Berlin - Der Bundesverband der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen (BVÖGD) warnt vor einer baldigen Lockerung der Corona-Beschränkungen. Die Gesundheitsämter könnten die Lage nur dann stabil halten, wenn die Zahl der Neuinfektionen noch einmal deutlich nach unten gedrückt werde, sagte die Vorsitzende des Berliner Ärzteverbandes, Ute Teichert, der "Welt" (Mittwochausgabe).

"Wir müssten zunächst unter eine Inzidenz von zehn oder wenigstens 20 kommen. Erst dann hat man Luft im System." Andernfalls entgleite das Infektionsgeschehen, sobald die hochansteckenden neuen Virusvarianten verbreitet würden. Der BVÖGD vertritt die Interessen der rund 2.500 Ärzte, die in den deutschen Gesundheitsämtern Dienst tun.

Teichert, die auch die Düsseldorfer Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen leitet, mahnte weitere personelle Aufstockungen in den knapp 380 deutschen Gesundheitsämtern an. Der Einsatz von Hilfskräften und Bundeswehrsoldaten garantiere keine nachhaltige Kontrolle des Infektionsgeschehens. Außerdem müsse der Schutz der Bevölkerung "an vielen Stellen hochgefahren werden", so Teichert. Dazu gehöre neben der Impfstrategie und einer weiteren Digitalisierung der Gesundheitsämter vor allem der Ausbau der Testmöglichkeiten.

Schulen sollten nur in Verbindung mit einer vernünftigen Teststrategie wieder eröffnet werden. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) fürchtet bei einer Öffnung von Schulen und Kitas vor Anfang März, "dass sich durch die Mutationen unbemerkt eine dritte Welle aufbaut", wie DIVI-Präsident Gernot Marx dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Mittwochausgaben) sagte. "Wir müssen den Lockdown in dem jetzt bestehenden Umfang mindestens bis Anfang März fortführen. Auch der Präsenzunterricht an den Schulen sollte bis dahin weiter ausgesetzt und Kitas geschlossen bleiben", sagte er.

Das sei für die Kinder und die Eltern eine unglaublich Belastung. "Schulen und Kitas tragen jedoch in großem Maße zur Verbreitung des Virus bei, was durch die Mutationen noch verschärft wird", warnte Marx. Das habe man in Großbritannien gesehen: Am Jahresende 2020 sei das Land im Lockdown gewesen – bei geöffneten Schulen. "Das führte zu einer stetigen Verschärfung des Infektionsgeschehens", so der DIVI-Chef.

Die Erfahrungen aus Großbritannien, Irland und Portugal zeigten, "dass die Infektionszahlen umgehend in ein exponentielles Wachstum übergehen, wenn zu früh geöffnet wird". Dann seien noch drastischere Maßnahmen nötig, um die Zahlen wieder nach unten zu drücken. "Wir müssen Zeit gewinnen, auch um mehr Menschen impfen und damit schützen zu können", so der Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen. Marx verwies darauf, dass die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten zuletzt zwar gesunken ist, sie aber immer noch deutlich höher sei als im Frühjahr 2020. Außerdem dürfe man nicht nur auf die nackten Zahlen der Auslastung der Intensivstationen schauen.

"Die Ärzte und Pflegekräfte auf den Intensivstationen sind erschöpft. Das vergangenen Jahr hat die Mitarbeiter körperlich, seelisch und emotional extrem belastet", sagte der Verbandschef. Sie würden weiter ihr Bestes geben. "Aber wir können nicht dauerhaft im roten Bereich arbeiten", warnte er.

Foto: Corona-Hinweis (über dts Nachrichtenagentur)

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