Berlin - Sozialverbände und Gewerkschaften haben mit Empörung auf Forderungen renommierter Ökonomen nach einer Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 reagiert. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, sagte der "Bild" (Donnerstagausgabe): "Eine weitere Anhebung der Altersgrenze löst weder die Fachkräftefrage noch mildert es die Inflation."
Rente mit 70 bedeute nicht mehr ältere Beschäftigte im Betrieb, sondern mehr Rentner mit gekürzten Renten. Den Vorschlag, das Renteneintrittsalter auf 70 zu heben, bezeichnete Urban als "abstruse Forderung". Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, hält den Vorschlag für eine "Unverschämtheit": Was für Professoren und Ökonomen einfach erscheine, sei für Menschen in körperlich und psychisch anstrengenden Berufen nicht leistbar. "Statt sie die Krisen-Zeche zahlen zu lassen, sollten besser Vermögende höher besteuert werden."
Auch Adolf Bauer, Präsident Sozialverbandes Deutschland, lehnt die Forderung ab: "Bei einem aktuellen durchschnittlichen Renteneintrittsalter von ca. 64 Jahren würde das nichts anderes als eine Rentenkürzung bedeuten." Das sei "blanker Hohn für all die Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben". Auch der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, lehnt die Forderung nach einem Rentenalter von 70 ab: "Bis die Rente mit 70 eingeführt wird, kann sich die Inflationsrate auch längst wieder normalisiert haben", sagte er zu "Bild". Zuvor hatten sich Ökonomen für eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 offen gezeigt.
Der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths, warnte gegenüber "Bild": "Der Mix aus alternder Gesellschaft, hoher Verschuldung und Energiewende wird in den nächsten Jahren zu einer steigenden Gefahr für die Preisstabilität." Ökonom Gunther Schnabl (Uni Leipzig) plädierte ebenfalls dafür, Menschen länger in den Arbeitsmarkt zu integrieren: "Deutschland hat schon heute ein riesiges Fachkräfteproblem, hunderttausende Stellen sind unbesetzt." Schuld daran trage auch die Politik, denn sie habe die Menschen mit Maßnahmen wie der "Rente mit 63" dazu ermuntert, früher in den Ruhestand zu gehen. "Langfristig fehlen deshalb Arbeitskräfte, die Löhne steigen und die Produktion wird teurer."
Foto: Alte und junge Frau sitzen am Strand (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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