Jeder kennt ihn. Überall ist er anzutreffen. In der Familie, in Bus und Bahn, im Park und auf der Straße.
In Cafés besetzt er die Plätze. Im Turnverein verleidet er den Purzelbaumschlägern ihren schweißtreibenden Erfolg. Von frühmorgens bis spätabends steht er unermüdlich im Dienste all derer, die mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit, die Welt durch die rosarote Brille betrachten, fern aller objektiver Wirklichkeit. Auf ihn indes ist Verlass.
Er weiß genau um seine politisch und gesellschaftliche Notwendigkeit, damit die Welt nicht in realitätsferner Fröhlichkeit vor die Hunde gerät. Morgens aufwachen und ein Lächeln in seinem Gesicht vorzufinden, ein entsetzlicher Gedanke für ihn.
Er ist der Mann mit dem Schlechtelaunegesicht. Seine Mission, die Verbreitung seiner Stimmung. Längst hat er millionenfache Nachahmer gefunden, die seinem guten Beispiel folgen und ihre Mundlefzen, wie ihr großes Vorbild, schamlos einfach runterziehen und so jeden Eindruck zerstören, sie könnten bester Laune sein.
Aber das typische Schlechtelaunegesicht ist nicht nur männlich, nein auch längst unmännlich, wie die vielen Frauen beweisen, die Heim und Herd verlassen haben und ihre Miesepetrigkeit über das Land verteilen, wie es Unkraut versteht, sich allüberall zu vermehren und die Vorherrschaft über unsere Gärten zu erlangen. Da hilft auch kein Jäten, kein Herausreißen, geschweige denn die Pestizidkeule zu schwingen.
Unkraut und die Schlechtelaunegesichter sind resistent gegen jede Form der Auslöschung. Sie sind gekommen, um zu bleiben. Wo sie hinkommen, wächst kein Lachen mehr. Ein heiteres Miteinander ist für sie Teufelswerk, der bekanntermaßen nie gelacht hat. Für sie ist die Hölle das Paradies. Erst wenn das letzte Lachen erstickt, flackert in ihnen die Flamme der Zufriedenheit. Doch selbst dann, wenn dieser Punkt erreicht ist, würde eine Aufhellung ihrer Gesichtszüge, ihre Aufgabe zunichtemachen. Deshalb untersagen sie sich, bei strengster Strafe, dies zuzulassen. Damit würden sie sich ja unglaubwürdig machen. Der Vorwurf, sie wären nur eine Modeerscheinung, würde ihnen anheften. Denn: „Wer einmal lacht, dem glaubt man nicht.“ Mit dieser, von ihnen selbst entwickelten Lebensmaxime, kommen sie mürrisch durch den Tag. Und was kann ein Schlechtelaunegesicht mehr von seinem Leben erwarten, als anderen den Spaß an dem ihren zu nehmen.
Viele der Nichtschlechtelaunegesichter, die unsere Welt bevölkern, können sich damit rühmen, einen Sinn in ihrem Dasein zu erkennen.
Innerhalb einer langfristigen Studie, die ich bei mir in Auftrag gegeben habe, ging ich diesem Phänomen nach, um wissenschaftlich zu begründen, ob und warum Menschen sich der jeweiligen Gruppierung anschließen. Auf der einen Seite der Typus Schlechtelaunegesicht und im Kontrast die Nichtschlechtelaunegesichter. Da es sich um eine Langzeitstudie handelte, war ich einen ganzen Tag im Außenbereich mehrerer gastronomischer Einrichtungen unterwegs, um dort meine Studien, die später in einer Doktorarbeit münden sollten, zu intensivieren.
Den Titel der Promotion hatte ich rasch gefunden, nur mit dem Inhalt haderte ich lange.
„Das Lächeln des Konservatismus in der Zeitenwende, hin zu dem verkniffenen und liberalen Freiheitsgedankens, der geopolitischen Fröhlichkeit und ihre pseudopsychologische Abnormität des eigenen Angesichts.“
Schon im Titel meiner Arbeit wurde deutlich, ich wollte viel. Zu viel, wie sich später herausstellen sollte. Denn das, was ich da in meiner Überschrift von mir verlangte, vermochte ich nicht zu erfüllen. Die Latte meiner Erwartungen, die ich höher legte, als ich zu springen imstande war, machte aus einem fröhlichen, einen verdrießlichen Doktoranden.
Ich verzweifelte an meinem eigenen Können, woran ich massiv Kritik übte. Ich sah mich in einer Lebenskrise, denn ich wollte nur Eines, den Menschen etwas zurücklassen, wenn ich sie dereinst schweren Herzens verlassen muss, was wie man mir schonend beibrachte, alternativlos sei.
Mit diesen trüben Aussichten auf mein jederzeit bevorstehendes Ende, beflügelte mich, schnell den Doktor zu machen, ehe mich das Ableben einholt und damit die Zukunft eines der klügsten Köpfe unbarmherzig und unwiederbringlich einen Schlusspunkt zu setzen. Längst hatte ich mich, wohl auch wegen meiner ungewissen düsteren Zukunftsperspektive, unabsichtlich auf die Seite der Schlechtelaunegesichter geschlagen.
Ich wurde zu einem getriebenen, den Gevatter Hein auf seiner Liste hatte, die er gewissenhaft abarbeitete und wenig Rücksicht darauf nahm, ob ich meine Dissertation noch rechtzeitig zum Abschluss bringen konnte.
Der Druck auf mich wuchs, was meiner Laune nicht sonderlich zuträglich war.
Ich ging also, wie bereits hinlänglich erwähnt, in ein frei gewähltes Café, wo bereits alle Tische gefüllt waren, mit mir fremden Menschen. Waren sich die meisten auch fremd, so viel doch eine Gemeinsamkeit auf. Sie waren alle bester Laune. Eine Tatsache, die mir gleich mehrfach missfiel. Erstens ihre Rücksichtslosigkeit. Sie entsprachen nicht meinem Grundgefühl, mit dem ich den tag begonnen hatte. Denn nichts ist schlimmer als schlechtgelaunt, auf eine Gruppe zu treffen, die lachend in der Sonne sitzen und ihr erbärmliches Leben genießen. Zweitens konnte ich so nicht die Unterschiede analysieren zwischen fröhlichen und mürrischen Menschen, wenn keiner mürrisch war, mit Ausnahme von mir. Aber nun konnte ich ja schlecht mich selbst analysieren, weil das die Ergebnisse verfälscht hätte.
Trotz aller Widrigkeiten entschloss ich mich, meine wissenschaftlich fundierten Interviews zu beginnen.
Mit unbekümmerter Verdrießlichkeit steuerte ich auf den ersten Tisch zu, der sich bester Laune präsentierte. Ein Umstand, den ich so nicht hinnehmen konnte.
Kaum angekommen, versprühte ich eine Atmosphäre, in der jedes gesichtsverzerrende Lachen ersticken musste.
Ich steigerte meine Bemühungen, bis dunkle Wolken tiefer Depressionen über dem Tisch, sich zusammenzogen. Zufrieden mit meinem Erfolg und den daraus resultierenden Ergebnissen, wechselte ich den Tisch. Bis ich alle Tische durch hatte und auf Linie brachte, verging eine geraume Zeit.
Selbst die Bedienung konnte ich dadurch gewinnen, indem ich einen allseits beliebten Satz ihr mehrfach sagte.
„Im Moment möchte ich nichts!“
Damit verhagelt man jeder trinkgeldgeilen Bedienung die Laune für den Rest des Tages. Längst war aus dem Café der Fröhlichkeit eine Brutstätte der Düsternis und gegenseitiger Verachtung von mir wissentlich erreicht worden.
Zufrieden verabschiedete ich mich fröhlich von diesem düsteren Ort und strebte neuen Herausforderungen entgegen. Als vorläufig erstes Ergebnis meiner Untersuchungen ergab sich folgendes Bild: „Der Missmut der Anderen, erhöht die Bereitschaft, die eigene gute Laune zu akzeptieren.“
Mit diesem ersten Merksatz, gleichwertig den des Pythagoras, konnte ich mir so erste wissenschaftliche Meriten verdienen. Jetzt galt es die Gegenprobe zu machen. Dazu machte ich mich auf, einen Ort zu suchen, wo schlechte Laune herrschte. Aber an jenem Tag war irgendwie der Wurm im System. Überall herrschte eitel Sonnenschein. Ein Umstand, der meine Stimmung infrage stellte. Aber dann, es war bereits tief in der Nacht, fand ich endlich den Ort meiner Begierde, der perfekt für mich war. In unserer Stadt gibt es wahrlich viele schöne Ecken, diese zählte zweifelsfrei nicht dazu.
In einem auch tagsüber dunklen Winkel, wo die Zwielichtigkeit zuhause ist und Damen gewisser Gesellschaft sich offen zeigen und anbieten, gibt es auch Bessergestellte von ihnen, die innerhäuslich verkehren. Dieses Laufhaus der Freude, wo mehr Gelegen denn gelaufen wird, ist ein Pfuhl der Sünde und stadtbekannt ist, vom Hörensagen, wie jeder treue Ehemann wohl beteuern wird. Es ist zumeist eine Beteuerung der verlogenen Art. Diese, von vorgespielter erotischer Lust geprägten Damen verdienten sich dort ihr Gnadenbrot.
Die Kundschaft gibt dort ihr Taschengeld aus, für das, was sie zuhause kostenlos erhalten könnten, worauf sie jedoch gerne verzichten. Getreu dem Motto: Was nichts kostet, ist auch nichts wert.
Diesem Tempel der plastisch chirurgierten Frauen gegenüber, befindet sich ein Molloch gastronomischer Nachtgestalten, die dort einfallen. Dort, in der Kanalisation menschlichen Abschaums, suchte ich mein Heil. Die Nachtbar, mit dem verheißungsvollen Namen „Zum Trübsal blasen“, war die perfekte Location für mein Experiment. Es sollte einer meiner schwersten Übungen werden.
Es war ein Ort der Düsternis. Ein dunkles Gewölbe. Dunkler nur die Gestalten, die dort an klebrigen Tischen saßen und vor sich hin vegetierten. Schon mein Eintreten sorgte für Unruhe unter den Vögeln der Nacht. Hier war alles Vertreten, was an lichtscheuem Gesindel die Stadt zu bieten hat. Von Alkohol geschwängert die Luft, bei der man schon beim Einatmen sich auf einen Kater freuen konnte. Am Tresen standen mehrere barbusige Frauen, die wohl angst hatten sich ihre Rüschenblusen zu besudeln. Männer wie massive Eichenschrankwände, die in ihre Gläser starrten und im Hauptberuf Vermögensverwalter der Frauen waren, die gegenüber sich liegend die Zeit vertrieben.
Depressive Unterhaltungsmusik drang aus den spinnwebenüberspanntem Lautsprechern. Tristesse  gepaart mit einer Mischung aus Selbstmordgedanken hatte den Laden fest im Griff. Der Wirt, der in seinem früheren Leben einmal eine Wirtin gewesen sein muss, so jedenfalls der optische Eindruck, der das Prädikat „Verheerend“ völlig zu recht verdiente, sah mich mit glasigen Augen an.
Hunderte von Lebensjahren mit Knasterfahrung kamen hier zusammen. Jeder misstrauisch gegen sich und jedermann. Kurz, es war der perfekte Ort, wo man sich niederlassen und wohlfühlen konnte. Sofort wurde ich beäugt und meine intensive Fröhlichkeit machte mich sofort zu einem Außenseiter.
„Gott bist du krank.“, warf mir eine der Barbusigen ihr Urteil in mein lächelndes Gesicht. Ich verzieh ihr, denn sie konnte ja nicht ahnen, dass ich es nur aus wissenschaftlichen Gründen trug.
Ich stellte mich an die Bar- und zwischen die busigen Frauen, die von hinten bedrängt von zwielichtigen Kerlen, die offenbar ihr Vermögen nicht aus der Hand geben wollten. Sie beäugten mich und ihre Augen stießen offen Drohungen gegen mich aus. Einer ließ sich sogar hinreißen an mir zu riechen, wohl um festzustellen, ob ich denselben Stallgeruch wie sie besitze oder ob ich ein Polizeispitzel bin. Zum Glück war ich ungeduscht, was ihn etwas besänftigen konnte. Ich konnte meine Freude nicht zurückhalten, denn ich hatte nach langer suche den Ort gefunden, der prädestiniert war für meine Studie. Ich legte mein Schicksal, meinen ersehnten Doktorgrad zu erreichen, in die Hände von Schlägern, Dieben und Zuhältern. Von flattrigen Mädchen bis hin zu langjährig ausgebildeten Dirnen. Die ein oder andere Nutte war sicher auch dabei.
Es war ein ganzes Potpourri an Gebrochenen, im Umfeld von entsorgtem Erbrochenem. Ich war schutzlos gegen die Übermacht gesetzesuntreuer Bürger. Nur das von mir aufrecht gehaltene Gutelaunegesicht bot etwas Schutz, denn es schien sie zu nachhaltig zu verwirren. Dies war wohl auch der Hauptgrund, weshalb sich noch kein Messer zwischen meinen Rippen verirrt hatte.
Meine Fröhlichkeit schien ihnen sogar Angst einzuflößen, denn es erweckte wohl den Eindruck, als sei ich von einem andren Stern. Dann trat plötzlich Klingenaugust auf mich zu und baute sich in seiner ganzen muskulösen Stattlichkeit vor mir auf. Über beide Wangen zogen sich zwei gewaltige Narben, wohl das Ergebnis zweier verpfuschter Schönheitsoperationen, die wohl jemand durchführte, dem man die Approbation bereits entzogen hatte, dafür aber preislich günstiger war.
So jedenfalls meine Mutmaßungen. Seinen Namen entnahm ich dem Ausweis, den er an einer Kette um den Hals hängen hatte.
„Warum bist du so fröhlich?“, brummte er mir drohend entgegen.
Ich lachte schallend, um die Situation etwas zu entkrampfen, und lud ihn mit meiner ansteckenden Lache ein, sich mir stimmungstechnisch anzuschließen.
Doch dieser harte Granitbrocken dachte gar nicht daran.
Ich konstatierte einen kleinen Rückschlag, doch an Aufgabe verschwendete ich keinen einzigen Moment. Jetzt erst war mein Ehrgeiz richtig geweckt. Offenbar wollte er es auf die harte Tour. Das konnte er von mir haben.
„Kennen Sie den? Kommt ein Mann zum Arzt und fragt ihn ...“, begann ich vielversprechend.
Dann wurde ich unsanft aus der Konzentration gerissen.
„Wohl wahnsinnig geworden.“, ergänzte der Doppelgeschlitzte, ohne Kenntnis der von mir vorbereiteten Pointe.
„Ach den kannten sie schon.“, rief ich lachend und schlug ihm, als Symbol unserer Freundschaft, auf die Schulter. Dies löste bei ihm den „Hand zur Faust ballen“ Reflex aus, was medizinisch nicht leicht erklärbar ist, da die Schulter nicht in direkter Korrespondenz zu der Hand steht. Dazwischen liegt immer noch die lange Strecke eines Armes.
Doch anscheinend kannte Doppelschlitzaugust eine raffinierte Abkürzung.
„Mach keine Witze.“, ließ er mich wissen.
Längst war das andere freilaufende Gesindel herangekommen, nur um zu sehen, wer wohl der Lustigste von uns beiden war. Ich nahm dies mit stiller Freude zur Kenntnis. Man interessierte sich also für mich. Dies gab mir Auftrieb und sofort sprudelten bei mir nur so die Ideen, wie ich Stimmung in die Spelunke bringen könnte.
„Ein Gedicht. Ein lustiges kleines Gedicht. Da kommt Freude auf.“, rief ich ungezügelt.
Ich war berauscht von meiner Idee, vergaß jedoch die nicht ganz unwichtige Tatsache, dass ich keines kannte. Deshalb ersann ich sofort ein eigenes, was die Bude zum Kochen bringen sollte.
„Soeben habe ich nachgedacht und dies Gedicht für euch erdacht.“, dichtete ich spontan einen Zweizeiler, sozusagen erst einmal als Appetizer, um zu sehen, wie er ankommt.
Leider traf ich damit noch nicht ganz den Humor meiner Zuschauer. Dafür traf mich eine Faust, die das Zwerchfell erschütterte.
Krampfhaft mühte ich mich, die Fassade des ewig Lächelnden aufrecht zu erhalten. Offenbar hatte Doppelaugust etwas missverstanden. Ich wollte sein und nicht er mein Zwerchfell erschüttern. Wir hatten offensichtlich da ein kleines Kommunikationsproblem.
Trotz des kurzzeitigen harmlosen Atemaussetzers ließ ich mich nicht entmutigen. Wissenschaft verlangt eben auch Opfer.
„Herr Dopplewangenaufschlitzaugust, manchmal tut ein Witz auch weh. Dennoch ist Humor die beste Medizin dagegen. Sobald meine Atmung wieder regelmäßig stattfindet, erfreue ich die feine Gesellschaft hier mit einem von den Stühlen reißenden Pointenfeuerwerk der guten Laune.“
Gerade noch konnte ich einer weiteren Zwerchfellerschütterung ausweichen.
„Daneben. Daneben. Drum lasst uns einen heben.“, sang ich gegen die hausgemachten Schmerzen an.
Trotz der kleinen amüsanten Gesangseinlage, konnte ich die Wand derer nicht durchbrechen, die sich standhaft weigerten, sich meinem gnadenlosen Humor zu ergeben.
„Jetzt aber, wie versprochen, mein brüllend komischer Vierzeiler.“, rief ich in die amorphe depressive Masse Mensch, die noch nicht richtig mitzog.
„Du bist ein komischer Vogel.“, lallte mir eine der barbusigen zu, die dem Alkohol mehr zusagte als mir.
„Keine Vorschusslorbeeren bitte!“, antwortete ich laut vernehmlich und freute mich doch insgeheim, dass wenigstens eine mir zugetan war.
In aller Eile dichtete ich mir den angekündigten Vierzeiler zurecht, der einschlagen sollte wie eine Bombe. Ich spürte deutlich, mein wartendes Publikum war gespannt wie ein Flitzebogen. Und sie sollten nicht enttäuscht werden, versprach ich mir in die Hand.
Doch die Nähe, die meine Zuschauer zu mir gesucht und gefunden hatten, erschwerte meinen kreativen Prozess. Denn was mir fehlte, war die Frische der Luft, die sich durch das Ausatmen meiner Fans Zuriechens verschlechterte. Der harmonische Dreiklang aus Alkohol, Schweiß und Knoblauch, lag wie Blei in der Luft.
Denken und Atmen, in einem Atemzug, erwies sich als erschwerend. Doch für mich gab es kein Zurück mehr, denn nun hatte ich verpflichtet Komisches zu präsentieren und nichts ist für einen Künstler schlimmer, als sein Publikum zu enttäuschen. Dann endlich, als sich bereits eine gewisse Unruhe breitmachte, hatte ich meinen Vierzeiler zusammen, nachdem ich eine Zeile löschte, die es sonst zu einem Fünfzeiler gemacht hätte. Ich war der Ansicht, für einen Fünfzeiler wären sie noch nicht bereit. Gerade bei ungeübten Gedichtezuhörern muss man klein anfangen, um sie nicht zu überfordern oder zu verschrecken. Lyrik ist eben ein ganz filigranes Gebilde und verlangt auch etwas Grundbildung, die ich hier nicht erkennen konnte.

„Im Leben hat man`s manchmal schwer.
Ich hab mir mal den Arm gebrochen,
doch ist das nun schon lange her.
Und kürzlich Frikadellen gebrochen.“
Erwartungsvoll und Applaus abzuwarten, verbeugte ich mich stumm und demütig.
Selbst noch unter dem Eindruck der Rührung meines Vortrages stehend, unfähig etwas zu sagen, wartete ich die euphorischen Reaktionen ab, die verständlicherweise einen Moment brauchten, ehe sie sich entfalten konnten.
Leider ließ die ersehnte Belohnung, ein geräuschvolles enthemmtes Lachen, unverständlicherweise auf sich warten. Hatte ich womöglich intellektuell zu hoch gegriffen? War die Pointe nicht klar genug herausgearbeitet? Oder hatte ich gar in der Rezitation geschludert und sie versemmelt? Diese und noch viele andere Fragen schwirrten mir im Kopf herum, bevor ich endlich erlöst wurde. Doch die Erinnerung daran war lückenhaft und durch einen grauen Schleier nur schemenhaft in der Erinnerung zu erkennen gewesen. Nicht einmal die Tatsache, wie ich in die liegende Position auf der Straße geriet, war für mich nachvollziehbar, noch fand ich eine schlüssige Begründung dafür. Schließlich kam ich zu dem Schluss, ich muss beim Autogrammschreiben versehentlich gestolpert und dann gegen die offene Tür gefallen sein. Eine andere Möglichkeit konnte ich mir nicht vorstellen.
Warum mir dann keiner half beim Aufstehen, konnte ich mir hingegen schlüssig erklären. Höchstwahrscheinlich wollten sie den Künstler, nach schwerer erfolgreicher Vorstellung, alleine lassen, damit er wieder, nach dem Adrenalinausstoß, runterkommen kann. Die Sensibilität von Rezitatoren ist ja hinlänglich bekannt und sollte auch in Unterweltkreisen respektiert werden.
Auch bemerkte ich eine fein ziselierte rötliche Pigmentierung meines fliederweißen Oberhemdes. Ich ging der Spur nach und traf auf meine Nase, die sich schmerzhaft zu Wort meldete. Ging es eben noch in meinem lyrischen Poem noch um Ge- und Erbrochenes, hatte just meine Nase dies in der Realität auf sich angewendet. Welch ein Zufall der ungeplanten Art. Langsam rappelte ich mich auf und tat das, was wohl jeder andere Künstler an meiner Stelle auch getan hätte. Ich stellte mich meinem Publikum, denn vielleicht gab es ja noch offene Fragen, die mein Vortrag aufgeworfen hatte. Denn nichts ist schlimmer, als seine geliebten Zuschauer frustriert nach Hause schicken zu müssen.
Mit einem fröhlichen „Hallo Freunde!“, betrat ich die Wirkstätte meines Erfolges erneut. Doch was musste ich erkennen? Da, wo eigentlich dank meiner initiative inzwischen jubel, Trubel, Heiterkeit herrschen sollte, lag immer noch eine depressive Schwere in der Luft. Hinzu kam zudem noch eine völlig unbegründete, ja geradezu feindselige Grundstimmung, die ausgerechnet mir entgegenschlug. Ausgerechnet mir, dem doch die Fröhlichkeit aus dem herzen spricht.
Alle meine Bemühungen aus dem Ort tiefster Tristesse, eine heitere Begegnungsstätte zu machen, waren auf ganzer Linie gescheitert. Ich gestand mir mein Versagen ein. Und sämtliche zukünftigen und ehemaligen straffälligen halfen mir in uneigennütziger Weise dabei, es für mich unvergessen zu machen. Mit vereinten Kräften trieben sie mir die Heiterkeit aus dem Leib. Aber wenn man als Optimist, wie ich es nun einmal bin, in diese Welt hineingeboren wurde, der zieht aus jeder Niederlage auch etwas Positives. Denn völlig unvermittelt wurde mir eine Auszeit zuteil, die mir genügend Gelegenheit bot, mich voll und ganz der Auswertung meiner Untersuchungen zu widmen. Wenn auch das Gipskorsett mich einwenig einschränkte, hatte ich nach vier Wochen die Dissertation abgeschlossen und konnte nun entspannt auf die Verleihung der Doktorwürde entgegenfiebern.
Trotz Einreichung gleich bei mehreren Eliteuniversitäten warte ich bis zum heutigen Tag auf eine formelle Einladung zur Verleihung. Weder Harvard, noch Cambridge, geschweige denn von der Fernuni Göttingen, kam bislang Post. Die scheinen es mit der Prüfung sehr genau zu nehmen, was ich sehr begrüße, denn schließlich soll ja nicht Hinz und Kunz der Doktortitel nachgeschmissen werden. Ich jedenfalls sehe der unweigerlich positiven Entscheidung für mich, gelassen entgegen. Nach bestem wissen und Gewissen abgefasst.
Jede Quellenangabe gekennzeichnet, um mich nicht dem Vorwurf eines Plagiats, einst von dahergelaufenen selbsternannten Plagiatsjägern zu höheren vorwerfen zu lassen und öffentlich an den Pranger gestellt zu werden, die schlicht nur meine Karriere zerstören wollen.
Und ihre Motivation dazu ist, einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass sie selbst es nicht zu höheren akademischen Weihen gebracht haben.
Sie sind zerfressen von Neid und Missgunst. Jedenfalls ich bin stolz auf das von mir Geleistete. Denn ich konnte schlüssig nachweisen, dass die Verbreitung von Humor eine sehr schwere Aufgabe ist, zu der nicht jeder mit der dazu nötigen Offenheit bereit ist, sich darauf einzulassen. Im Gegenzug dazu Menschen mit fröhlicher Grundstimmung. Hier ist es ungleichleichter, sie in tiefe Depression zu bringen, wenn man sich etwas Mühe gibt. Ich habe mich nun, aufgrund meiner wissenschaftlichen Erkenntnisse, dazu entschlossen, zukünftig mein Leben mit dem bewährten Schlechtelaunegesicht zu fristen, da es weniger schmerzhaft ist. Es wird weitaus dankbarer angenommen.
Es entspricht auch mehr dem ernst des Lebens.
Durch diese Anpassung an die Lebenswirklichkeit bin ich heute ein gerngesehner Gast in der Bar: „Zum Trübsal blasen“.

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