Lange Zeit existierte das Projekt "Nuklon" nur auf dem Papier, doch nun kommt die reale Entwicklung des "interplanetaren Schleppers" in Russland in die Gänge. In den Jahren 2022/2023 soll der erste Prototyp fertig sein. Ein Überblick über die Details und Aussichten des futuristischen Projektes.

Seit Jahrzehnten tüfteln die Wissenschaftler in verschiedenen Ländern daran, wie bemannte interplanetare Flüge technisch zu bewerkstelligen sind. Klassische Raketen, mit denen im Moment die Erkundung und Nutzung der Erdumlaufbahn ausgeführt werden, sind – da sind sich die meisten Wissenschaftler einig – kaum für interplanetare Flüge geeignet.

Zu schwerfällig sind sie und zu energieintensiv. Um den Mond oder gar den Mars zu erreichen, müssten solche Raketen Tausende Tonnen an Treibstoff mit sich führen. Dadurch stecken die klassischen Raketen seit jeher in einer Art Teufelskreis. Um eine gewisse Nutzlast zu befördern, braucht die Rakete Treibstoff, der wiederum das Gesamtgewicht erhöht und somit weiteren Treibstoff notwendig macht. In anderen Worten: die Rakete braucht einen großen Teil vom Treibstoff ausschließlich dafür, den Treibstoff selbst mitzuführen.

Die amerikanische Saturn-V-Rakete, die speziell für die Apollo-Missionen mit dem Ziel Mond entworfen wurde, verdeutlicht das Ungetüm deutlich. Sie hatte ein Startgewicht von 2900 Tonnen, davon waren allerdings 2550 Tonnen ausschließlich Treibstoff, um die Nutzlast sowie eben den Treibstoff selbst in den Weltall und zum Mond bringen zu können.

Dieser Teufelskreis zwischen Treibstoff – Gewicht – Treibstoff ist eines der größten technischen Probleme in der Planung von interplanetaren Reisen.

Genau diesen Teufelskreis will Russland nun mit Hilfe des "Nuklon"-Projektes durchbrechen… oder um die trockenen Passagen aus den entsprechenden russischen Beschlüssen zu zitieren:

"Die Unfähigkeit, interorbitale Flüge durchzuführen, das Sonnensystem zu erkunden und die Erde vor Meteoriten und Asteroiden zu schützen, führte dazu, dass im Jahr 2009 die „Kommission für Modernisierung und technologische Entwicklung“ die Entscheidung traf, Projektarbeiten an einem Transport-energetischen Modul auf Grundlage einer atomaren Triebwerksanlage zu beginnen."

Die Idee hinter dem nuklearen Weltraum-Schlepper

Kurz zusammengefasst, ist der "Nuklon" ein in Russland in Entwicklung stehender Weltraumkomplex, der sich mit Hilfe eines nuklearen Antriebs fortbewegen und die langfristige Weltraumerkundung möglich machen soll.

Der Komplex soll dabei wie eine Art interplanetarer Schlepper agieren und Module zwischen Himmelskörpern hin und her schieben. Durch seinen nuklearen Antrieb soll er sich vom Treibstoffproblem der klassischen Raketen lösen und eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle für die Weltreisen haben.

Die Zielsetzung des Projektes, die von der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos angegeben wird, klingt trocken wie auch futuristisch:

"Ziel des Projekts ist es, ein grundlegend neues Bewegungsmittel für den Weltraum mit einem höheren Energieniveau zu schaffen, um fortschrittliche Zukunftstechnologien zu ermöglichen und langfristige Aufgaben zur Erkundung des Sonnensystems auszuführen."

Hervorzuheben ist, dass der "Nuklon" in der Tat typische Schlepper-Eigenschaften hätte – sehr langsam, dafür aber energieeffizient und belastungsfähig. Kein Rennpferd, sondern ein Arbeitstier. Oder um einen näheren technischen Vergleich aus der Autowelt zu machen: Kein Ferrari, sondern ein Lada Taiga.

Für eine Reise zum Mond bräuchte der "Nuklon" beispielsweise zwischen 100 und 200 Tagen. Dieser Zeitraum ist erheblich länger als ein Mondflug mit Treibstoffraketen, jede dieser Reisen wäre aber um ein Vielfaches energieeffizienter, billiger und vor allem nicht einmalig, sondern im Dauermodus.

Der Schlepper würde also dauerhaft zwischen dem Mond und der Erde pendeln und die notwendigen Module hin und her befördern.

Konkrete technische Planung

Der "Nuklon" wäre nicht der erste geplante Weltraumapparat mit einem Atomreaktor an Bord, aber der erste mit einer Energiequelle der Megawatt-Klasse, wodurch "das Modul die Dreißigfache Erhöhung der nutzbaren Energie bekommt".

Grafik zum "Nuklon"-Projekt von der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos

Der erste Prototyp soll zunächst in der Lage sein, Nutzlasten von 10 Tonnen zwischen der Erdumlaufbahn und der Umlaufbahn des Mondes routinemäßig zu befördern. In der Perspektive soll die Nutzlast immer weiter erhöht und der "Nuklon" für Flüge zu anderen Planeten des Sonnensystems weiterentwickelt werden.

Das Gesamtgewicht soll in den Anfängen eine Masse von 55 Tonnen nicht überschreiten.

Daraus ergibt sich ein einfacher Vergleich.

Die Saturn-V-Rakete für die Apollo-Mondlandungsmissionen hatte ein Startgewicht von 2 900 Tonnen, von denen, wie schon oben erwähnt, der reine Treibstoff 2 550 Tonnen ausmachte und nur 130 Tonnen als Nutzlast befördert werden konnten, also nur rund 4,5%. Die Rakete konnte nur einmal verwendet werden.

Der "Nuklon" soll ein Gesamtgewicht von 55 Tonnen haben, von denen 10 Tonnen Nutzlast wären, also rund 18%. Die Effizienz des geplanten Schleppers würde somit um ein Vielfaches höher sein. Einmal in der Erdumlaufbahn angekommen, würde er im Dauermodus die Module zwischen den jeweiligen Himmelskörper hin und her schieben.

Die Termine

Wie aus den ersten aufgetauchten Fotos ersichtlich, sind die Konstruktionsarbeiten auf der Erde bereits in vollem Gange. In den Jahren 2022 und 2023 soll der erste Prototyp fertig sein. Die einzelnen Module vom "Nuklon" sollen in zwei getrennten Starts in die Erdumlaufbahn gebracht und dann dort zusammengebaut werden.

Ab 2030 soll er dann endgültig einsatzbereit sein und nacheinander zum Mond, Mars, Venus und zu einem der Jupitermonde gestartet werden. Sollte das Projekt erfolgreich sein, ist davon auszugehen, dass eine ganze Reihe von "Nuklonen" gebaut werden wird, um ein breites Spektrum an Aufgaben zu übernehmen.

Im besonderen Fokus bliebe zunächst die Monderkundung. Der Komplex (oder die Komplexe, falls mehrere davon gebaut werden) soll sowohl Lande- und Baumodule zum Erdtrabanten bringen, um eine dauerhafte Basis auf seiner Oberfläche zu errichten, als auch die Mondoberfläche detailliert kartographieren. Später sollen regelmäßige Reisen zu anderen Planeten des Sonnensystems, insbesondere zum Mars, durchgeführt und so die systematische bemannte Erkundung des Sonnensystems ermöglicht werden.

Schließlich plant Roskosmos einen der "Nuklone" dafür einzusetzen, Weltraummüll in der Erdumlaufbahn einzusammeln.

Die Aussichten

Ob das Projekt zu Ende geführt werden wird und in der Tat all die futuristischen Erwartungen erfüllt, ist im Moment schwer vorauszusehen. Projekte für einen interplanetaren Schlepper gab es schon zu Zeiten der Sowjetunion. Sie wurden jedoch meist aus Finanzmangel und/oder Desinteresse der politischen Führung immer wieder auf Eis gelegt.

Das aktuelle "Nuklon"-Projekt macht durchaus Hoffnung, da es weiter fortgeschritten ist, als all seine Vorgängerprojekte – und das in relativ kurzer Zeit. Die ersten Planungen begannen im Jahr 2009, die konkrete Entwicklung ab 2011. Bis 2018 waren die technischen Pläne für die einzelnen "Nuklon"-Module ausgearbeitet, nun werden in den Konstruktionsbüros die ersten Prototypen zusammengebaut.

Bei einem Erfolg wären die "Nuklone" sicherlich ein großer Schritt in der bemannten Raumfahrt. Diese scheint in den letzten Jahren in einer Flaute zu stecken und ihre Positionen nahezu komplett an unbemannte Sonden zu verlieren, die derzeit den Großteil der neueren ehrgeizigen Weltraumprojekte ausmachen.

Dir gefällt, was Nikita Gerassimow schreibt?

Dann unterstütze Nikita Gerassimow jetzt direkt: