Die Frontlinie auf den Schlachtfeldern der Ukraine ist seit Wochen weitgehend statisch, an vielen Frontabschnitten dominieren Artillerieduelle. In Russland wird nun eine neue Taktik gefordert, um die festgefahrene Offensive wieder anzukurbeln.
Der Ukrainekrieg ist ein Spiegelbild vieler Entwicklungen im Militärbereich der letzten Jahrzehnte: intensive Kampfhandlungen unter permanentem Einsatz von Marschflugkörpern, ballistischen Raketen, Kamikaze-Drohnen, Aufklärungscoptern, Eloka-Systemen, Satellitennavigation und „hybriden Informationskampagnen“.
Auch die Kampfweise hat sich erheblich verändert. Zwar gibt es eine klare Frontlinie, die sich in einem Bogen von der belarussischen Grenze bis zur Schwarzmeerstadt Mykolaiv zieht und über 2000km lang ist, jedoch prallen keine großen Infanterieverbände mehr aufeinander. Stattdessen dominieren einerseits Artillerieduelle, andererseits das Taktieren von kleineren mobilen Einheiten.
Russische Kriegsreporter haben nun ein tiefes Umdenken vom Generalstab gefordert, um dieser neuen mobilen Kampfweise gerecht zu werden und die festgefahrene Offensive wieder anzukurbeln. Die traditionelle Entscheidungskette, bei der ein Befehl die ganze Hierarchie von oben nach unten durchlaufen muss, damit ein Kampfverband aktiv wird, sei zu langsam und ineffizient. Die Befehle kommen schlichtweg zu langsam bei den Einheiten ein. Um die überdehnten Befehlsketten und die Passivität vieler Frontverbände zu überwinden, haben mehrere russische Kriegsreporter unisono den systematischen Aufbau von leichtbewaffneten und flexiblen „Initiativgruppen“ entlang der gesamten Front gefordert. Bestehend aus nur wenigen Mann und ausgerüstet gerade mal mit einem leichten Aufklärungscopter und einem Minenwerfer, könnten solche Gruppen mehr Chaos in den feindlichen Verteidigungslinien anrichten als ganze Brigaden mit schwerer Technik, die statisch an ihren Frontabschnitten stehen und auf Befehle warten, so die Argumentation. Eine „Initiativgruppe“ ist auf keine Befehlsketten angewiesen, sondern wandert flexibel entlang der Frontlinie, kundschaftet mit Coptern die feindlichen Linien aus und nimmt diese sofort unter Beschuss, wenn die Gelegenheit den maximalen Schaden verspricht. Der Abzug erfolgt ebenfalls schnell und flexibel, sodass der Gegner nicht reagieren kann.
Erste Erfahrungen habe man damit bereits gemacht und die Ergebnisse seien eindeutig gewesen.
„Eine IG (Initiativgruppe) mit einem Minenwerfer und einem Copter ist an der Front effektiver als eine Batterie schwerer Artillerie mit einem passiven Offizier“, formulierte es der Kriegsreporter Wladlen Tatarsky.
Solche Initiativgruppen könnten weitaus überlegenere feindliche Einheiten so lange zermürben, bis diese sich von selbst zurückziehen, um nicht tagtäglich unter den Beschuss eines „wandernden Minenwerfers“ zu gelangen.
„Eine Initiativgruppe macht, dass die Erde dem Gegner unter den Füßen brennt – und zwar permanent und tagtäglich, ohne dass er reagieren kann. Er fühlt sich nie wohl, er fühlt sich nie sicher und zieht sich irgendwann von selbst zurück“, so Tatarsky weiter. „Wir haben bereits gesehen, dass eine IG von vier Mann ein ganzes Platoon zum Rückzug zwang.“
Im Moment würden solche „Initiativgruppen“ nur vereinzelt von besonders motivierten Kämpfern in Eigeninitiative gebildet, die an ihren Abschnitten auch die besten Ergebnisse erzielen. Nun sei es am Generalstab, den Einsatz solcher Vier-Mann-Einheiten massenweise zu fördern, auszurüsten und die gesamte Frontlinie mit ihnen zu durchsetzen, so die Forderung der Kriegsreporter von der Front. Man müsse weg von den starren Befehlsketten hin zu kleinen mobilen Einheiten mit Copter-Ausrüstung und Eigeninitiative, dazu ein flächendeckender Drohneneinsatz, um die stockenden Offensiven voranzutreiben.
Inwiefern diese Aufrufe in Moskau Gehör finden und die Lage im Ukrainekrieg tatsächlich signifikant verändern werden, bleibt abzuwarten. Massive Drohnenlieferungen aus dem Iran, die der Kreml laut übereinstimmenden Medienberichten derzeit vollzieht, könnten ein Hinweis sein, dass ein solcher Umbau tatsächlich am Laufen ist.
Beide Konfliktparteien haben für die nächsten Wochen Offensiven angekündet – Kiew in Cherson; Moskau im Donbass, Zaporizhya und Mykolaiv. Die schnelle Anpassung an die neuen Gegebenheiten der mobilen Kampfführung dürfte entscheidend sein, wessen Offensivpläne demnächst aufgehen.
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