Vonseiten der Landesregierungen von Thüringen und Brandenburg gab es zuletzt Versuche, Regelungen zur paritätischen Listenbesetzung in das dortige Landeswahlrecht aufzunehmen und in beiden Ländern sind solche Bestimmungen gerichtlich kassiert worden.1 Das ist keine Überraschung, denn die Verfassungswidrigkeit steht derartigen Regelungen förmlich auf der Stirn geschrieben. Bei Lichte betrachtet stehen diese Vorschläge in eklatantem Widerspruch nicht nur zum Geiste des Grundgesetzes, sondern auch der repräsentativen Demokratie als solcher.

Parteien als Fundament unserer Demokratie
Die Parteien sind ein elementarer Bestandteil unserer Demokratie und demnach auch Institutionen, die von Verfassung wegen mit besonderen Privilegien ausgestattet sind. Art. 21 GG ist also nicht nur eine Norm deklaratorischen Charakters, sondern statuiert die für den demokratischen Prozess des Grundgesetzes zentrale Parteienfreiheit: Daraus folgt für die Parteien selbst wiederum Organisations-, Programm- und Mitgliederfreiheit, aber auch die Freiheit der Tendenz,2 die sich lediglich durch das Prinzip der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) begrenzt sehen. Damit stehen Eingriffe in diese Gewährleistungen unter besonders hohem Rechtfertigungsdruck.3
Die zwanghaft angeordnete paritätische Aufstellung von Wahlbewerbern greift hingegen tief in die Autonomie der Parteien ein und weist dabei gar eine programmatische Komponente auf – die Entscheidung für oder gegen eine paritätische Listenbesetzung ist schließlich nicht nur formeller, sondern auch materieller Natur. Überdies geht es hier auch um die Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, 2 GG),4 weil verschiedene Parteien unterschiedlich betroffen wären: So hätten etwa mitgliederschwache Parteien größere Schwierigkeiten damit, eine oktroyierte Listenaufstellung zu bewerkstelligen. Aber auch Parteien, die eine eher homogene Zusammensetzung aufweisen (etwa bei Vertretung von Partikularinteressen), sähen sich mit denselben Komplikationen konfrontiert. Daneben ist die Freiheit der Wahl des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ebenfalls berührt, denn dieser umfasst bezogen auf das passive Wahlrecht auch das freie Wahlvorschlagsrecht sowohl des Einzelnen, als auch der Parteien.5 Mit einer gesetzlich zwingenden quotierten Listenbesetzung entfällt allerdings schon die Hälfte der Listenplätzen, was eine freie Kandidaturmöglichkeit faktisch unmöglich macht.

Dysfunktionale Rechtfertigungsversuche
Gerechtfertigt werden diese massiven Eingriffe in die Autonomie der Parteien und die Wahlrechtsgrundsätze zumeist allein mit dem Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG. Abseits der generellen dogmatischen Schwierigkeiten bei der Handhabung dieser Verfassungsnorm6 geht es hierbei eben nicht – wie von linken Kräften oft missverstanden – um die Herstellung von Ergebnisgleichheit, sondern vielmehr von Chancengleichheit.7 Daneben steht die Unterstellung, dass ein allgemeiner gleichheitsrechtlicher Auftrag im Rahmen der spezielleren Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 GG überhaupt Anwendung finden kann, verfassungsrechtlich auf eher prekären Beinen.8 Befürworter paritätischer Listenbesetzungen verweisen darauf, dass Frauen in den Parlamenten angeblich unterrepräsentiert sind. Auf den ersten Blick klingt das plausibel, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in der aktuellen Legislaturperiode „lediglich“ knapp 31 % der Mitglieder des Deutschen Bundestages weiblich sind.9 Die Verwertungsfähigkeit dieser Feststellung wird jedoch dadurch in Abrede gestellt, da die Parlamentarier fast ausschließlich über die Parteien rekrutiert werden. Dort liegt der Frauenanteil gegenwärtig bei ca. 29 %, was zu einer leichten Überrepräsentation führt.10 In den Fraktionen der Bündnisgrünen und der Linkspartei sind Frauen sogar stark überrepräsentiert.
Der Verweis auf den Anteil von Frauen an der Gesamtbevölkerung ist mithin nicht nur unlogisch, sondern entspricht auch nicht der Praxis im demokratischen Prozess. „Faktische Nachteile“11 sind hier bei Weitem nicht ersichtlich. Von radikalfeministischem Revanchismus getragene Vorstellungen, wie sie die Präsidentin des „Juristinnenbundes“ jüngst offenbart hat,12 sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung solcher Gesetzesvorhaben völlig fehl am Platz. Das „Problem“ liegt vielmehr gerade nicht im ungleichen Zugang zu Listenplätzen, sondern in der oftmals eher männlichen Mitgliederstruktur der Parteien. Diesen kann jedoch nicht vorgeschrieben werden, die Zusammensetzung ihrer Mitglieder bevölkerungsäquivalent zu steuern. Der für die intensiven Beschränkungen der oben genannten Verfassungsgrundsätze erforderliche verfassungsrechtlich „zwingende Grund“13 ist also nicht ersichtlich.

Identitäre Demokratie als vormodernes Konzept
Darüber hinaus sind die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich solcher Regelungen durchaus grundsätzlicher Natur. Das hinter den Forderungen nach einer paritätischen Listenbesetzung stehende Demokratieverständnis geht davon aus, ein Parlament müsse das Wahlvolk gesellschaftskonvergent „repräsentieren“, fordert also seine soziologische Spiegelbildlichkeit. Dies entspricht aber gerade nicht dem modernen Repräsentationsverständnis – es steht zu ihm sogar in eklatanter Weise im Widerspruch.
Repräsentation meint nicht die genaue Abbildung der Gesellschaft im Parlament, sondern will im Rahmen der Volkssouveränität den Bürger handlungs- und entscheidungsfähig machen. Volksvertretungen sind also nicht dann besonders demokratisch, wenn sie die ihr zugrunde liegende Gesellschaft möglichst exakt widerspiegeln. Repräsentation bedeutet im Endeffekt also vielmehr „Handeln für das Volk“14 und „Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk“15, das zugleich stets als einheitliche Größe verstanden wird.16 Das Grundgesetz fordert keine „Identität von Regierenden und Regierten“17. Auch der einzelne Abgeordnete ist „Vertreter des ganzen Volkes“ (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), der mit den anderen Parlamentariern das gesamte Volk repräsentiert, eben nicht nur Teile davon.
Die Idee einer soziologischen Repräsentanz geht davon aus, dass die Artikulation und Vertretung eines politischen Willens identitätsgebunden ist, also etwa nur ein Homosexueller auch für Homosexuelle, oder nur eine Frau auch für Frauen sprechen könne. Dies aber sind identitätspolitische Trugschlüsse, die so weder etwas mit der Realität, noch mit der Idee demokratischer Repräsentation zu tun haben. Es geht um die Repräsentation des Willens des Volkes (scil.: Wählergesamtheit), nicht um die Replikation seiner geschlechtlichen Zusammensetzung. Das paritätisch induzierte Konzept einer identitären Demokratie steht mithin in grundlegendem Widerspruch zum von der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) geschützten Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Aus einem so verqueren Demokratieverständnis folgt, dass Paritätsgesetze über das Verdikt einer „einfachen“ Verfassungswidrigkeit hinaus sogar verfassungsidentitätswidrig sind. Wenig überraschend ist daher jedenfalls, dass derartige Paritätsträumereien in der Literatur nahezu einhellig abgelehnt werden.18

Das Tor zum Ende der Demokratie
Der Bundestag muss also nicht zwingend bestimmte Bevölkerungsgruppen abbilden. Ein solches Konzept würde die unserer Verfassung bekannte Volkssouveränität in eine Art geschlechtsbezogene Gruppensouveränität verwandeln.19 Solche Gedankengänge erinnern eher an die Ständeversammlungen aus mitunter vordemokratischer Zeit,20 haben aber mit modernem Parlamentarismus nichts zu tun. Damit sehen sich solche Vorstöße nicht nur mit schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken konfrontiert, sondern widersprechen auch in aller Gänze dem modernen Demokratieverständnis. Denkt man die Idee einer soziologischen Spiegelbildlichkeit konsequent zu Ende, folgt aus ihr das Ende der Demokratie.
Wenn nun argumentiert wird, dieser Gedanke richte sich nur an Frauen, stellt sich die Frage, was denn nun mit anderen „unterdrückten“ (oder in entsprechender Diktion: „marginalisierten“) Teilen der Gesellschaft sei: So zum Beispiel Dunkelhäutige, Homosexuelle, Transsexuelle, Behinderte, Muslime. Die Bevölkerung ließe sich in endlos viele Gruppen einteilen, die dann allesamt „repräsentiert“ werden müssten. Um eine strikte soziologische Spiegelbildlichkeit zu erreichen, eignen sich freie Wahlen wiederum nicht, weil die Gefahr bestünde, dass eine Gesellschaftsäquivalenz nicht erreicht wird. Die Ergebnisse von Parlamentswahlen müssten daher schon im Vorfeld festgelegt werden und die Parteien würden in pseudodemokratische Erfüllungsgehilfen eines solchen Vorgangs verwandelt. Die Wahl als nobelste und wichtigste Handlung im demokratischen Prozess würde damit zu einem bürokratischen Akklamationsakt degradiert. „Gelenkte Demokratie“, wie man sie sonst nur aus Diktaturen kennt.

Nachweise:

  1. VerfGH TH, VerfGH 2/20 v. 15.07.2020; VerfG BB, VfgBRB 9/19 u. 55/19 v. 23.10.2020.
  2. Morlok, in: Dreier, Art. 21 Rn. 61; Dazu allgemein auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 Rn. 273 ff. und Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 Rn. 103 ff.
  3. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 Rn. 261.
  4. So z. B. auch BayVerfGH, NVwZ-RR 2018, 457 (470).
  5. v. Niedig, Politische Wahlen und Frauenquote, in: NVwZ 1994, S. 1173 f.; Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 86; s. auch BVerfGE 89, 243 (251); weiterhin auch schon BVerfGE 41, 399 (417); 47, 253 (282).
  6. Überblicksartig Morlok/Hobusch, Adé Parité? – Zur Verfassungswidrigkeit verpflichtender Quotenregelungen bei Landeslisten, in: DÖV 2019, S. 18.
  7. So auch BayVerfGH NVwZ-RR 2018, 457 (467).
  8. Vgl. Pautsch, Geschlechterparität im Bundestag?, in: JSE 2019, S. 4.
  9. https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/mdb_zahlen_19/frauen_maenner-529508
  10. Übersicht bei Morlok/Hobusch, Adé Parité? – Zur Verfassungswidrigkeit verpflichtender Quotenregelungen bei Landeslisten, in: DÖV 2019, S. 18.
  11. BVerfGE 85, 191 (207); 92, 91 (109). Dazu Heun, in: Dreier, Art. 3 Rn. 113.
  12. https://twitter.com/praesidentindjb/status/1319556960635752448?s=20
  13. Für eine Einschränkung der Wahlrechtsgrundsätze, aber auch der Parteienfreiheiten bedarf es eines Rechtes von Verfassungsrang, vgl. BVerfGE 36, 139 (141); 34, 81 (98 f.); 41, 399 (413). Zur Wahlrechtsgleichheit: Ebsen, Quotierung politischer Entscheidungsgremien durch Gesetz?, in: JZ 1989, S. 556.
  14. Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 33.
  15. Ebd.
  16. Paradigmatisch Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, in: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 400.
  17. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234; Zur Falsifikation dieser Idee bereits Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 28 ff.
  18. m. w. N. Zypries/Holste, 90 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland. Geschichte, Bilanz, Perspektive, in: NJW 2008, S. 3403.
  19. So zutreffend auch Polzin, Parité-Gesetz in Brandenburg – Kein Sieg für die Demokratie, Verfassungsblog v. 08.02.2019: https://verfassungsblog.de/parite-gesetz-in-brandenburg-kein-sieg-fuer-die-demokratie/.
  20. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/udo-di-fabio-gegen-frauenquoten-vorschlag-von-katarina-barley-a-1207777.html; so auch bereits Ebsen, Quotierung politischer Entscheidungsgremien durch Gesetz?, in: JZ 1989, S. 557 und Polzin, Parité-Gesetz in Brandenburg – Kein Sieg für die Demokratie, Verfassungsblog v. 08.02.2019 (s. o.).

Foto: © Times; https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License,_version_1.2

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