Berlin - Deutsche Spitzenpolitiker sehen nach dem Siegeszug der Videokonferenzen in der Corona-Pandemie zahlreiche Vorteile, kritisieren aber auch Defizite dieser Kommunikationsform. "Positiv ist sicher, dass die meisten Videokonferenzen strukturierter ablaufen und damit auch kürzer sind, als es bei Präsenz-Formaten der Fall ist", sagte Bundesjustizministerin Chrstine Lambrecht (SPD) der "Welt am Sonntag".

Und weiter: "Auch Platzhirsch-Gebaren tritt hierbei deutlich seltener auf." Hingegen beklagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), dass es bei Videokonferenzen "schwieriger" werde, "Konflikte zu erkennen, zu thematisieren und zu lösen". Ein Grund sei, dass bei den digitalen Formaten "die nonverbale Kommunikation" entfalle: "Die ganzen Zwischentöne oder ein Stirnrunzeln, Sarkasmus und Ironie, all das kommt da selten rüber", sagte Bovenschulte, der auch an den häufig als Videokonferenzen geführten Verhandlungen der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin über die Corona-Schutzmaßnahen teilnahm. In Videokonferenzen, so Bovenschulte, lasse sich "die wirkliche Stimmungslage der Konferenzteilnehmer nicht so gut einschätzen".

Vorteile für die Umwelt sieht Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU): "Wenn die Konferenzen etwas Gutes haben, dann, dass wir viele Flüge wie zur Weltbanktagung nach Washington oder zur EU nach Brüssel einsparen", sagte der CSU-Politiker der "Welt am Sonntag". Und weiter: "Wir sollten auch nach Corona solche Groß-Konferenzen viel häufiger online organisieren. Das Klima dankt es uns." Die Möglichkeit, sich langwierige Reisen zu ersparen, hebt auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hervor: "Ich kann mich buchstäblich in 80 Schalten um die Welt bewegen."

Sie spreche mit Hilfe der digitalen Formate innerhalb kürzester Zeit mit Kollegen aus Australien und den baltischen Staaten. Der schleswig-holsteinische Umweltminister Jan Philip Albrecht (Grüne) sieht bei Videokonferenzen einen Zugewinn an Sachlichkeit und Rücksichtnahme: "Wer gerne mit ruhiger Argumentation überzeugt, hat digital mehr Erfolg als jemand, der sich vor allem durch viele Reden oder Zwischenrufe durchzusetzen versucht", sagte Albrecht. Bei digitalen Formaten werde "weniger um den heißen Brei herum und weniger dazwischen geredet". Entwicklungsminister Müller aber fordert nach seinen Erfahrungen mit Videokonferenzen auf internationaler Ebene, dass sich Vortragende stärker auf die Zuhörer beziehen sollten: "Es sollte nicht jeder nur seinen Sprechzettel vorlesen – was häufig passiert", sagte Müller.

Foto: Tastatur (über dts Nachrichtenagentur)

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