Berlin - Mediziner rechnen bei einer vierten Corona-Welle mit weniger Patienten auf den Intensivstationen als in der jüngsten Hochphase - sehen aber insbesondere für Kinder aufgrund der langen Isolation zusätzlich die Gefahr mangelnder Abwehr anderer Krankheiten. Übereinstimmend plädieren sie für eine neue Bewertung der Gefahr für die Corona-Ausbreitung über die bloße Sieben-Tage-Inzidenzen hinaus - nötig sei eine flexible Berechnung mehrerer Indikatoren ohne "abstrakte Formel", sagte Stefan Kluge, Vorstandsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Dienstagausgaben).

"Ich bin mir sicher, dass die Zahlen der Patienten auf den Intensivstationen und in den Krankenhäusern bei einer vierten Welle nicht so hoch sein werden wie bei der dritten Welle. Aber es ist noch nicht vorbei." Das Virus sei in seiner Delta-Variante viel ansteckender als noch vor einem Jahr. "Deshalb sollten jetzt auch nicht alle Regeln, wie etwa das Maskentragen in Supermärkten, aufgehoben werden." Die Leiterin der Klinischen Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Berit Lange, wies auf eine andere Gefahr hin: "Eine zusätzliche Befürchtung ist, dass es zu einem Nachholeffekt anderer Krankheiten kommt. Aus Großbritannien und den Niederlanden gibt es dazu Berichte, dass sich besonders mehr kleine Kinder als in anderen Jahren mit dem RSV, dem respiratorischen Syncytial-Virus, infizieren." Kämen dazu noch steigende Corona- und Influenza-Infektionen, könne es hier wieder zu Überlastungen des Gesundheitssystems kommen. Kinder und Jugendliche hätten nur sehr geringe Risiken für schwere Covid-19-Verläufe, aber für Ungeimpfte bleibe das Risiko eines schweren Verlaufs gleich und auch bei Geimpften bleibe ein Restrisiko bestehen. In Bezug auf die bisherigen Corona-Inzidenzwerte sagte Lange: "Ich verstehe, dass man sich ein möglichst einfaches Werkzeug wünscht." Aus epidemiologischer Sicht sei es aber wenig sinnvoll, Grenzwerte für Inzidenzen festzuschreiben, weil diese immer wieder neu angepasst werden müssten. "Wichtiger ist es, Entscheidungen aufgrund der aktuellen Lageeinschätzungen unter Berücksichtigung verschiedener Indikatoren zu treffen." Neben der Inzidenz brauche es den R-Wert, die Intensivbettenbelegung sowie den Anteil der Geimpften unter den Neuinfektionen.

Foto: Ärzte (über dts Nachrichtenagentur)

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