Vor einem Jahr ging ein Narrativ um die Welt, wie es bereits vorher andere taten, die einem die Wucht der Kampagne mit ihrer massenpsychologischen Wirkung vor Augen führte:

Die Pandemie der Ungeimpften raste innerhalb eines Tages um den Globus: von Nordamerika über Europa bis Neuseeland - innerhalb von 24 Stunden sprach die gesamte westliche Welt von der Pandemie der Ungeimpften. Und ich war sprachlos und für eine Woche einigermaßen depressiv angesichts dieser unglaublichen Demonstration von Macht und schier unendlichen Ressourcen. Statt der Aufarbeitung eines zu diesem Zeitpunkt bereits unvorstellbaren Unrechts, war es der Beginn eines Kampfes, der für mich jetzt in dieser Form zu Ende geht. Ich konnte trotz meiner Reaktion auf das neue Narrativ nicht ansatzweise erahnen, wo es uns hinführen und was es bedeuten würde.

Jetzt habe ich eine Woche hinter mir, die mich erneut sprachlos macht. Sie begann mit der Lektüre des jüngst erschienenen Buches von Marcus Klöckner und Jens Wernicke „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“ am vergangenen Samstag vor einer dann schlaflosen Nacht. In dem Buch werden noch einmal die Barbareien aufgezählt, die durch das Narrativ der Pandemie der Ungeimpften ausgelöst wurden, obwohl es diese nie gab. Liest man sich das mit Abstand noch einmal durch, macht es etwas mit einem. Schlimmeres konnte wohl nur deshalb verhindert werden, weil sich so ein breiter und vielfältiger Widerstand dagegen formierte, trotz aller Versuche, diesen zu unterdrücken und zu diskreditieren. Was das Buch jedoch nicht leisten konnte, war, die Gefühlswelt abzubilden, die viele Bürger dieses Landes durchleben mussten. Das gelang beispielhaft eine Woche später.

Auf Twitter suchte der Rechtsanwalt Tobias Pörsel am 11.11.2022 nach Geschichten, die Menschen erlebt haben und die er für ein Plädoyer benötigte.

https://twitter.com/PoerselRA/status/1590968647656558594

Ich denke, das ist ein richtiger Weg, denn die Menschen scheinen überhaupt nicht zu verstehen, was sie anderen Menschen angetan haben. Die Reaktionen auf Twitter auf traumatisierende Erfahrungen sind oftmals „mimimi“ oder „heul leise“. Mag sich jeder selbst ein Bild davon machen, ob das der richtige Umgang mit Geschichten wie der folgenden des Nutzers Daniel Engelhardt ist. Menschen mit der Befähigung zur Empathie wird folgende Geschichte, die beispielhaft - jedoch besonders eindrücklich - für andere unter diesem Tweet steht, nicht unberührt lassen:

„Ich war Trainer einer Turngruppe für 3-5 jährige Kinder. Meine Co-Trainerin rief mich am Abend vor dem nächsten Training an und sagte, dass sie 2G durchsetzen werde!

Ich sagte ihr, dass ich die Rechtslage kenne und ihre Situation verstehen könne. Ich habe ihr gesagt, dass mein Kind trotzdem weiter zum Training kommen würde. Und ihr deshalb nicht böse sein werde.

Als ich meine Tochter am nächsten Tag zur Halle brachte, sah ich am Eingang ein Schild, dass ungeimpften Personen den Zutritt untersagte. Mein Kind (gerade 3) hat immer mit mir die Halle betreten und auch diesmal wollte ich ihr beim umziehen helfen und sie abgeben.

Ich hatte die Halle noch nicht ganz betreten, da schrie sie mich quer durch die Halle an, ob sich an meinem Impfstatus über Nacht etwas verändert hätte. Ich verneinte. Und sie schrie weiter: „RAUS!“

Ich blieb ruhig, bin auf sie zu und wollte ihr sagen, dass ich nur mein Kind bringen wollte und beabsichtige die Halle danach sofort wieder zu verlassen. Sie schrie wieder: „RAUS, sofort! Du hast hier nichts zu suchen!“

Als ich die Halle fast verlassen hatte rief sie mir hinterher: „Du kannst das hier gerne Faschismus nennen, ist es aber nicht!“ Damit bezog sie sich auf das Gespräch am Vortag, in dem ich von ‚faschistoiden Zügen in Deutschland‘ sprach!

Ich drehte mich um und wollte, dass so vor den anwesenden Eltern nicht stehen lassen. Nach meinem zweiten Schritt griff ihr Vater, der sie beim Training unterstützen sollte, mein 2. Kind (gerade 1),welches ich auf dem Arm hatte am Arm und riss mich so herum.

Ich fragte den Typen, wer er sei und was ihm einfällt mein Kind so hart anzufassen. Natürlich war ich jetzt nicht mehr so ruhig. Die anwesenden Kinder weinten mittlerweile zum Teil.

Der Typ, der sich mir in den Weg stellte, gab mir deutlich zu verstehen, dass ich jetzt sofort die Halle zu verlassen habe, sonst würde er die Polizei rufen. Ich verließ daraufhin natürlich die Halle.

Draußen habe ich vor Wut, Scham und Fassungslosigkeit geweint. Ich war ein Trainer, den die Kinder sehr mochten und der von den Eltern tolle Rückmeldungen bekommen hat. Dies wurde mir genommen.

Mein Kind sagt noch heute, wenn wir an der Halle vorbeifahren: „Papa, da darfst du nicht rein!“ Ich antworte ihr darauf nicht. Ich hoffe, dass sie die Geschichte irgendwann vergisst.

Noch heute bringt mich der Gedanke an die Situation in eine Schockstarre. Noch heute könnte ich sofort wieder weinen. Meine Welt und der Glaube an Recht und Ordnung wurde nachhaltig gestört. Eine Entschuldigung hat es nie gegeben.

https://twitter.com/Engelhardt_Dani/status/1591203677884121088

Jeder von uns Ungeimpften hat solche Geschichten erlebt und viele derer, die dem Druck nicht standhalten konnten ebenso und teils noch Schlimmere, die bis hin zu massiven körperlichen Schäden, schweren psychischen Leiden oder gar dem Tod geführt haben. Ich bin zum Glück psychisch recht resilient. Und trotzdem habe ich viele Geschichten erlebt, die mich trotz aller Versuche immer wieder von der Gesellschaft und Veranstaltungen fernhalten. Weil ich nicht weiß, was ich da soll. Weil ich nicht weiß, wie daraus jemals wieder eine lebenswerte und enkeltaugliche Gesellschaft werden soll. Hier ist eine der Geschichten, die uns als Familie sehr getroffen hat:

Eines unserer Kinder hat Probleme mit der Lunge. 2018 infizierte es sich mit der Influenza. Es ging ihm schnell sehr schlecht. Er wurde blasser, kurzatmiger. Man konnte sehen, wie schwer ihm das Atmen fiel und wie wenig Kraft er hatte. Die Sauerstoffsättigung sank so rapide, dass er umgehend ins Krankenhaus musste. Dort blieb er mit meiner Frau, bekam Sauerstoff und Medikamente, eine bakterielle Lungenentzündung hatte sich noch oben drauf gesetzt.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, kam das Leben wieder in geordnete Bahnen, die es für diese Zeit verlassen musste. Nicht nur meine Frau wurde aus ihrem (Berufs-)Alltag gerissen. Auch ich musste komplett alles umkrempeln, da ich mich um unseren anderen Sohn kümmern musste. Ein paar Wochen hatten wir wieder ein normales Leben. Dann erwischte er ausgerechnet ein RSV-Virus mit ähnlichen Folgen. Wieder begann alles von Vorne und was wir damals noch nicht wissen konnten: Durch diese beiden Infektionen und Narbenbildungen im Lungengewebe sollte sich dies noch öfter wiederholen bis zum November 2019. Da war unser letzter Krankenhausaufenthalt und wir brachten ihn mit manchem Zittern über die Erkältungszeit.

Dann kam COVID und mit ihm kam die Angst um das Kind mit voller Wucht und noch stärker als zuvor zurück. Ich hatte Verständnis für die Reaktion der Politik und Unverständnis für die, die weiter feierten. Zum Glück relativierte sich das sehr schnell mit der skandalisierten Vorveröffentlichung der Heinsberg-Studie von Hendrick Streeck. Ich konnte die aggressiven Reaktionen darauf nicht verstehen. Wir haben Luftsprünge gemacht, dass es sich nicht um ein Killervirus handelt und unser Sohn davon so gut wie nicht gefährdet ist.

Denn es macht etwas mit einem, sein kleines Kind so hilflos und schwach zu sehen. Aber es war auch ein Segen, in einem Land zu leben, wo man wusste, dass es gut versorgt sein würde. Als Familie haben wir die Zeit gemeistert. Oft habe ich mich gefragt, wie es in einem Land ausgegangen wäre, in dem wir keinen Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt hätten.

Im November 2021 wurde mir diese Zuversicht genommen. Es herrschte 2G. Es wurde uns klar gemacht, dass unser Kind im Falle einer erneut notwendigen stationären Aufnahme in der Klinik alleine sein würde und wir nicht wüssten, wie es ihm erginge und was sie mit ihm machen. Zu dieser Zeit musste man sogar fürchten, dass Ungeimpfte gar keine Behandlung mehr bekämen. Was sich im Kopf und der Gefühlswelt abspielt, wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, kann sich wohl niemand vorstellen, der nie in dieser Situation war. Auch das ist für mich eine Lehre der Coronakrise. Was Diskriminierung bedeutet, kann nur jemand verstehen, der sie am eigenen Leib gespürt hat. Ich habe mich immer gegen Diskriminierung und Unrecht gewehrt und mich für Schwächere eingesetzt, aber mehr aus Wissen über dieses Unrecht. Jetzt kann ich es selbst fühlen.

Alles andere konnten wir wegstecken. Wir durften mit den Kindern nicht in den Zoo, nicht ins Schwimmbad, nicht ins Restaurant und vieles mehr. Wir waren, wie es der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes, Tobias Hans (CDU) bei Maybritt Illner ungestraft sagen durfte, „raus aus der Gesellschaft“ und keinen interessierte es. Die geimpfte Mehrheitsgesellschaft fand es gut. Unsere Freunde und Verwandten schwiegen - und stimmten damit zu.

Es ist sogar noch schlimmer: Diejenigen, die anfangs weiter feierten und die Gefahr nicht ernst nahmen, als noch keiner wusste, wie groß sie ist, waren die ersten, die dann „geimpft“ waren: Aus eigener Angst und Hedonismus. Und sie forderten Maßnahmen und hatten weiterhin Angst. Meine Hoffnungen aus 2020, dass die Menschen aus ihrer Angst heraus kämen, wenn sie sich selbst geschützt wähnten, war zerstoben.

Wir haben diese Situationen überspielt und andere Lösungen gefunden, damit die Kinder von diesem gigantischen Unrecht nichts mitbekamen. Aber all das war nichts gegen das Gefühl, ein Kind an der Krankenhauspforte abgeben zu müssen und zu wissen, was das mit ihm machen würde. Ich habe in dieser Zeit mit Deutschland und meinem ehemals weiten Bekanntenkreis abgeschlossen. Ich bin bereit zu gehen, wenn es die Situation erfordert.

Mit dieser Erfahrung war ich nicht alleine. Viele sind bereits gegangen, andere tragen sich mit dem Gedanken, das Land zu verlassen. Denn diese persönlichen Erfahrungen sind ja nur die Spitze eines Eisbergs aus systematischer Diskriminierung und Entmenschlichung, von denen niemand wusste, wie weit das noch gehen würde und wann der letzte sichere Moment sein könnte, dem zu entkommen, wenn es nicht aufzuhalten wäre.

Sogar der Zugang zu Lebensmitteln - die Sicherung des eigenen Überlebens - drohte von der Spritze abhängig gemacht zu werden. Tafeln schalteten auf 2G*. Ganz vorne mit dabei war Paul Breitner, der dann vom Oberbürgermeister der Stadt München für sein Verhalten ausgezeichnet wurde.

https://twitter.com/exrealo/status/1519393398116990976

Wir kennen das aus der gesamten Coronakrise: Diejenigen mit dem für Demokratie und Gesellschaft verheerendsten Verhalten wurden öffentlichkeitswirksam ausgezeichnet, um staatstagend die Barbarei zu rechtfertigen, wohingegen alle anderen ausgegrenzt und diffamiert wurden und niemals eine Chance auf ein Gespräch bekamen wie wir aus der Münchner Bürgerrechtsbewegung auf mehrere offene Briefe an den Oberbürgermeister und den Stadtrat.

Man muss sich das einmal vor Augen führen, wofür Paul Breitner vom höchsten Repräsentanten der Stadt München ausgezeichnet wurde:

Die schwächsten der Schwachen wurden in die Spritze getrieben, um essen zu können. Was für ein gigantisches und unmenschliches Verbrechen! Dies griff der Twitteruser Notarzt12 am 8.11.22 mit einem Tweet auf:

„2021 war das Jahr, in dem man Ungeimpfte ggf. für das Allgemeinwohl ausgehungert hätte. Das werde ich nie vergessen.“

Der Twitteruser StimmederVernu9 leitete dies weiter mit einem eigenen Kommentar:

https://twitter.com/StimmederVernu9/status/1590070212631883777

Das war die Stimmung: Niemand wusste, wie weit die Mehrheitsgesellschaft noch gehen würde. Nur wir, die das „NieWieder“ und das „WehretDenAnfängen“ ernst nahmen, konnten Schlimmeres verhindern. Es war die Zeit, in der die Proteste groß wurden, in der ich auch meine volle Kraft in die Organisation der Proteste gelegt habe und maßgeblichen Anteil daran hatte, dass die Ludwigstraße in München im Dezember 2021 zum Bersten gefüllt war und ein Signal in die Welt gesendet hat. Nach eigenen massiven Erfahrungen mit sowohl beruflich als auch privat negativen Auswirkungen als eher zurückhaltender Maßnahmenkritiker und den anstehenden Entscheidungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht und der Kinderimpfung, trommelte ich mit anderen Anfang Dezember 40 Vertreter aus verschiedenen lokalen und regionalen Initiativen zusammen. Wir beschlossen, uns hinter die Proteste von „München steht auf“ zu stellen und gemeinsam dazu aufzurufen, weil das die nächste anstehende Versammlung war. Witzigerweise war an dem Treffen von „München steht auf“ gar niemand dabei, dafür waren umso mehr Menschen auf ihrer nächsten Versammlung. Es war die Geburtsstunde einer Bewegung, die so viele Menschen wieder Hoffnung schöpfen ließ.

In den Kommentaren zu obigem Tweet klinkten sich weitere User ein. Die Nutzerin "PorscheMascha" kommentierte:

https://twitter.com/PorscheMascha/status/1590079828450910208?s=20&t=zy2pFcZzYP6udgOaBjhajw

Die Nutzerin "Epidemiologin" antwortete darauf:

https://twitter.com/epidemiologin/status/1590317288254631936

Unzählige Menschen haben sich innerhalb des letzten Jahres bedankt, dass wir das machen. Es gibt den Leuten Mut. Es gibt ihnen Kraft. Es gab ihnen die Kraft, sich gegen die Spritze zu wehren. Ja, wir haben durch unser Wirken Menschen gestützt und geholfen und darauf bin ich stolz. Das war ein Grund, warum ich das gemacht habe.

Der zweite Grund ist das, was Prof. Matthias Desmet, klinischer Psychologe an der Universität Gent und Psychotherapeut, sagt: In dem Moment, in dem die Opposition zum Schweigen gebracht und unsichtbar wird, besteht die Gefahr, dass es ruckzuck in den Totalitarismus geht.

Es ist daher enorm wichtig, dass es Stimmen der Vernunft gibt, die immer die Wahrheit (natürlich aus ihrer Sicht) ansprechen. Die Sichtbarkeit der Opposition ist das zweite für mich maßgebliche Kriterium, warum ich so etwas mache. Ich habe jahrelang Demos gemacht, von TTIP über große Umwelt- und Klimaproteste. Ich weiß, dass Demos keine maßgeblichen Änderung der Politik herbeiführen werden. Ich bin überzeugt, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem die Leute erkennen werden, welcher Schaden durch die Coronapolitik und die sog. Impfung angerichtet wurde und welchen sie an der Gesellschaft und den Menschen mit angerichtet haben. Aktuell können ihn viele noch nicht sehen - ein psychologisches Phänomen, das ich so unglaublich wie spektakulär finde, das sich aber in der Realität beobachten lässt. Es geht also nicht darum, Politik zu gestalten, was mit dem nicht gerade homogenen Teilnehmerkreis eh schwer ist, weil die Beweggründe zu unterschiedlich sind, warum Leute auf solche Demos gehen und welche Forderungen sie haben. Und dann kommen noch die politischen und gesellschaftlichen Beharrungskräfte dazu. Nein, es geht schlichtweg darum, Zeit zu gewinnen und Schlimmeres zu verhindern. That’s it. So nüchtern sehe ich das.

Nach dem großen Protest in der Münchner Ludwigstraße am 15.12.2021, an der ich auch eine Rede hielt und zu der ich mehrere Texte und offene Briefe schrieb, rief mich tags darauf eine Bekannte an und bedankte sich bei mir dafür, dass ich mich mit breitem Kreuz dorthinstellte und so etwas mache. Es gebe den Menschen so viel Hoffnung und sie soll mir noch von anderen Grüße ausrichten, die dafür sehr dankbar seien. Ich fragte sie, ob ich diese anderen kenne. Sie sagte „ja, aber sie möchten nicht, dass jemand weiß, dass sie auf der Demo waren und maßnahmenkritisch eingestellt seien.

Noch einmal: Menschen, die ich persönlich kenne, haben sich nicht getraut, sich mir gegenüber zu öffnen, dass sie die gewaltigsten Eingriffe in unsere Grundrechte, das größte Unrecht in der Geschichte der BRD, kritisch sahen. Das war für mich das Ende der Demokratie, die von offenen Debattenräumen lebt. Diese waren jedoch bereits 2020 zerstört worden. Diese Nachricht zeigte nur eines: Wir haben es mit einem bereits herztoten Patienten zu tun, der wiederbelebt werden musste. Das war der Zustand Ende 2021.

Diese Reise geht nun für mich zu Ende. Sie ging eigentlich bereits zu Ende, als es einem breiten gesellschaftlichen Bündnis gelungen war, durch Lobbying, Pressearbeit, Gespräche, Arbeit in den sozialen Medien, Gerichtsverfahren und vor allem auch durch die Spaziergängerbewegung den schlimmsten Sündenfall mit der allgemeinen Impfpflicht zu verhindern. Bereits danach war ich aus verschiedenen Gründen lieber im bayerischen Oberland unterwegs als in München. Der Protest auf der Straße war weiter nötig, weil eine Debatte verweigert wurde. Wir erleben es jetzt mit unseren Gesprächsformaten im Wir-gemeinsam-Bündnis so wie andere auch, die Vergleichbares anbieten, dass ein Bedürfnis besteht, wieder miteinander zu reden, auch wenn dies noch nicht so lagerübgerfreifend ist, wie es wünschenswert wäre und hoffentlich bald der Fall ist.

Dazu braucht es aber eine andere Kommunikation und das sehe ich durchaus selbstkritisch. War ich 2021 noch eher moderat in meiner Kritik und Kommunikation, verhärtete sich dies immer mehr, je schlimmer und weiter die Maßnahmenbefürworter die Dinge trieben und je härter der Ton von deren Seite wurde. Gerade da aber wäre ein versöhnliches Gesprächsangebot nötig gewesen, so paradox das auch klingen mag. Die Aufarbeitung ist jetzt wichtig und natürlich müssen sich sehr viele Menschen mit Verantwortung selbiger stellen - auch in Gerichtsverfahren. In der Bevölkerung gibt es jedoch nicht nur Täter. Gleichzeitig sind sie Opfer einer gigantischen Propagandamaschinerie. Jeder Vorwurf und jede Verhärtung würde zu Reaktanz führen. Damit hat Rechtsanwältin Jessica Hamed vollkommen recht.

https://twitter.com/jeha2019/status/1591344424474533890

Jeder ist aufgerufen, an sich zu arbeiten, was Unterschiedliches bedeuten kann. Für mich beispielsweise, weniger Diskussionen auf Twitter, das gerade dazu geschaffen scheint, zu polarisieren und zu spalten. Zu recht bezeichnet der Nutzer "Matze2001" Twitter in einem Tweet, den man im Fachjargon wohl als vollkommen „underrated“ bezeichnen muss, als gescheitertes soziales Experiment.

https://twitter.com/matze2001/status/1569428514050383882

Ein weiteres Vorkommnis, das mich zu diesem Entschluss brachte, reiht sich ebenfalls ein, in die Ereignisse dieser Woche. Es wird weiterhin Themen geben, für die es wichtig ist auf die Straße zu gehen. Ich begrüße das ausdrücklich und wünsche mir, dass es weitergeht und wieder zunimmt. Die noch immer bestehende Impf- und Duldungspflicht, Frieden, die herausziehende Wirtschaftskrise werden weiter für den leider nötigen Zulauf zu den Protesten sorgen. Gleichzeitig sehe ich aber kaum Möglichkeiten, den Protest auf die Themen der Agenda zu fokussieren, die ich in einer Rede im Mai 2022 auf einer Versammlung in Weilheim thematisiert habe.

Während das Empörungsmanagement, vor dem man immer wieder den Hut ziehen muss, diese Woche über alle möglichen Nebensächlichkeiten für überhitzte Gemüter gesorgt hat, verkündet die Bundesregierung, dass die anderen Punkte der Agenda im Windschatten schonungslos vorangetrieben werden: Zurückdrängung des Bargelds (bis hin zu seiner Abschaffung?), dafür dann digitales Bargeld (was für eine orwellsche, aber leider funktionierende Verhöhnung!) und das Bürgergeld, das geeignet sein könnte, den in der Industrie 4.0 „überflüssigen“ Arbeitskräften einen Ausstieg aus dem Beruf zu versüßen, freilich mit dem drohenden Damoklesschwert der totalen Abhängigkeit. Diese Instrumente zusammen gedacht, bieten mit durch die Impfkampagne bereits weit akzeptierten Apps und QR-Codes die Möglichkeit für ein gigantisches System der Disziplinierung und Totalüberwachung. Ein Blick nach China könnte heilsam sein, um zu erahnen, wo wir nicht auch nur ein weiteres Stückchen hinwollen sollten.

Ich weiß noch nicht, wo sich der Straßenprotest hinentwickeln wird. Ich jedenfalls habe im Moment die Faxen dicke, immer wieder darauf hinzuweisen, dass er anschlussfähig ist und in der Regel in München nicht so bewusst provokativ gestaltet ist, wie die Demonstration von Markus Haintz ausgerechnet am 9. November - einem Tag, der wie kaum ein anderer ungeeignet ist für Polarisierung und dann noch unter dem hashtag #freejanich, der die Provokation noch einmal steigerte. Ich kenne weder Markus Haintz noch Oliver Janich und sehe beide sehr kritisch. Für mich war diese Versammlung nichts und für viele andere auch nicht. Man hätte sie ignorieren und laufen lassen können, wenn nicht die Süddeutsche Zeitung Öl ins Feuer gegossen hätte in einer unglaublichen Hetzkampagne. Fast hätte sie es geschafft eine Eskalation hinzubekommen. Jedenfalls war der Hass auf Seiten von Teilen der Gegendemonstranten bemerkenswert.

Ursprünglich hatte ich geplant, ein Video zu schneiden, das die eigentlich sehr gute Rede von Markus Haintz in Kontrast zu der unversöhnlichen und hasserfüllten Reaktion der Gegenseite zeigt. Aber ich mag nicht mehr. Ich mag diesen Hass nicht mehr reproduzieren. Es ist zu viel Hass. Viel zu viel. Wir brauchen das Gegenteil. Zum Glück ließ sich ein Großteil der übrigen Gegendemonstranten von München ist bunt nicht zu derartigem Hass hinreißen. So ist die Türe noch offen, aber die Gefahr der Zersetzung ist nicht gebannt und ich bin müde, noch einmal mit genau dem am Ende dieses Jahres von vorne anzufangen, womit ich dieses Jahr mit eigenen Versammlungen im Januar und Februar begann.

Ich kann nur eines sagen: Ich ziehe mich jetzt auch, weil ich keine Lust mehr auf diese Diffamierung und diesen Hass habe. Ich wurde und werde von vielen anderen Linken unterstützt. Es ist aus meiner Sicht unbedingt erfoderlich, auch eine linke Zukunftsperspektive in die Bewegung auf der Straße zu tragen. Wenn sich auf Seiten der Gegendemonstranten wirklich Linke befinden, sollte ihnen das zu denken geben. Denn Teile der Bürgerrechtsbewegung gehen nicht wie ich auf die Straße wegen des Unrechts und der Ungerechtigkeit, die ich nicht aushalte, sondern wegen individueller Freiheitsrechte. Die Gegendemonstranten bewirken durch ihren Hass das Gegenteil von dem, was sie vielleicht zu erreichen glauben. Sie haben sich in der Coronakrise zum Büttel von Konzernen und einem immer autoritärer und in Teilen faschistoid agierendem Staat gemacht. Auch da wäre dringend Zeit zum Umdenken, gerade wenn man aktuell die Auswirkungen selbst zu spüren bekommt, die seit je von der Bürgerrechtsbwegung thematisiert werden. Denn heute gehen in München unter dem Motto #noPAG zu Recht Demonstranten auf die Straße gegen die Gefährderhaft nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz - mithin für Grundrechte und individuelle Freiheitsrechte.

Auf Seiten der Bürgerrechtsbewegung kann ich nur sagen, dass es hilfreich ist, sich von Führerfiguren unabhängig zu machen und lokal zu agieren, wo man sich persönlich kennt. Man läuft nicht Gefahr, undurchsichtige Agenden und persönliche Ziele anderer zu unterstützen. Es muss immer um die Sache gehen und es braucht mehr Sensibilität: sprachlich, intellektuell, charakterlich. Auf allen Seiten. Wenn jemand Opfern der Coronapolitik ein Schild entgegenhält, dass sie Täter seien, ist das mindestens ebenso unangebracht, wie eine provokative Versammlung an einem so denkwürdigen Tag zu veranstalten.

Ich hatte das Gefühl, aktuell gebe es eine Strömung, dass Menschen wieder aufeinander zugehen und etwas Verständnis füreinander entwickeln. Vielleicht haben das andere Kräfte in der Gesellschaft auch gespürt und wollten es nicht hinnehmen.

Wir haben aber in Bayern aktuell eine einmalige Situation. Markus Söder wird als engagierter Wahlkämpfer und talentierter Strömungssurfer zunächst keine weitere Spaltung bringen.

Wir müssen diese kurze Zeit nutzen, um aufeinander zugehen, miteinander zu reden, uns auszusöhnen. Das alles ist schwer. Ich habe letzte Woche gemerkt, dass ich für diese Gesellschaft zumindest aktuell weitgehend verloren bin. Ich habe zwei Termine ausgemacht in Organisationen, in denen ich tätig war und die ich leidenschaftlich mit geprägt hatte, den Bayerischen Verein für Gemeinwohlökonomie und das Kartoffelkombinat. Ich musste beides kurzfristig absagen. Es gab auch andere Gründe aber der bestimmende war: es geht (noch) nicht.

Ich kann es nicht. Dafür ist zu viel Grausames passiert, das niemals passieren hätte dürfen und das ich niemals für möglich gehalten hätte. Da die Gespräche und die Aussöhnung aber unbedingt erforderlich sind, habe ich die Strukturen geschaffen, die dies ermöglichen und auch die Leute gefunden, die dies können und die ich dabei im Hintergrund unterstützen werde (so dass mit mir - beispielsweise aus dem Stadtrat - auch gar niemand reden muss).

Dieser Text ist ein Plädoyer dafür, miteinander zu reden, auch wenn ich es nicht kann.

#wirmuessenreden #lassreden


Titelbild: Gerd Altmann auf Pixabay

  • *Ich wurde darauf hingewiesen, dass Paul Breitner nur Geimpfte zu seiner Tafel zuließ: 1G!

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