Bildung, Digitalisierung, Wirtschaft – mit diesen drei Themen will die FDP unter ihrem Parteivorsitzendem Christian Lindner bei der kommenden Bundestagswahl 2021 punkten.

Nachdem die Liberalen bereits im August ihre Programmarbeit zur Bundestagswahl unter dem Motto „Zukunft braucht Verbündete“ starteten, fand im September der erste physische Bundesparteitag überhaupt seit Beginn der COVID-19-Pandemie statt.

So ungewöhnlich das Abhalten eines physischen Events in der aktuellen Zeit auch anmutete, stellte dies für die FDP den symbolischen Aufbruch nach Corona dar. Der Ausstieg aus den Jamaica-Verhandlungen sowie die Wahl von Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten unter Mithilfe der AfD haben die Partei viel Sympathie unter potentiellen Wähler:innen gekostet. In den Monaten der Pandemie erlitt sie einen schweren Imageschaden und schaffte es trotz liberaler Pandemiebekämpfungsstrategie nicht zur Bevölkerung durchzudringen. Ein Neustart durch Aufbruchsstimmung soll die FDP wieder in sicheres Fahrwasser lenken. Ob dieser Aufbruch allerdings inhaltlich vollzogen werden kann, bleibt fraglich.

Altbekannte Forderungen

Freiheit und Verantwortung für die Zukunft, Weltoffenheit, Innovationen sowie Mut werden mit dem schwerfälligen Slogan „Aufbruch vom Jahr der Krisen ins Jahrzehnt des Aufstiegs“ im Leitantrag des Bundesparteitags gefordert. Dabei solle man den Mut zur Veränderung wiederfinden und mehr Fokus auf Klimaschutz, Sozial- und Bildungspolitik gelegt werden. Die FDP will letztere „zum deutschen Mondfahrprojekt machen“.

Bereits 2017 sprach sich Lindner für einen „360-Grad-Liberalismus“ aus, bei dem das freie Individuum ins Zentrum gerückt werden sollte und die Verpflichtung, eine Politik der bürgerlichen Entfaltungsmöglichkeiten in allen Lebensbereichen zu gestalten.

Also Wegfall von staatlicher Bevormundung sowie bürokratischen Hürden. Und eben FDP-typisch: Steuervereinfachungen und -entlastungen. Einem „Update für die Steuerpolitik“, wie es auf der FDP-Website heißt.

Die FDP nach Corona

Die Frage ist, ob 2020 inmitten einer Pandemie und einsetzender Rezession wirtschaftsliberale Positionen in der Bevölkerung noch genug gesellschaftliche Akzeptanz finden können?

Steuersenkungen für den Mittelstand verlieren sicherlich auch in Krisenzeiten nicht an Attraktivität, ebenso wenig die Betonung liberaler Bürgerrechte wie des Demonstrationsrechts. Gleichzeitig steht sich die Partei allerdings mit ihrem Narrativ vom (über-)regulierenden Staat und bremsender Bürokratie selbst im Weg. Müssten uns die Erfahrungen der Corona-Krise nicht lehren, dass wir vielmehr einen effektiveren statt eines schlankeren Staates benötigen?

Appelle an die Vernunft des Einzelnen und die Hoffnung auf technologische Lösungen helfen nur begrenzt dabei, Krisen zu meistern. Auch die personelle Neubesetzung von Volker Wissing als Generalsekretär wird daran trotz der Hoffnung, dass dieser durch seine Regierungserfahrung in Rheinland-Pfalz und seine Wirtschaftskompetenz „Architekt eines Ampelbündnisses“ werden könnte, wenig ändern. Eher hat die Demontage Linda Teutebergs und der unrühmliche Umgang mit ihr inklusive Herrenwitz von Lindner auf dem Parteitag dazu geführt, das liberale Leitbild weiter zu beschädigen.

Die Suche nach dem liberalen Kompass

Die FDP muss sich neu erfinden und liberale Antworten auf drängende außen- und innenpolitische Fragen finden. Wie sollen demokratische Grundwerte und Menschenrechte angesichts der Fragilität von Staaten und ihres globalen Sicherheitsrisikos verteidigt werden? Wie lassen sich der sozioökonomische Wandel der Gesellschaft gestalten und die sozialen und ökonomischen Bedürfnisse der Menschen mit dem Klimaschutz vereinbaren?

Auf alle diese Fragen hat die FDP auch 2020 noch keine Antwort gefunden. Dabei wird der politische Liberalismus und sein Ansatz, die Politik vom Einzelnen und dessen Freiheit her zu denken, besonders heute in einer sich immer schneller verändernden Welt für die Politik der Zukunft und die Bereitschaft Verantwortung für diese zu übernehmen, gebraucht. Auch heute sind Freiheit und Selbstverantwortung hohe gesellschaftliche Güter, für welche es politisch einzutreten gilt und die geschützt werden müssen.

Letzten Endes wird es die FDP selbst sein, die über ihr Schicksal entscheiden muss. Da FDP-Chef Lindner bereits verlauten ließ, dass er seine Zukunft als Parteivorsitzender vom Wahlergebnis 2021 und der Möglichkeit auf eine Koalition abhängig mache, die aktuellen Umfrageergebnisse allerdings eine andere Sprache sprechen, bleibt abzuwarten, wie sich ein möglicher Führungswechsel der FDP-Spitze auf die strukturelle und inhaltliche Ebene der Partei auswirken wird. Vielleicht wird es dann einen realen Aufbruch in der FDP geben.


Foto: https://pixabay.com/de/photos/christian-lindner-fdp-2333992/

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