Sehr geehrter Herr Dürr!
Vor ein paar Tagen las ich, Sie möchten 500.000 Zuwanderer nach Deutschland holen um die Renten zu finanzieren. Jährlich. Mindestens. Ich muss sagen, ich bin etwas konsterniert. Was heißt denn das genau? An welchen Zeitraum dachten Sie denn dabei? Wie lange soll eine halbe Million jährlich dazu kommen? Wie viele Millionen sollen es am Ende werden? Oder soll das gar eine Dauereinrichtung werden? So dass wir immer immer mehr und immer immer bunter werden? Und ist der Vorschlag mit der FDP abgestimmt? Ihr Kollege Marco Buschmann etwa hat ja bei Maischberger ähnliche Aussagen gemacht. Und geht’s Ihnen dabei um eine Nettozuwanderung in dieser Höhe oder um eine halbe Million qualifizierte Migranten als Zugabe zu den Zuwanderern die eh schon kommen? Muss ich mit 500.000 zusätzlichen Migranten jedes Jahr rechnen, wenn ich FDP wähle?
Große Sprünge sind gefährlich
War es nicht Karl Popper, der eine Politik der kleinen Schritte empfahl? Weil es dann immer möglich bleibe, die getroffenen Entscheidungen notfalls auch wieder rückgängig zu machen? Und haben wir nicht in der Migrationspolitik bereits weitreichende Entscheidungen getroffen, die kaum mehr revidierbar sind? Es leben knapp 300.000 ausreisepflichtige Migranten in Deutschland, für die man keine Lösung findet. Es haben sich parallelgesellschaftliche Strukturen gebildet, die zum Teil so tiefgreifend sind, dass sogar durch parallele Gerichtsbarkeiten der Rechtsstaat ausgehebelt wird.
Wir haben eine Verunsicherung in der Bevölkerung, die so tief ist, dass sie eine ganze Partei hervorgebracht hat. Und es sind nicht nur die Wähler der AfD, die zum Thema Migration starkes Unbehagen empfinden. Wir haben entsetzliche Gewaltexzesse von Migrantengruppen erlebt, Terroranschläge, antisemitische Aufmärsche. Wir haben die Silvesternacht 2015 erlebt, in der zahllose Frauen in einer nie dagewesenen Weise öffentlich missbraucht wurden. Und nun sollen noch ein paar Millionen Migranten dazu kommen?
Selbstverständlich, es ist nur ein kleiner Teil der Zuwanderer gewalttätig geworden. Der weit größere Teil ist friedlich. Natürlich sind auch tadellose Leute gekommen, die sich an der Gesellschaft beteiligen, ihren Beitrag leisten und tatsächlich eine Bereicherung sind. Auch zahlreich. Oft entsteht sogar der Eindruck, dass in unseren Zeiten die leidenschaftlichsten Verfechter demokratischer Werte jene mit muslimischem Migrationshintergrund sind. Aber gleichzeitig werden sie regelmäßig aus ihren Communities heraus mit dem Tod bedroht und ihren liberalen Leuchtturmprojekten stehen patriarchale Massenorganisationen gegenüber.
Die Integration scheitert an uns selbst
Und statt dass die Probleme offen diskutiert werden, etabliert sich eine immer stärker werdende CancelCulture, die jeden verbalen Ausrutscher mit Nazi-Stigmatisierung beantwortet. Natürlich darf man noch Kritik äußern. Auch zu jedem Thema. Aber jedes einzelne Wort muss dabei äußerst sorgfältig abgewogen werden. So sorgfältig, dass – ohne den sozialen Ausschluss zu riskieren – nur Kritik üben kann, wer die aktuellsten Sprachregelungen beherrscht und in der Lage ist, ohne jede Gefühlswallung nüchtern, präzise und einwandfrei zu formulieren. Denn mit einer Markierung als „Rechts“ muss man schon rechnen, wenn man noch Begriffe wie „Ausländer“ verwendet oder der Einfachheit halber sprachliche Verallgemeinerungen vornimmt, so wie man es überall sonst auch tut. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist das ein praktisches Redeverbot.
Dabei darf man mit hochrotem Kopf und Schaum vor dem Mund gegen die katholische Kirche wettern, weil sie keine Frauen als Priester zulässt. Man kann über den Papst, über Jesus, über Gott spotten und darf seine Kritik auch in vulgären Darstellungen oder anderen Geschmacklosigkeiten äußern. Aber vertreten Sie mal öffentlich, dass Sie das Kopftuch als patriarchales Herrschaftsinstrument ablehnen oder malen sie eine völlig harmlose Mohammed-Karikatur!
Trotz vieler Beispiele gelungener Integration machen nicht zuletzt die zahlreichen Islamkonferenzen und Integrationsgipfel deutlich: wir sind bislang offensichtlich nicht in der Lage, Integration flächendeckend erfolgreich zu gestalten. Und wahrscheinlich sind dabei wir selbst und unsere Unfähigkeit entspannt mit dem Thema umzugehen das größte Hindernis. In dieser Situation wollen Sie sich auf’s Gaspedal stellen?
Wie demokratisch werden Ihre Zuwanderer?
Herr Dürr, ich mag die FDP. Denn ich mag unsere Gesellschaft und denke, dass in der FDP am besten verstanden wird, dass unser Erfolg ganz zentral auf der Freiheit des Individuums einschließlich seiner unternehmerischen Freiheit gründet. Und ich hatte mich schon fast entschieden, Sie zu wählen. Aber Ihre Äußerungen haben mich tatsächlich stark verunsichert. Wurde in der FDP auch verstanden, dass der Erfolg einer Gesellschaft ebenfalls maßgeblich davon abhängt, dass die Menschen, die in ihr leben, an ihre Prinzipien glauben? Und dass jemand, der in einer undemokratischen Gesellschaft sozialisiert wurde, wahrscheinlich andere Werte verinnerlicht hat?
Demokratische Einstellungen kann man Menschen nicht einfach in einem Integrationskurs beibringen. Oder wollen Sie solche Einstellungen irgendwie in Ihrem Punktesystem zur Auswahl der Zuwanderer abfragen und zur Bedingung machen – vielleicht durch nachgewiesenes zivilgesellschaftliches Engagement oder Ähnlichem? Berücksichtigen Sie nur Zuwanderer aus anderen Demokratien? Denn die vermutlich zuverlässigste Möglichkeit, mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit demokratische Zuwanderer zu bekommen, bestünde wohl darin, nur Menschen aus anderen demokratischen Gesellschaften zu holen (die freilich meist ebenfalls demografische Probleme haben). Denn es ist kein Rassismus, davon auszugehen, dass wir mit 100.000 Norwegern, Japanern oder Niederländern weniger Probleme hätten als mit 100.000 Somalis, Syrern oder Afghanen. Eine halbe Million Fachkräfte aus Hongkong wären sicher eine große Bereicherung. Aber holen Sie am Ende jedes Jahr 500.000 Palästinenser, würde ich doch lieber jemand anders wählen.
Und, Herr Dürr, gerade wurde anlässlich des 20. Jahrestages wieder viel von 9/11 gesprochen. Die Attentäter waren bekanntlich ganz überwiegend Leute von recht hoher Bildung mit sehr guten beruflichen Perspektiven. Ich hoffe nicht, dass Sie dem Klischee aufsitzen, Demokratiedistanz wäre eine Sache dummer Leute und irgendeine berufliche Qualifikation würde sicherstellen, dass die Leute schon vernünftig seien.
Herr Dürr, wie wollen Sie sicherstellen, dass die zusätzlichen Migranten, die Sie ins Land holen wollen, demokratische Einstellungen mitbringen?
Ich würde mich freuen, wenn Sie mir noch vor der Bundestagswahl antworten könnten.
Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen,
Ambrosius