Berlin - Der frühere Linke-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi hat seine Partei zu einem Umdenken bei Entscheidungen über Militäreinsätze aufgerufen. Gysi sagte der "Rheinischen Post" und dem Bonner "General-Anzeiger" (Montag): "Die Linke ist die Partei des Völkerrechts, und dazu zählt die Charta der Vereinten Nationen, in der ganz klar der Einsatz von Militär in bestimmten Fällen vorgesehen ist."
Er wolle, dass seine Partei über die UN-Charta nachdenke. "Wir müssen uns UN-mandatierte Militäreinsätze im Einzelfall anschauen. Wenn es um die Verteidigung eines angegriffenen Landes geht, ist das eben eine neue Lage." Gysi zeigte sich auch offen für eine Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine - allerdings nicht aus Deutschland. "Gar keine Waffen zu liefern, wie es die Friedensbewegung will, ist im Prinzip richtig, aber in diesem Fall zu einfach." Gysi ergänzte: "Bedingungslose Kapitulation, wie es manche jetzt von außen von der Ukraine fordern, ist für mich keine Friedenspolitik." Ob ein angegriffener Staat im Krieg aufgebe, habe niemand von außen zu entscheiden. Zugleich nahm Gysi die NATO gegen einseitige Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg in Schutz: "Die NATO hat mit Blick auf Russland fast alles falsch gemacht. Aber es gibt keinen einzigen Fehler, der diesen russischen Angriffskrieg rechtfertigt." Seine Partei rief er mit einem eindringlichen Appell zu einem Ende des Richtungs- und Führungsstreites auf. "Es geht um unsere Bedeutung, und es geht um unsere Existenz", sagte Gysi. Er fürchte allerdings, dass noch nicht alle Genossen den Ernst der Lage verstanden hätten.
"Deswegen werde ich beim Bundesparteitag im Juni auch sprechen. Die nächste Bundestagswahl wird entscheiden, ob es für die Linke als politische Partei eine Zukunft gibt. Es geht für uns um alles." Seine Partei brauche jetzt einen Neustart.
"Wir müssen uns klar sein: So wie bisher können wir nicht weitermachen. Wir brauchen eine Zäsur, egal, ob jetzt neu gewählt wird oder später." Gysi plädierte mit Nachdruck für einen anderen Umgang in der Linken aus. Schon vor zehn Jahren habe er beim Göttinger Parteitag für mehr Miteinander geworben.
"Es sind jetzt andere Probleme, aber der Streit muss aufhören, vor allem die Art des Streites." Weiter kritisierte der frühere Bundestagsfraktionschef: "Es gibt in der Linken zu viel Rechthaberei, zu viel Ideologie. Das bringt uns nicht weiter." Zugleich sagte er mit Blick auf zahlreiche Verdachtsfälle sexueller Übergriffe innerhalb der Linken: "Die Linke ist eine demokratische, emanzipatorische Partei. Sexismus darf bei uns keinen Platz haben."
Foto: Gregor Gysi (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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