healing “empowers us to lead a more meaningful life” (edzardernst.com) ↩︎
Home-hypnotherapy for chronic low back pain – at least it is inexpensive and safe (edzardernst.com) ↩︎
Is kinesiology tape helpful for back pain? A new study attempts to find out (but fails miserably) (edzardernst.com) ↩︎
Manual therapies for back pain: not better than a placebo (edzardernst.com) ↩︎
Mind over body? Or poor science over truth? (edzardernst.com) ↩︎
Naprapathy re-visited … but it’s still not evidence-based (edzardernst.com) ↩︎
The effects of osteopathic manipulation on back pain are of questionable relevance (edzardernst.com) ↩︎
Pilates for chronic back pain? Yes, maybe (edzardernst.com) ↩︎
The 1st ever trial of ‘power point therapy’ (based on the theories of classic acupuncture, neuromuscular reflexology, and biocybernetics) (edzardernst.com) ↩︎
Reiki: neither plausible, nor effective, nor harmless (edzardernst.com) ↩︎
Shiatsu: holistic therapy, naive nonsense or malicious quackery? (edzardernst.com) ↩︎
Tai Chi is based on strange concepts – but is it helpful? (edzardernst.com) ↩︎
Ivengar Yoga for back pain – as good or bad as most other treatments ? (edzardernst.com) ↩︎
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