Seit 15 Monaten ist Australiens Südseeparadies Lord Howe rattenfrei. Zuvor hatten rund 300.000 der Nager die Tier- und Pflanzenwelt der Insel an den Rand des Kollapses gebracht. Die „Wiedergeburt“ der Insel ist beeindruckend.
Auf Lord Howe hüpfen keine Kängurus durch den Busch und es hängen keine Koalas an den Bäumen. Stattdessen säumen Kentia-Palmen und Banyan-Bäume das Weltnaturerbe, das gerade mal zwei Stunden Flug von Brisbane oder Sydney entfernt im Pazifik liegt. Die winzige Insel, Überrest eines alten Vulkans, ist in den vergangenen sieben Millionen Jahren auf ein Vierzigstel ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft. Heute ist sie nur noch 14,5 Quadratkilometer groß.
Lord Howe ist eines der letzten Paradiese der Erde. Auf der Insel in der Tasmansee, einem Stück Pazifik zwischen Australien und Neuseeland, scheint die Zeit ein wenig stehengeblieben zu sein. Handys funktionieren hier nicht, es gibt nur wenige Autos auf der Insel – die Geschwindigkeitsbegrenzung beträgt 25 km/h. Verkehrsdelikte oder andere Verbrechen sind selten auf der Insel. Der einzige Polizist hat nicht viel zu tun – bei rund 350 Einwohnern und maximal 400 Gästen auch kein großes Wunder.
Ratten kamen nach Schiffbruch an Land
Doch das Paradies hatte bis vor etwa 20 Monaten auch eine dunkle Seite, von der Besucher nicht allzu viel mitbekamen. Denn die wenigen Siedler teilten sich die idyllische Insel bis dahin mit rund 300.000 Ratten und Mäusen. Letztere bevölkerten die Insel wohl bereits seit etwa 1850. Die Ratten dagegen kamen deutlich später an Land – vermutlich 1918, nachdem ein Schiff vor der Insel Schiffbruch erlitt und sank.
Doch die Nagetiere vermehrten sich rasant. Forscher vermuten, dass vor dem Ausrottungsprogramm bis zu 1000 Nager auf einen Einwohner kamen. Die Tiere richteten unermesslichen Schaden an. Vermutlich waren sie für das Aussterben von mindestens fünf Landvögeln, 13 wirbellosen Tieren und zwei Pflanzenarten verantwortlich. „Jede Nacht sind sie losgezogen und haben alles gefressen, was sie finden konnten“, sagte Hank Bower, einer der Experten, die sich intensiv mit den Problemen der Insel beschäftigt haben, dem australischen Sender ABC. Neben Schnecken und anderen kleinen wirbellosen Tieren hätten die Nagetiere auch viele Küken, Eier und Samen gefressen. Das Problem habe sich mit der Zeit so ausgewachsen, dass viele der Insulaner nicht mal mehr Gemüse und Obst im eigenen Garten anbauen konnten, ohne dass dieses von den Tieren angebissen oder völlig aufgefressen wurde.
Wie tötet man 300.000 Nagetiere?
Im Juni 2019 entschloss die Umweltbehörde schließlich, mehr als 15 Millionen Australische Dollar oder umgerechnet fast zehn Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um die eingeschleppten Tiere auf der Insel wieder auszurotten. Im Rahmen des Programms wurden 22.000 verschließbare Fallen mit Gift rund um die Insel platziert. In schwer zugänglichen Bereichen der Insel verstreute man Giftköder vom Helikopter aus. Wie aufwändig die Aktion letztendlich war, zeigt, dass sie bis ins letzte Detail durchdacht war. Damit die bereits gefährdete Population der einheimischen flugunfähigen Woodhens, der sogenannten Waldrallen, das Gift nicht fressen konnte, siedelte man die Tiere vorübergehend in den Zoo in Sydney um.
Die großangelegte Aktion, die zunächst bei den Bewohnern der Insel umstritten war, hat sich inzwischen mehr als bezahlt gemacht. Seit rund 15 Monaten ist weder eine Ratte noch eine Maus auf der Insel gesichtet worden. Nochmal erfreulicher ist, dass in dieser Zeit die einheimische Tier- und Pflanzenwelt eine geradezu erstaunliche Wiedergeburt erlebt hat.
Jede Nacht ein Grillenkonzert
Beispielsweise hat sich die Zahl der Waldrallen in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt. „Es war ein wirklich bemerkenswertes Ergebnis, das wir nicht erwartet hatten“, sagte Terry O'Dwyer, ein Forscher des australischen Umweltministeriums. „Bei der letzten Zählung registrierten wir 460 Vögel, und zuvor waren es nur 250 gewesen“, sagte er. Der Forscher vermutet, dass die Tiere zuvor im Nahrungswettbewerb mit den Nagetieren standen und diese auch Küken und Eier fraßen.
Andere einheimische Vogel- und Pflanzenarten profitieren ebenfalls davon, dass die Nagetiere von der Insel verschwunden sind, und vermehren sich verstärkt. Laut Hank Bower sind auch wieder deutlich mehr Insekten auf der Insel unterwegs. Beispielsweise könne man wieder viel mehr Grillen hören, sagte er. Dies sei zuvor schon eine Seltenheit gewesen. „Doch jetzt gibt es wieder jede Nacht ein Grillenkonzert“, so Bower. „Es ist eine ökologische Renaissance – einfach unglaublich.“
Coverbild: NSW Environment
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