Neuseelands Nationaltier ist in Not: Eingeschleppte Raubtiere haben die Zahlen der flugunfähigen Vögel dramatisch dezimiert. Doch Rettungsmaßnahmen zeigen Früchte. An vielen Orten, wo es vor fünf Jahren noch still war, konnten Tierschützer den Vogelgesang des einzigartigen Vogels nun wieder aufnehmen.
Einmal im Jahr, mitten im Winter auf der Südhalbkugel, legen sich neuseeländische Tierschützer im Norden des Landes in Wäldern und Feldern auf die Lauer, um zu lauschen. Sie warten auf den Ruf des Kiwis – Neuseelands nachtaktiver, flugunfähiger Nationalvogel, der durch Hunde sowie eingeschleppte Raubtiere wie Katzen, Marder und Frettchen stark bedroht ist.
Die „Kiwi-Wächter“ führen akribisch Buch über das Gehörte: Den hohen, recht durchdringenden Schrei des Männchens und das eher wütend klingende Krächzen des Weibchens. Um die Vögel zu schützen, haben sich die Tierschützer hier im Norden Neuseelands in lokalen Gruppen formiert. Alle fünf Jahre halten sie zudem einen sogenannten „Kiwi Listening Blitz“ ab, bei dem der markante Vogelgesang der Tiere offiziell aufgezeichnet wird.
Tierschutz macht sich bezahlt
Dieses Jahr nun meldete Kiwi Coast, eine Dachorganisation, die die insgesamt 190 Gemeinde- und indigene Gruppen beim Schutz des Kiwis in der Region unterstützt, besonders gute Nachrichten: So verzeichneten die Tierschützer an der Hälfte der überwachten Standorte, an denen 2016 noch keinerlei Aktivität von Kiwis entdeckt worden war, im Jahr 2021 nun wieder den Ruf des Nationaltieres. Und auch in den bisher bekannten Habitaten waren die Vögel nach wie vor aktiv. Das sei ein fantastisches Ergebnis, sagte Ngaire Sullivan, die Koordinatorin von Kiwi Coast. „Und es kam dank jahrzehntelanger, harter Arbeit unserer Gemeindegruppen zustande.“
Der Kiwi ist Neuseelands bekannteste einheimische Vogelart – eine biologische Kuriosität, die teils mehr mit Säugetieren gemein zu haben scheint als mit anderen Vögeln. So haben die nachtaktiven Tiere einen hoch entwickelten Geruchs- und Tastsinn und ein gutes Gehör. Außerdem stehen sie auf recht schweren und muskulösen Beinen, die fast ein Drittel ihres Gewichts ausmachen. Fürs Fliegen sind die neuseeländischen Vögel also definitiv nicht gemacht. Und auch ihr Nestbau ist eher ungewöhnlich: So graben sie Höhlen in den Boden.
Ein nationaler „Schatz“
In Neuseeland sind die Vögel so beliebt, dass ihr Antlitz viele Logos und Embleme schmückt: Die kleinen, flugunfähigen Vögel zieren die Ein-Dollar-Münze wie auch das Logo der Air Force des Landes. Auch für die neuseeländischen Ureinwohner, die Māori, gilt der Vogel als „Taonga“, also als eine Art Schatz, und seine Federn werden beispielsweise im „Kahukiwi“ – einem Federumhang für hochrangige Menschen – eingewoben. Einen ähnlichen Umhang trug Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern einst 2018 bei ihrem Besuch im britischen Königshaus.
Bevor die ersten Menschen in Neuseeland ankamen, sollen rund zwölf Millionen Kiwis die neuseeländischen Inseln bevölkert haben, wie eine Expertengruppe der neuseeländischen Massey Universität im akademischen Magazin „The Conversation“ schrieb. Selbst im frühen 20. Jahrhundert streiften wohl noch mehrere Millionen durch den Busch. Doch die weißen Siedler holzten Wälder ab und schleppten Raubtiere wie Katzen, Marder oder Frettchen ein, die die flugunfähigen Kiwis radikal dezimierten. „Heute gibt es weniger als 70.000 Kiwis in freier Wildbahn, und die Populationen gehen in Gebieten ohne Raubtierkontrolle zurück“, erklärten die Wissenschaftler.
Eine Kuriosität jagt die nächste
Dass vor allem im Norden des Landes die Zahlen der gefährdeten Vögel nun wieder so dramatisch zugenommen haben – bei Whangerei Heads, knapp 190 Kilometer nördlich von Auckland gelegen, sind die Zahlen beispielsweise von 80 auf über 1000 Vögel gesprungen – ist rein den lokalen Tierschützern zu verdanken. Denn sie gehen aktiv gegen die eingeschleppten Raubtiere vor, um das Habitat wieder Kiwi-sicher zu gestalten. In den vergangenen acht Jahren seien fast eine halbe Million Schädlinge ausgerottet worden, berichtete Ngaire Sullivan. „Im Durchschnitt werden jetzt jede Woche über 1800 Schädlinge gefangen.“ Auch Hunde stellen eine große Gefahr dar. „Hunde sind die größte Bedrohung für ausgewachsene Kiwis“, sagte die Tierschützerin. Während die Tiere eigentlich bis zu 60 Jahre alt werden könnten, ist die durchschnittliche Lebenserwartung inzwischen auf nur 13 Jahre reduziert worden, da zu viele frei laufende Hunde die Vögel töten. Deswegen setzen sich die Tierschützer auch für eine bessere Kontrolle der Vierbeiner in der Region ein.
Die Schutzmaßnahmen für den Kiwi kommen aber natürlich auch den anderen neuseeländischen Vogelarten zugute. Schaut man sich diese genauer an, so stellt man fest, dass der Kiwi bei Weitem nicht die einzige Kuriosität unter den Federtieren des Landes ist. In Neuseeland lebt auch der dreiste Bergpapagei Kea, der Verkehrshütchen verrückt, Brieftaschen klaut und Schafe attackiert oder der ebenfalls flugunfähige Eulenpapagei, der Kakapo. Ein wenig eigenartig und speziell sind auch die Taubenart Kererū, die dafür bekannt ist, vergorene Beeren zu fressen und ab und zu betrunken aus Bäumen zu fallen, oder der Gelbaugenpinguin, der als nicht gerade sozial gilt und nur per Schrei mit anderen Artgenossen kommuniziert.
Titelbild: © Malcolm Pullman, Kiwi Coast
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