Brüssel - EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn verlangt nach Ende der Corona-Pandemie im Stabilitätspakt deutlich flexiblere Regeln für hochverschuldete Länder. "Die fiskalpolitischen Ziele müssen für die Länder erreichbar sein", sagte er der "Welt" (Samstagausgabe).
"Anstatt künftig jedem Land eine starre Grenze für die staatliche Gesamtverschuldung von 60 Prozent des BIP vorzuschreiben, sollte man mit jedem Land individuell realistische Ziele für eine Gesamtverschuldung innerhalb eines festgelegten Zeitraums und konkrete Maßnahmen für den Schuldenabbau vereinbaren." Natürlich müssten die Schuldenstaaten "ständig strukturelle Anpassungen und Konsolidierungen bei den staatlichen Ausgaben" vornehmen, so der Politiker aus Österreich. Er glaube aber, "dass wir heute, 24 Jahre nach dem Beschluss zum Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht mehr alle 19 Euro-Länder über einen Kamm scheren können". Es sei "nicht mehr zielführend, allen Ländern gleichzeitig ständig vorzuhalten, dass sie sich an eine Obergrenze bei der Gesamtverschuldung von 60 Prozent des BIP halten müssen".
Das mache "keinen Sinn", so Hahn. Staaten wie Griechenland mit einer Verschuldung von 205,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder Italien mit 155,8 Prozent des BIP sind nach den Worten Hahns so weit von den Vorgaben des Stabilitätspaktes entfernt, dass sie das Ziel von 60 Prozent Gesamtverschuldung mittelfristig nicht erreichen können und darum auch jede Ambition verlieren dürften. "Da helfen dann auch keine Sanktionen", sagte der EU-Haushaltskommissar. Die betroffenen Staaten brauchten auch Möglichkeiten zu investieren: "Insbesondere hochverschuldete Länder sollten zunächst nicht nur auf Schuldenabbau fokussieren müssen, sie brauchen auch ausreichende Mittel für staatliche Investitionen, die dann über höheres Wirtschaftswachstum zu mehr Einnahmen und einer Verringerung der Schuldenlast führen."
Hahn erwartet, dass die Beratungen zur Überarbeitung des Stabilitätspakts nach dem Sommer beginnen werden: "Die Debatte über die Regeln des Stabilitätspakts, die schon vor der Krise geplant war, wird aus meiner Sicht im Herbst beginnen. Und diese Debatte ist auch notwendig." Hahn plädierte auch dafür, die Bürger in absehbarer Zukunft nicht mit Forderungen nach Reformen zu überlasten. Für praktisch jedes Land gebe es in den sogenannten länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission beispielsweise die Empfehlung, das Rentensystem solider und nachhaltiger zu machen, sagte er.
"Aber in der jetzigen Situation, wo die Menschen praktisch über ein Jahr im Lockdown waren und viele Bürger am Limit sind, ist es für Regierungen schwierig, Rentenreformen durchzuführen. Politik ist die Kunst des Machbaren", sagte der Europapolitiker. Man müsse den Menschen jetzt eine Perspektive geben und nicht neue Härten ankündigen. "Das heißt nicht, dass diese Reformen nicht gemacht werden sollen, aber zu einem Zeitpunkt, wo man die Menschen mitnehmen kann."
Foto: EU-Parlament in Brüssel (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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