Berlin - Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat vor einer versteckten Triage in Altenpflegeheimen gewarnt. "Natürlich weiß ich nicht, was in jedem einzelnen Pflegeheim gesprochen wird", sagte Lambrecht dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Dienstagausgaben).

"Aber es wäre schrecklich, wenn alte Menschen wegen fehlender `Erfolgsaussichten` nicht mehr aus Pflegeheimen in Krankenhäuser überwiesen würden." Hinweise und Äußerungen, wonach in Altenpflegeheimen bereits eine informelle Vorauswahl für die Überweisung von hochbetagten Corona-Patienten zur Behandlung ins Krankenhaus getroffen werde, kommentierte Lambrecht mit den Worten: "Das wäre völlig inakzeptabel. Darüber muss doch Einigkeit herrschen, ethisch wie rechtlich: In diesem Land ist uns jedes Leben gleich viel wert." Zwar sei es richtig gewesen, dass der Bundestag die Corona-Impfungen per Gesetz priorisiert habe.

Dies sei aber nicht auf die Behandlung von Erkrankten übertragbar, so Lambrecht: "Jede Patientin, jeder Patient soll die bestmögliche medizinische Behandlung bekommen. Das ist das Ziel all unserer Anstrengungen", sagte die SPD-Politikerin dem RND. "Ich werde alles dafür tun, damit wir keine Triage brauchen." Sie fügte hinzu: "Jedes Leben muss gleich behandelt werden, und unsere Aufgabe als Politik ist es, dafür zu sorgen, dass das auch so umgesetzt werden kann." Zuvor hatten die Gesundheitsexperten von SPD und Grünen im Bundestag, Karl Lauterbach und Corinna Rüffer, angesichts der Verteilung der Corona-Todeszahlen von einer versteckten Triage in Altersheimen gesprochen.

"Wir müssen befürchten, dass insbesondere erkrankte Hochbetagte in Pflegeheimen nicht die medizinische Versorgung bekommen, die sie eigentlich bräuchten", hatte Rüffer dem RND (Samstag) gesagt. Laut den Statistiken des Robert-Koch-Instituts (RKI) seien rund zwei Drittel der Corona-Todesfälle nicht auf Intensivstation verstorben. "Das könnte darauf hindeuten, dass vor Ort in einer Art Triage entschieden wird, schwer Erkrankte nicht mehr ins Krankenhaus zu bringen. Das muss untersucht werden."

Weder schnelle Krankheitsverläufe, noch Patientenverfügungen würden die hohe Zahl derjenigen erklären, die außerhalb von Intensivstationen sterben, so Rüffer. "Für mich besteht daher der Verdacht, dass Menschen aus Pflegeheimen keine Chance auf eine intensivmedizinische Behandlung bekommen, weil sie von vornherein aussortiert werden. Wenn das zutrifft, würde das im Prinzip bedeuten, dass eine Vor-Triage in Einrichtungen stattfindet." Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte bereits in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" berichtet, die lebensbedrohlich erkrankten Corona-Patienten auf den Intensivstationen kämen nur noch selten aus den Pflegeheimen: "Diese Leute kommen meistens schon gar nicht mehr in die Intensivstation, sondern sie sterben in den Pflegeeinrichtungen", so Lauterbach.

Das Durchschnittsalter in den großen Intensivstationen liege derzeit bei 60 Jahren. "Wenn wir – wie in der ersten Welle – die Menschen aus den Pflegeheimen noch alle auf die Intensivstationen bringen würden, dann wären die Intensivstationen schon längst überlaufen." Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate von Covid-Patienten, die aus Pflegeheimen auf Intensivstationen verlegt worden waren, "wird das heute gar nicht mehr versucht", so Lauterbauch.

Foto: Mann im Rollstuhl (über dts Nachrichtenagentur)

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