Berlin - Die Pläne von Jens Spahn (CDU), Geimpften wieder mehr Freiheitsrechte zurückzugeben, hat zwar inhaltliche Zustimmung, aber zugleich auch weitere Kritik hervorgerufen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Linkspartei, Achim Kessler, bewertete den Vorstoß in der "Welt" (Dienstagsausgabe) als Ablenkungsmanöver.

"Es spricht nichts dagegen, erfolgreich geimpfte Menschen zu behandeln wie Menschen mit einem negativen Test", sagte er der Zeitung. Doch solange nur ein geringer Teil der Bevölkerung geimpft sei, sei dieses Vorhaben für die meisten Menschen "irrelevant". Er fordere Spahn auf, "endlich damit aufzuhören, mit Scheindebatten von seinem Versagen abzulenken", so Kessler. Für die Grünen-Fraktion im Bundestag mahnte die Berichterstatterin für Infektionsschutz, Kordula Schulz-Asche, dass in der aktuell höchst kritischen Situation andere Fragen Priorität haben müssten.

"Natürlich müssen wir darüber nachdenken, wie wir mit einer steigenden Zahl an Geimpften wieder zum normalen Leben zurückkehren. Aber im Moment gilt es erst mal, die dritte Welle zu brechen und durch den Lockdown zu kommen." Auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel kritisierte Spahn. Statt "immer neue Ideen für weitere Freiheitseinschränkungen" zu entwickeln, müsse die Bundesregierung das "Impfchaos" beseitigen und die Risikogruppen schützen.

"Wir brauchen keine `Lockerungen` für wenige Geimpfte, sondern schnellstmöglich für alle Bürger ein Ende des wirtschaftlich und gesellschaftlich immer verhängnisvolleren Lockdowns", sagte Weidel. Thorsten Frei, Vize-Chef der CDU/CSU-Fraktion, sagte: "Grundsätzlich ist nicht die Ausübung von Grundrechten, sondern ihre Einschränkung begründungsbedürftig." Wenn wissenschaftlich ohne jeden Zweifel erwiesen sei, dass geimpfte Personen nicht mehr zum Überträger der Krankheit werden könnten, gebe es weder Möglichkeit noch Grund, sie in "elementaren Rechten" einzuschränken. "Wir sollten dabei auch nicht missgünstig auf die Freiheiten schauen, in deren Genuss dann in den nächsten Wochen insbesondere ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen kämen, die in den letzten Monaten besonders unter der Pandemie gelitten haben", so Frei.

FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae stimmte Spahn zwar inhaltlich zu, hob aber zugleich die Bedeutung von Grundrechten hervor. "Diese sind keine Privilegien oder Vorrechte, sondern individuelle Garantien, die das Grundgesetz jedem Einzelnen garantiert", sagte er. "Wenn von Geimpften keine Gefahr mehr ausgeht, dann gibt es auch keinen Grund mehr, ihre Freiheit einzuschränken." Das bestätigte auch Steffen Augsberg, Rechtsprofessor an der Universität Gießen.

"Wenn die Begründung für eine Freiheitsbeeinträchtigung entfällt, weil etwa eine angenommene Ansteckungsgefahr weitgehend ausgeschlossen ist, dann dürfen nicht nur, dann müssen Grundrechtsbeschränkungen zurückgenommen werden", sagte Augsberg, der auch Mitglied im Ethikrat ist. Deswegen sei auch die Debatte über die Immunitätsnachweise im vergangenen Jahr richtig gewesen - auch wenn diese "leider weitgehend im Sande verlaufen sei". Augsberg nannte es "überfällig", dass Spahn "diesen gedanklichen Faden" wieder aufnehme. "Interessanterweise hat er dabei eine Parallele zu negativ getesteten Personen gezogen. In der Tat müssen Immunität durch Impfung beziehungsweise nach Genesung und Tests immer zusammen gedacht werden, schon, weil es ja viele Personen gibt, die aus diversen Gründen nicht oder noch nicht geimpft werden können."

Foto: Jens Spahn (über dts Nachrichtenagentur)

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