Seit Ende April befinde ich mich im demokratischen Schockzustand. Nur um das mal zu verdeutlichen, dass ich das nicht so trivial meine sondern wortwörtlich: Die meisten werden sich bis heute erinnern können, wo sie sich bei 9/11 befanden und was sie gemacht haben. Ich werde vielleicht nie vergessen, wo ich war und wie es mir gefühlsmäßig ging, als ich die Debatte und Abstimmung im Bundestag über die Bundesnotbremse erlebte. Vielleicht wird manchen klarer, wie sich das für mich und sehr viele andere anfühlen muss, auch wenn sie es für übertrieben halten. Aus meiner Sicht fehlt im Falle fehlenden Verständnisses dafür der Blick für Gesamtzusammenhänge und die wahre Bedeutung dafür, was hier gerade passiert. Diesen größeren Blick habe ich bereits mit dem ersten Teil der Serie und dem zweiten Artikel eröffnen wollen.

Heute will ich meinen Artikel einem Thema widmen, das unverständlicherweise nicht jedem Demokraten verständlich zu sein scheint. Und manche stellen sich sehr weit außerhalb unseres Grundgesetzes und dann noch in einer Position, in die sie ganz offensichtlich nicht gehören:

Quelle: https://www.zeit.de/news/2021-07/10/landes-kassenarztchef-fordert-reiseverbot-fuer-ungeimpfte

It’s needleless to say: Grundrechte gelten immer und ohne Gegenleistung. Sie hängen erst recht nicht an der Nadel. Eigentlich. Aber er ist ja nicht der Einzige, das kann man seitenweise so posten, hier zum Beispiel Ohne-impfen-keine-Freiheit-Söder, der sich autokratisch pudelwohl zu fühlen scheint und gerne die Kinder mit Maßnahmen massiv belastet (und das, obwohl er doch aus Nürnberg kommt). Oder hier mit Beteiligung der SPD*. Wir brauchen ganz offensichtlich einen Booster in Sachen Grundgesetz. Dessen Wirkung scheint auf unter 10% gesunken zu sein. Wenn’s reicht. Das mache ich nicht an Leuten wie Peter Heinz fest, bei denen es fraglich erscheint, ob er jemals auf dem Boden des Grundgesetzes stand und weiß, was Menschenwürde bedeutet. Nein, das mache ich fest an den Reaktionen, die ich erhalte, wenn ich derartiges poste. Dann heißt es, das sei aber ein recht neoliberales, hedonistisches Denken, wenn man wieder Herumfliegen wolle, ohne sich solidarisch zu verhalten.

Abgesehen davon, dass ich als langjähriger Umweltaktivist eh nicht herumfliege und auch sonst genügsamer konsumiere als die Meisten aus meinem Umfeld, zeigt das nur, wie genügsam diejenigen denken und wie oberflächlich die Bildung ist, was unser Grundgesetz anbelangt.  Zudem wird jeder Logik widersprechend alles umgedreht, weil sich die meisten Menschen ja nicht  aus medizinischen Grünen impfen lassen - so mein Endruck - sondern um wieder in den Urlaub fliegen zu können oder staatlichen Impfbereitschafts-Gängelungen zu entgehen. Besser wäre es in diesen Fällen allerdings, sich zu wehren und seine Rechte einzufordern. Denn sonst geht das immer weiter, wenn man mal damit anfängt. Vollkommen verkannt wird aber, dass es nicht lediglich um Grundrechte geht, was ja schon schlimm genug und nicht hinnehmbar wäre. Es geht um alles. Mich hat das so verstört, dass ich mich als Organ der Rechtspflege schon recht deutlich äußern musste, natürlich an einem passenden Ort. Herrenchiemsee schien mir dafür angemessen.

Bereits vorher habe ich öffentlich in diesem Artikel meine Gedanken sortiert, um für mich Klarheit zu schaffen und andere zum Nachdenken anzuregen, ob es das wirklich alles wert ist. Das waren sehr viele und damals noch recht unstrukturierte Gedanken und deshalb ist der Artikel auch sehr lang geworden. Ich weiß nicht, wie viele ihn bis zum Ende gelesen haben, wo ich zum eigentlichen Kern gekommen bin. Aus diesem Grunde werde ich den vorliegenden Artikel speziell unserem Grundgesetz widmen und den Auswirkungen der Bundesnotbremse. Das ist dringend geboten, wie mir scheint.

Zu Beginn der Coronakrise hatte ich noch hoffnungsvoll vertreten, dass wir jetzt mehr Demokratie bräuchten, weil das alles so groß sei, dass wenige die Folgen für einzelne Teile der Bevölkerung gar nicht berücksichtigen könnten und ein Weg gefunden werden müsse, der alle mitnehme. Alle Disziplinen sollten einbezogen werden, nicht lediglich Virologen und Modellierer, denn so ein Virus bewege sich ja nicht im luftleeren Raum, sondern in einer äußerst komplexen Gesellschaft. Naiv schwebte mir ein geloster Bürgerrat vor. Zugegeben: Das war, als ich immer noch die vage Hoffnung hatte, dass es hier um Gesundheitsschutz ginge. Es scheint mittlerweile eher so zu sein, dass die Krise primär zum Umbau der Demokratie und den Ausbau einer Überwachungsinfrastrukur genutzt wird.

Wir haben es mit zahlreichen Grundrechtseinschränkungen zu tun, die viele bereitwillig hinnehmen oder gar fordern. Es geht aber auch um den Rechtsstaat. Grundrechte sind als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat ausgestaltet. Sie kommen aber erst zur Geltung, wenn sie effektiv durchgesetzt werden können. Wenn man so will, verleiht erst der Rechtsstaat den Grundrechten ihre Wirkung und macht die Demokratie lebenswert, weil sonst die Mehrheit über die Minderheit gebieten könnte und der Tyrannei der Mehrheit Tür und Tor geöffnet wäre. Es geht aber auch um den Föderalismus, der ausgehebelt wurde und um die ebenso wenig mehr existente Gewaltenteilung. Die Exekutive hat die Legislative in wesentlichen Bereichen ausgehebelt und diniert mit der Judikative, die sie kontrollieren soll. Nicht in Polen. Nicht in Ungarn. Nicht in Russland. Nein, das alles passiert hier in Deutschland unter Angela Merkel.

Kurz: Es geht um alles, um die Grundsubstanz unserer Demokratie. Das alles ist eigentlich heilig. Wir sollten das alles verehren und nur mit größter Vorsicht darauf einwirken. Derartige Rechte mussten über Jahrhunderte teils blutig erkämpft werden und wir wischen sie nun mit einem Federstreich weg, obwohl - bei rationaler Betrachtung - nicht einmal ein Grund dafür besteht. Was weg ist, wird so schnell nicht wiederkommen. Dieser Illusion sollte man sich nicht hingeben und ich verstehe eh nicht, wie man einer solchen Illusion überhaupt aufsitzen kann in Zeiten, in denen unser antifaschistischer Schutzwall mit schwerem Gerät zum Einsturz gebracht wird.

Die Ausführungen, worum es geht, werde ich aber in diesem Artikel einem Fachmann überlassen.

Der renommierte Staatsrechtler Prof. Dr. Dietrich Murswiek stellte in der 51. Sitzung des Corona-Ausschusses die Verfassungsbeschwerde vor, die er unter anderem für den SPD-Bundestagsabgeordneten Florian Post gefertigt hatte. Die Schriftsätze können hier heruntergeladen werden.

Weil ich das niemals besser erklären könnte, habe ich die Sitzung transkribiert und gebe sie im Folgenden wieder. Das ist recht lang, aber es ist ja auch recht wichtig. Wer es sich lieber selbst anschauen bzw. anhören mag, kann das in dem gegen Ende verlinken Video tun. Wer es bereits kennt, kann nach unten scrollen. Da habe ich noch ein paar weitere eigene Worte geschrieben. Wer der Meinung ist, diesen Corona-Ausschuss wolle er gar nicht zur Kenntnis nehmen und diese Diskussionen führe ich ja ständig: Hier wird ein renommierter Fachmann zu einer äußerst wichtigen Thematik vernommen, wie so oft im Corona-Ausschuss. Wem die Quelle nicht zusagt, der möge sich für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzen, der diesen Menschen eine Stunde lang eine Stimme gibt. Hätten wir so etwas, wären wir nicht in dieser Situation. Darum soll es im vierten Teil gehen. Jetzt aber los:


Interview Professor Dr. Dietrich Murswiek im Corona-Ausschuss

Ich soll Ihnen berichten über die Verfassungsbeschwerde, die ich erhoben habe im Namen von fünf Beschwerdeführern und Beschwerdeführerinnen. Sie wissen ja, es geht um diesen neuen § 28b, der durch das sogenannte 4. Bevölkerungsschutzgesetz in das Infektionsschutzgesetz eingefügt worden ist. Und dieser neue Paragraph enthält ja einen Inzidenzwert-Automatismus. Das bedeutet: Wenn in einem Landkreis oder in einer kreisfreien Stadt die 7-Tages-Inzidenz den Wert von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten hat, dann treten automatisch eine ganze Reihe schwerwiegender Freiheitseinschränkungen in Kraft.

Die sind im Absatz 1 dieser Vorschrift aufgeführt. Der Absatz 1 enthält 10 Punkte. Das fängt an mit Kontaktbeschränkungen, geht über nächtliche Ausgangssperre und dann folgen viele Schließungen von Einrichtungen also beispielsweise Kultureinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Theater, Museen usw. Geschäfte müssen schließen. Es gibt Einschränkungen für Sport. Gaststätten müssen schließen. Beherbergungsbetriebe dürfen keine Gäste außer zu beruflichen Zwecken aufnehmen.

Ein sehr breites Spektrum sehr weitreichender Freiheitseinschränkungen. Das alles ist, was diese Art  von Freiheitseinschränkungen angeht, nicht so völlig neu. Wir kennen das ja seit über einem Jahr. Wir haben ja einen Lockdown nach dem anderen erlebt und all diese Schließungen von Läden, von Gaststätten usw. Das haben wir alles schon gehabt. Der Unterschied ist im Wesentlichen der, dass bis jetzt solche freiheitseinschränkenden Maßnahmen von den Ländern getroffen wurden. Das Infektionsschutzgesetz hat zu solchen Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt und die Länder haben dann in der Regel auf der Basis dieser Besprechungen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin Rechtsverordnungen erlassen und die Rechtsverordnungen enthielten die Verbote.

Jetzt das Neue ist, dass erstmals in der Pandemie in einem Bundesgesetz unmittelbar die für die Bürger geltenden Verbote direkt ausgesprochen worden sind, ohne dass da auf Landesebene noch ein Vollzugsakt stattfindet. Wir haben in dieser neuen Vorschrift einen Inzidenzwertautomatismus, das heißt in dem Moment, wo das Kriterium erfüllt ist, also drei Tage lang Überschreitung der 100er-Inzidenz treten automatisch die ganzen Freiheitsbeschränkungen in Kraft, ohne dass irgendeine Behörde nochmal überprüfen muss: brauchen wir das überhaupt, um unsere Ziele zu erreichen? Ist das notwendig, um die Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden? Das geschieht automatisch kraft Gesetzes.

Das ist also etwas Neues und man kann sagen, das ist nicht nur neu in dieser Pandemie, sondern sowas haben wir im Rechtsstaat überhaupt noch nie erlebt. Es handelt sich ja bei diesen Vorschriften um Vorschriften der Gefahrenabwehr oder zur Abwehr einer vermeintlichen Gefahr. Es geht drum, Infektionen zu vermeiden, die nach Auffassung der Regierung und des Gesetzgebers in einem solchen Umfang zu befürchten sind, dass dann eben das Gesundheitssystem völlig überlastet wird, dass die Intensivstationen nicht mehr mit dem Ansturm von COVID19-Patienten fertig werden können. Es geht also um die Abwehr dieser vermuteten Gefahr.

Die Gefahrenabwehr ist im Rechtsstaat eigentlich so regelungssystematisch aufgebaut, dass das Gesetz die abstrakten Voraussetzungen festlegt unter denen Behörden Maßnahmen zu Gefahrenabwehr ergreifen können. Wenn die gesetzlichen Kriterien erfüllt sind - und ob sie erfüllt sind in einer konkreten Situation muss von der zuständigen Behörde geprüft werden - und nur wenn diese Prüfung ergibt, wir haben jetzt eine konkrete Gefahr an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Landkreis, dann werden freiheitseinschränkende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen. Und diese rechtsstaatliche Unterscheidung von Regelungen der Voraussetzung für die Gefahrenabwehr und Ergreifen konkreter Maßnahmen also insbesondere Erlass von Verboten und anderen Freiheitseinschränkungen, diese Unterscheidung wird hier nicht getroffen. Der Gesetzgeber selber hat einen Automatismus in das Gesetz eingefügt, der ohne Prüfung im Einzelfall die Freiheitseinschränkungen sozusagen triggert. Sobald der Inzidenzwert überschritten ist, dann gelten automatisch diese Regeln. Das gab es wie gesagt bis jetzt nicht und es ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht nur ein großes Problem. Ich meine, dass dieser Regelungsansatz mit dem Rechtsstaatsprinzip vollkommen unvereinbar ist. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich diese Verfassungsbeschwerde erhoben habe.

Beschwerdeführer und andere Verfassungsbeschwerden

Ich sage, bevor ich näher auf den Inhalt eingehe, vielleicht ein paar Worte zu den Beschwerdeführern. Das sind eigentlich fünf Bürger wie du und ich. Also betroffen von dem Gesetz ist ja jeder Bürger. 80 Millionen Leute werden in ihrer Freiheit eingeschränkt und ich habe also die Verfassungsbeschwerde für einige Leute aus meinem Bekannten- und Freundeskreis gemacht und es ist dann noch ein Abgeordneter aus dem Bundestag dazu gekommen, Florian Post, der der SPD-Fraktion angehört und ich freue mich sehr, dass er dabei ist, weil wir hier den  seltenen und sehr begrüßenswerten Fall haben, dass ein Abgeordneter einmal nicht stur der Fraktionsdisziplin folgt, sondern seinem Gewissen folgt und sich gegen die eigene Fraktion und die Regierungskoalition, der er ja angehört als Abgeordneter, weil er meint, dass der Gesetzgeber hier die Grundrechte verletzt. Also das ist der Kreis meiner Beschwerdeführer, es könnte aber sozusagen jeder andere Bürger auch dabei sein, weil in seinen Grundrechten ist jeder einzelne eingeschränkt. Es gibt ja viele andere Verfassungsbeschwerden, die ja mittlerweile auch erhoben worden sind. Einige wenige sind besonders in der Presse hervorgehoben worden, beispielsweise die der FDP-Abgeordneten und eine andere, die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte organisiert worden ist. Diese beiden anderen Verfassungsbeschwerden unterscheiden sich von unserer Verfassungsbeschwerde dadurch, dass sie einen viel engeren Fokus haben. Die Beschwerdeführer die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte organisiert worden sind, die wenden sich ausschließlich gegen die Ausgangssperre. Das andere halten sie offenbar für ok, was in diesem Gesetz steht. Die FDP wendet sich auch schwerpunktmäßig gegen die Ausgangssperre und zusätzlich noch dagegen, dass es keine Ausnahmen für Geimpfte und Genesene gibt in diesem Gesetz.

Inzidenzwertautomatismus

Mein eigener Ansatz ist viel weiter. Ich stelle den Regelungsansatz des Gesetzes vollkommen in Frage und sage, dieser Inzidenzwertautomatismus, der ohne Prüfung für den Einzelfall weitreichende Freiheitseinschränkungen auslöst, der ist als solcher schon verfassungswidrig. Und ich würde vorschlagen, wenn ich das noch weiter erläutern soll, dass ich zunächst einmal noch genauer erkläre, warum dieser Inzidenzwertautomatismus mit Rechtsstaatsprinzip und Grundrechten unvereinbar ist und anschließend könnte ich noch etwas sagen zu einigen Einzelproblemen, die wir zusätzlich aufwerfen in dieser Verfassungsbeschwerde.

Also zunächst mal zu diesem Inzidenzwertautomatismus. Ich habe das schon eingangs gesagt. Es wird hier praktisch die rechtsstaatliche Unterscheidung von Gesetz und Gesetzesvollzug oder anders ausgedrückt Legislative und Exekutive aufgelöst (Anm. Füllmich: Gewaltenteilung)… Das ist mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. Das Gewaltenteilungsprinzip ist ja eines der verfassungsrechtlichen Mechanismen, die dem Schutz unserer Freiheit dienen. Und das wird hier übergangen, es wird eine Ebene ausgeschaltet, die gegenseitige Kontrolle ist nicht mehr gewährleistet und vor allen Dingen: Der Sinn dieser Unterscheidung von Gesetz und Gesetzesvollzug wird unterlaufen. Dieser Sinn besteht ja vor allen Dingen darin, dass die Behörden im Einzelfall prüfen, ob in der konkreten Situation eigentlich die Voraussetzungen erfüllt sind, die der Gesetzgeber geregelt hat, um einen bestimmten Zweck zu verfolgen. Unterscheidet man Gesetz und Gesetzesvollzug, dann kann eben einzelfallbezogen untersucht werden: Ist die Freiheitseinschränkung, zu der hier die Behörden ermächtigt werden, wirklich notwendig, um den gesetzlichen Zweck zu erreichen? Und diese Prüfung findet eben nicht mehr statt.

Abschaffung des Rechtsschutzes

Das ist ein wesentlicher Mangel dieses Gesetzes und damit verbunden ist die Abschaffung des Rechtsschutzes. Bis jetzt war es ja so, wenn irgendeine Beschränkung eingefügt wurde - sagen wir mal Fitnessstudios müssen schließen - dann war es doch bisher so, dass der Betreiber eines Fitnessstudios zum Verwaltungsgericht gehen konnte oder zum Oberverwaltungsgericht bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle. Wenn er sich gegen die Rechtsverordnung gewendet hat, dann hat das Verwaltungsgericht geprüft, ob das wirklich in Ordnung ist, was da an Freiheitseinschränkungen angeordnet wurde.

Alle, die sich im vergangenen Jahr mit Rechtsschutz beschäftigt haben, waren sicherlich nicht so sehr zufrieden mit hunderten verwaltungsgerichtlicher Urteile oder Beschlüsse, die im Eilverfahren doch ziemlich oberflächlich über die Probleme weggegangen sind. Aber es hat doch immerhin, auch gerade in letzter Zeit eine ganze Reihe verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen gegeben, mit denen die Verwaltungsgerichte wenigstens die allergröbsten Verstöße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip korrigiert haben.

Das ist jetzt nicht mehr möglich und die Bundeskanzlerin hat es sogar als Zweck der Regelung beschäftigt, die Verwaltungsgerichte aus dem Spiel zu halten. Das ist rechtsstaatlich gesehen ein Skandal. Hier wird eine Regelung gemacht, um die verwaltungsgerichtliche Kontrolle auszuhebeln. Aber jeder Bürger hat ein Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz, wenn er in seinen Grundrechten durch die öffentliche Gewalt beeinträchtigt wird. Der Trick besteht hier darin, dass man die Ebene der Exekutive rausnimmt und dass was normalerweise die Exekutive macht, nämlich zu sagen, in einem bestimmten Landkreis brauchen wir jetzt eine Ausgangssperre, brauchen wir Kontaktbeschränkungen und so weiter, dies wird ins Gesetz hineinverlagert, in dem man dort einen Automatismus eingebaut hat und gesagt hat, bei Inzidenzwertüberschreitung automatisch Freiheitseinschränkungen. Damit ist nicht nur die Gewaltenteilung ausgehebelt, sondern es ist auch der Rechtsschutz ausgehebelt. Hier wird gezielt das Recht auf Überprüfung von Grundrechtseinschränkungen durch die Gerichte beseitigt.

Ein wirklicher Skandal und es ist aus meiner Sicht ziemlich bedauerlich wie die FDP, die vielmehr im Rampenlicht der Presse steht, diesen Punkt in ihrer Verfassungsbeschwerde nicht aufgegriffen hat.

Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip

Also das ist auch ein ganz wesentlicher Kritikpunkt, den wir hier haben. Dann nächster Punkt: Die Regelung im § 28b Absatz 1 mit diesem Inzidenzwertautomatismus verstößt aus einem weiteren Grunde gegen das Rechtsstaatsprinzip, nämlich: Zum Rechtsstaatsprinzip und zum Schutz der Grundrechte gehört es, dass der Gesetzgeber die Voraussetzung für Freiheitseinschränkungen hinreichend bestimmt festlegt. Also aus dem Gesetz muss sich ergeben, unter welchen Voraussetzungen die Freiheit eingeschränkt werden kann. Das ist in dieser neuen Vorschrift nur scheinbar der Fall. Wenn man die Vorschrift liest, denkt man auf den ersten Blick: Naja, da steht ja ganz genau drin, wenn wir 3 Tage Überschreitung des 7-Tage-Inzidenzwertes haben, dann tritt als Rechtsfolge ein, Kontakverbote, Ausgangssperre usw. Also ganz klare wenn-dann-Regelung. Nur die Unbestimmtheit und Offenheit der Vorschrift resultiert daraus, dass sie an den Inzidenzbegriff anknüpft. Was aber Inzidenz im Sinne der Vorschrift ist, das hat der Gesetzgeber nicht definiert und deshalb gibt das Gesetz der Exekutive nämlich der Bundesregierung und dem RKI die Möglichkeit, die Voraussetzungen für die Freiheitseinschränkungen selber zu regeln. Und wie? Sie können das regeln, indem sie einfach auf die Inzidenz Einfluss nehmen. Die Inzidenz ist nicht etwas, was sozusagen naturwissenschaftlich ermittelt werden kann, was ganz klar feststeht und wir brauchen nur naturwissenschaftliche Fachleute um zu sagen, die Inzidenz ist so und so hoch. Nein, die Inzidenz hängt von Variablen ab, die durch die Politik beeinflusst werden.

Sie wissen das: Die Inzidenz hängt vor allen Dingen davon ab, wie viel getestet wird. Denn die Inzidenz, so wie sie hier verstanden wird, besteht ja aus der Zahl der vom RKI festgestellten oder dem RKI durch die Gesundheitsämter gemeldeten so genannten Neuinfektionen. Und als Neuinfektion wird gemeldet, wer einen positiven PCR-Test hat. Also es geht um die Zahl der positiven Testergebnisse beim PCR-Test. Ich brauche Ihnen das nicht zu erklären, sie haben sich ganz oft schon damit beschäftigt, dass ein positiver PCR-Test nicht identisch ist mit Infektion und erst recht nicht mit Infektiosität. Das will ich jetzt mal nicht näher thematisieren. Aber wichtig ist im Kontext meiner Verfassungsbeschwerde vor allen Dingen, dass die Zahl der positiven PCR-Tests davon abhängt, wie viel überhaupt getestet wird.


Würde ich die Zahl der PCR-Tests halbieren, hätte ich eben nur die halbe Inzidenz. Wenn ich die Zahl der Testungen stark vergrößere, kriege ich automatisch eine höhere Inzidenz. Das heißt, die Regierung bzw. das RKI können mit ihrer Testpolitik bestimmen, ob die Inzidenz höher wird oder ob sie geringer wird und damit hat die Exekutive hier die Möglichkeit, indirekt die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen Grundrechte eingeschränkt werden.


Das ist mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Die Voraussetzungen für Grundrechtseinschränkungen muss der Gesetzgeber festlegen. Das hat er hier nicht gemacht, indem er es unterlassen hat, die Inzidenz genau zu definieren und es dem RKI bzw. der Bundesregierung überlassen hat, die Faktoren näher zu bestimmen, aus denen sich die Inzidenz ergibt. Die Zahl der Testungen ist das wichtigste Beispiel. Es gibt weitere Aspekte, die die Inzidenz beeinflussen kann. Es kommt natürlich auch auf die Teststrategie an also darauf, wer überhaupt getestet wird. Wenn ich hauptsächlich Menschen teste, die zum Arzt gehen, weil sie  Symptome haben, dann hab ich natürlich mehr positive Ergebnisse als wenn ich einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt teste. Da sind die meisten Ergebnisse sicherlich negativ.


Oder das RKI könnte auch Einfluss nehmen, indem es an die Labore die Anweisung gibt, nur PCR-Ergebnisse mit einem ct-Wert unterhalb einer bestimmten Schwelle als positiv zu werten. Das ist Ihnen ja auch bekannt. Man kann durch eine hohe  Anzahl von Zyklen die Zahl der positiven Ergebnisse steigern. Dann haben wir zwar nur eine ganz geringe Viruslast oder ganz wenige Virusfragmente, die nur nachgewiesen werden können und die überhaupt nichts über Infektiosität aussagen aber trotzdem ein positives Ergebnis. Also wenn man das jetzt in einer Verordnung oder Anweisung näher regelt, kann man auch damit beeinflussen, was bei der Inzidenzprüfung herauskommt.


Ja und dann folgt aus diesem Inzidenzautomatismus außerdem, dass wir in vielen Fälle zu unverhältnismäßigen Ergebnissen kommen. Zunächst einmal ist schon problematisch, dass der Gesetzgeber, hier die Inzidenz als alleiniges Kriterium für freiheitseinschränkende Maßnahmen festgelegt hat. Das Ziel des Gesetzes ist es laut Begründung zu vermeiden, dass die Intensivstationen überlastet werden. Wir bräuchten also, wenn eine solche Regelung Sinn machen soll, eine einigermaßen klare Korrelation zwischen Inzidenzwertüberschreitung und der Gefahr der Überlastung der Intensivstationen. Diese Korrelation gibt es in dieser Weise nicht. Da ist der Inzidenzwert ein viel zu unscharfes Kriterium. Er sagt uns in gewisser Hinsicht etwas aus, wie das Infektionsgeschehen sich entwickelt und wenn wir einen starken Anstieg bei den Infektionen haben, dann kann man annehmen, dass dann auch irgendwann ein Anstieg der Zahl der schweren Krankheitsverläufe und damit der intensivbehandlungsbedürftigen Patienten folgt.


Aber man kann sich da auf die Inzidenz alleine überhaupt nicht verlassen, weil die Inzidenz von vielen anderen Faktoren abhängt bzw. umgekehrt formuliert, weil die Frage wie viele Menschen intensivbehandungsbedürftig werden von anderen Umständen abhängt, die durch die Inzidenz nicht erfasst werden. Beispiel: Der Inzidenzwert drückt nicht aus, welche Personengruppen sich überhaupt infizieren. Wenn wir eine hohe Inzidenz bei sehr alten Menschen oder bei multimorbid vorbelasteten Menschen haben, wenn wir eine sehr hohe Inzidenz in Alten- und Pflegeheimen haben, dann müssen wir in der Tat mit einer großen Zahl schwerer Krankheitsverläufe rechnen.


Wenn aber die Alten- und Pflegeheime gut geschützt sind, wenn jetzt die besonders gefährdeten Altersgruppen geimpft sind und deshalb in diesen Gruppen gar nicht mit einer hohen Inzidenz mehr zu rechnen ist und wenn deshalb die Inzidenz nur bei jüngeren Leuten hoch ist oder die Gesamtzinzidenz die gemessen wird, sich zusammensetzt hauptsächlich aus jüngeren Leuten und nicht aus den gefährdeten Gruppen, dann folgt aus einer Inzidenz von 100 etwas ganz anderes im Hinblick auf die Gefährdung der Intensivstationen als noch vor einem halben Jahr der Fall war als wir sehr hohe Inzidenzen in den gefährdeten Personenkreisen hatten.


Das heißt, wir haben hier mit der 100er-Inzidenz einen nur sehr wenig geeigneten Maßstab für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Pandemieentwicklung und dieser Maßstab, der hat eine beschränkte Brauchbarkeit nur dann, wenn wir ihn im Zusammenhang sehen mit einer Reihe anderer Kriterien, etwa wie hoch ist die Belegung der Krankenhäuser mit Coronapatienten usw. Man kann noch ein paar andere Kriterien hinzuziehen. Das war eigentlich der bisherige Regelungsansatz des Gesetzes auch. Das Gesetz hat ja vor diesem 4. Bevölkerungsschutzgesetz auch schon mit Inzidenzwerten gearbeitet gegen die man im Ansatz das Gleiche sagen konnte wie ich das jetzt gesagt habe. Aber da war es immerhin so, dass im Gesetz stand, dass das im Zusammenhang, im Kontext mit anderen Umständen beurteilt werden muss. Und diese Einbeziehung des Kontextes, die ist jetzt abgeschnitten, indem dieser Inzidenzwertautomatismus eingeführt wurde und das wird dann notwendigerweise dazu führen, dass hier durch diesen Automatismus Freiheitseinschränkungen ausgelöst werden, die wir überhaupt nicht brauchen, um eine Überlastung der Intensivstationen zu verhindern.


Das gilt schon mal ganz allgemein unter den Aspekten, die ich gerade genannt habe und das gilt insbesondere dann, wenn man sich noch auf die spezielle Situation in den Landkreisen - wenn man darauf schaut. Es kann nämlich sein, dass wir in einem Landkreis eine hohe Inzidenz haben, aber völlig leere Intensivstationen, jedenfalls keine so hohe Belegung in den Intensivstationen, dass wir auch nur annähernd fürchten müssen, da sei die Kapazität in nächster Zeit erschöpft. Warum sollen wir dann die Leute sozusagen zu Hause halten, ihnen jede Kontakte einschränken, sie aus Kultureinrichtungen fernhalten, wenn dort die Intensivstationen örtlich überhaupt nicht belastet sind. Oder wir haben ein lokales Ausbruchsgeschehen - es sind ja in letzter Zeit immer wieder Fälle gemeldet worden: Da haben wir zum Beispiel einen Coronaausbruch in einem Gefängnis. Ja, dann kann es sein, dass dieser Ausbruch die Inzidenz in dem betreffenden Landkreis ganz stark ansteigen lässt, aber für die allgemeine Bevölkerung besteht überhaupt kein Risiko. Da haben wir unter den sonstigen Menschen eine ganz niedrige Inzidenz. Es ist nur ein hotspot und den haben wir unter Kontrolle und sowas muss lokal berücksichtigt werden können. Es ist vollkommen unverhältnismäßig, in einem ganzen Landkreis den Lockdown zu verhängen, nur weil wir in einem Gefängnis oder in einem Asylbewerberheim einen lokalen Ausbruch haben, den wir unter Kontrolle haben, wo wir alles nachverfolgen können.


Das Gesetz macht aber solche örtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfungen unmöglich und aus diesem Grunde führt das Gesetz dazu, dass dieser Automatismus Freiheitseinschränkungen auslöst, die wir überhaupt nicht brauchen. Das ist also auch ein ganz wesentlicher weiterer Punkt. Also der Automatismus, um das zusammenzufassen, ist in mehrfacher Hinsicht unvereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ich hatte am Anfang gesagt Gewaltenteilung. Ich hatte gesagt, Abschaffung des individuellen Rechtsschutzes, dann die unvollkommen unangemessen und ungeeignete Anknüpfung an eine Inzidenz, die nur sehr beschränkte Aussagekraft hat und uns gar keine Informationen wirklich gibt über die Gefährdung der Intensivstationen und schließlich die mangelnde Erforderlichkeit und mangelnde Angemessenheit dadurch, dass wir keine örtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfungen durchführen können.


Das alles glaube ich sollte dem Verfassungsgericht genügen, um diese Vorschrift für verfassungswidrig zu erklären. Sie ist meines Erachtens unter Gesichtspunkten der Rechtsstaatlichkeit und des Grundrechtsschutzes vollkommen unhaltbar.

Kritik an Einzelmaßnahmen

Also das ist meine Generalkritik und dann haben wir in dieser Verfassungsbeschwerde darüber hinaus noch eine Reihe von Punkten in denen wir Einzelkritik üben. Da habe ich ich mich auf das beschränkt, was ich für am evidentesten verfassungswidrig halte. Ich wollte einfach hier mich auf die zentralen Punkte konzentrieren, um die Stoßkraft im Verfassungsprozess so groß wie möglich zu machen. Ich will jetzt mal, weil die Zeit schon fortgeschritten ist, ein paar Stichworte geben. Wenn Sie wollen, können Sie dann ja noch Fragen dazu stellen.


Ein Punkt im Hinblick auf die Kontaktbeschränkung: Da ist ja in Nummer 1 des Absatzes 1 geregelt, dass sich privat nur Menschen treffen dürfen, die einem Haushalt angehören plus eine weitere Person aus einem anderen Haushalt. Und ich sage, das ist mindestens unter dem Aspekt nicht zu rechtfertigen, als es verboten ist, dass beispielsweise aus dem anderen Haushalt, der dazu kommt, nur eine einzelne Person und nicht etwa ein Ehepaar oder zwei Menschen aus einer Lebenspartnerschaft kommen, die ja auch aus einem Haushalt sind, jeden Tag zusammen leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann einer von diesen beiden infiziert ist und der andere nicht, die ist ja äußerst gering, so dass zum Beispiel, wenn ein Ehepaar seine Enkel besucht, die Ansteckungsgefahr und die Gefahr der Weiterverbreitung des Virus praktisch nicht größer ist, als wenn der Großvater und die Großmutter nicht gemeinsam sondern abwechselnd zu den Enkeln reingehen. Der eine geht jetzt rein und dann kommt er raus und der andere hat so lange draußen im Auto gewartet und geht dann hinterher in die Wohnung. Es ist wirklich ein Blödsinn.


Dann zur Ausgangssperre. Die Ausgangssperre halte ich im Ganzen für unverhältnismäßig. Alle Studien, die wir dazu haben zeigen, dass Ausgangssperren und nächtliche Ausgangssperren insbesondere fast nichts bringen. Wenn sie was bringen, das kann man nicht völlig ausschließen, aber wenn sie was bringen, bringen sie nur sehr wenig und deshalb ist das vollkommen unverhältnismäßig dafür 80 Millionen Menschen eine Ausgangssperre zu verhängen, wenn wir damit eigentlich keinen wirklich sichtbaren Erfolg haben im Hinblick auf die Überlastung der Intensivstationen. Das ist einfach nicht zu erkennen. Und dann noch ein Spezialfall dieser Ausgangssperre, den ich besonders absurd finde: Der Gesetzgeber hat ja in letzter Minute bevor das Gesetz verabschiedet wurde noch eine kleine Erleichterung eingeführt. Nämlich er hat es erlaubt, zwischen 22:00-24:00 Uhr sich noch einzeln an der frischen Luft zu bewegen, also man darf noch spazieren gehen und joggen. Zwischen 22:00-24:00 Uhr aber nur allein! Das heißt, ein Ehepaar, das den ganzen Tag im Haushalt gemeinsam ist, darf nicht gemeinsam spazieren gehen an der frischen Luft. Absurder geht es nicht mehr. Also das haben wir natürlich auch gerügt.


Dann weiterer Punkt bei den Öffnungs- und Veranstaltungsverboten. Da hab ich Beispiele angeführt dafür, dass es möglich sein sollte, Öffnungskonzepte zu verfolgen, bei denen Ansteckungen praktisch ausgeschlossen sind. Nehmen wir mal an eine Kunstgalerie möchte Bilder einer jungen Künstlerin präsentieren. Und die, sagen wir, machen das so, dass es keine Ansteckungen geben kann. Wir lassen in unsere Räume immer nur einen Besucher gleichzeitig rein, der sich vorher anmelden muss und auch noch einen negativen Test mitbringt. Der darf nur alleine rein oder mit Angehörigen des gleichen Haushalts also nur Leute, die sich auch privat gemeinsam treffen dürfen, dürfen gleichzeitig in unsere Galerie. Wenn die raus sind wieder, lüften wir gründlich und erst nach einer Lüftungspause kommt der nächste Besucher rein. Was soll da passieren können? Es kann nichts passieren, was nicht zufällig sich an der frischen Luft auch ereignen könnte. Also das ist wirklich eine vollkommen nicht mehr nachvollziehbare Regelung.


Oder anderes Beispiel in Biergärten. Wenn jemand einen großen Biergarten hat und die Tische so stellt, dass große Abstände da sind, und dass etwa an einen Tisch sich nur Menschen gemeinsam setzen dürfen, die sich nach Absatz 1 Nummer 1 auch zu Hause gemeinsam treffen dürfen: Wo soll da eine Infektionsgefahr sein, die über das gemeinsame Treffen zu Hause hinausgeht. Im Gegenteil an der frischen Luft ist bekanntlich die Infektionsgefahr geringer.


Oder weiteres Beispiel Ferienhäuser: Warum ist es verboten Ferienhäuser zu vermieten, wenn es so organisiert werden kann, dass selbst die Schlüsselübergabe ohne Kontakt erfolgt. Es kann sich doch niemand anstecken oder kann niemand andere Leute anstecken, der alleine in einem Ferienhaus ist. Es gibt wie gesagt eine Reihe von Konsequenzen aus dieser gesetzlichen Vorschrift, die einfach nicht nachvollziehbar sind, weil sie überhaupt nicht zur Begrenzung der Epidemie beitragen.


Und ein letzter Punkt, den ich noch angegriffen habe, eher marginal aber auch ganz interessant: FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr. Da ist es also jetzt vorgeschrieben, dass man in der Bahn eine FFP2-Maske trägt. In letztem Moment ist das Gesetz noch geändert worden. Diese Pflicht galt ursprünglich für alle. Jetzt steht aber im Gesetz, dass das Servicepersonal der Bahn nur eine medizinische Maske tragen muss. Warum? Weil die Arbeitsschutzvorschriften sagen: FFP2-Maske ist zu gefährlich. Die darf man nur eine gewisse Zeit lang tragen und dann muss eine Arbeitspause eingelegt werden. Es ist ja ganz klar, diese FFP2-Masken, die verhindern, die führen dazu, dass man CO2 rückatmet und auf die Dauer ist das wirklich nicht gesund für die Menschen. Also jetzt ist es so geregelt, dass die Schaffner, keine FFP2-Maske tragen müssen, aber die Reisenden im Fernverkehr, die vielleicht auch 6 Stunden im Zug sitzen, müssen eine FFP2-Maske aufhaben. Da sehe ich eigentlich nicht, warum es für die Bahnbediensteten gesundheitsgefährdend sein soll und für die Reisenden nicht.

Intensivbettenauslastung


Und allerletzter Punkt: Seit vielen Monaten wird der Lockdown gerechtfertigt mit der Überlastung der Intensivstationen. Wir rügen mit der Verfassungsbeschwerde auch, dass es in die Verantwortlichkeit des Staates fällt, dafür zu sorgen, dass die Intensivstationen nicht überlastet werden. Dafür kann der Staat nämlich sorgen, indem er die Kapazität der Intensivstationen ausbaut. Stattdessen sind mitten in der Pandemie Intensivbetten zu einem erheblichen Teil abgebaut worden. Wir hatten ursprünglich über 30.000 funktionsfähige Intensivbetten. jetzt sind es noch unter 25.000. Also mehr als 5.000 Intensivbetten weniger gibt es im Laufe der Pandemie. Das ist ein Skandal. Und weil diese 5.000 Intensivbetten fehlen, die wir ursprünglich hatten, weil sie während der Pandemie abgebaut worden sind, wird jetzt die Bevölkerung in den Lockdown geschickt. Zu immensen Kosten an denen noch künftige Generationen zu tragen haben.  Mit einem kleinen Bruchteil des Geldes, das der Lockdown kostet, da hätte man Personal anwerben können und anwerben müssen für die Intensivstationen, um eine größere Zahl betreibbarer Intensivbetten zu haben. Das ist nicht geschehen und was wir fordern mit dieser Verfassungsbeschwerde ist, dass das Bundesverfassungsgericht das der Regierung ins Stammbuch schreibt. (Anm.: Das ist zwar richtig, aber noch weit vorher kommt etwas anderes: Es gab nie eine Überlastung der Intensivstationen und das war der Regierung bekannt, als die Bundesnotbremse hiermit begründet wurde. Dazu habe ich hier mal etwas geschrieben.)


Ich sage, dieses Gesetz hätte, wenn es denn überhaupt notwendig sein sollte, verbunden werden müssen mit einem Konzept zur Erweiterung der Kapazität der Intensivstationen. Das ist nicht geschehen. Und hier hat der Gesetzgeber versagt, weil er gemeinsam mit der Regierung nicht das getan hat, was er hätte tun müssen um die Beschränkung der Freiheitsrechte zu vermeiden. Das ist übrigens etwas, was auf einem ganz anderen Sektor das Bundesverfassungsgericht neulich gemacht hat vor ein paar Tagen, in dem Aufsehen erregenden Klimabeschluss. Da steht nämlich drin: Der Gesetzgeber hat die Grundrechte verletzt, weil er nicht das getan hat, um künftige Grundrechtsverletzungen, die mal notwendig werden später, zu vermeiden.


Das Gleiche lässt sich so viel konkreter und viel besser greifbar, weil nicht erst viele Jahre später, sondern jetzt schon sagen, für das Verhalten von Regierung und Gesetzgebung in der Pandemie. Regierung und Gesetzgeber haben nichts gemacht, um die Intensivkapazitäten zu stärken und auf diese Weise den Lockdown zu vermeiden. Auch aus diesem Grunde ist dieses Gesetz verfassungswidrig.

RA Füllmich: Herr Murswiek, das war eine Vorlesung, wie ich sie mir im öffentlichen Recht mal gewünscht hätte, aber nie bekommen habe. Ich hab mir ihre Verfassungsbeschwerde durchgelesen. Es gibt dem wirklich nichts hinzuzufügen. Das greift, sie haben es eben schön dargelegt, das greift insbesondere an, dass hier die Gewaltenteilung ausgehebelt wird, dass derselbe, aber nicht nur, dass derselbe, der das Gesetz erlässt, auch noch am Ende für den Vollzug sorgt, sondern dass der auch noch in die Lage versetzt wird, die Voraussetzungen für den Vollzug quasi willkürlich zu manipulieren, indem er die Testkapazität erhöht oder herunterfährt, indem er die ct-Werte erhöht oder herunterfährt, indem er unterschiedlich viele Gene testet oder eben nicht testet.


Das zweite und vielleicht jetzt auch langsam bei den Verwaltungsgerichten Angekommene ist, dass faktisch für diesen ganzen Bereich die Verwaltungsgerichte abgeschafft werden, die Rechtsweggarantie des 19 IV wird komplett ausgehebelt und natürlich haben sie eben sehr schön dargelegt ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, die hier grundrechtsbeeinträchtigenden, grundrechtsaushebelnden Maßnahmen nicht im Ansatz gegeben. Im Grunde - sie haben eben einmal das Wort Blödsinn benutzt - im Grunde ist das irrsinnig, was hier im Einzelnen an Maßnahmen ergriffen wird.  Ich hab hier als Reaktion auf dieses Gesetz hat es schon einige  Menschen gegeben, auch aus der juristischen Welt, die gesagt haben, "das ist aber glaub ich nicht so wirklich richtig". Ich glaube, die Reaktion muss deutlich härter ausfallen. Wir haben hier, das haben Sie wahrscheinlich mitbekommen, einen Richter, Dr. Manfred Kölsch aus Trier, der war 40 Jahre lang Richter, hat das Bundesverdienstkreuz für seine Tätigkeit bekommen und hat es jetzt zurückgegeben aus Protest gegen dieses Gesetz. Und unter anderem wird er damit zitiert, ich hab mir sein Video angeguckt: „Der Föderalismus wird mit Hilfe der Ministerpräsidenten, die ja eigentlich die Hoheit über die Maßnahmen in ihren jeweiligen Ländern hätten behalten wollen - der Föderalismus wird mithilfe der Ministerpräsidenten zu Grabe getragen. 80 Millionen Bürger werden von einem Lockdown in den anderen geführt auf Grund von unzulänglichen PCR-Tests und beliebigen Inzidenzwerten ohne sichtbaren Erfolg. Dabei werden die tatsächlich Gefährdeten nicht ausreichend geschützt. Unsere Kinder gehören sicherlich nicht zu den Gefährdern oder Gefährdeten, das ist vielfach belegt.“

Also es wächst die Erkenntnis auch unter von Natur aus zurückhaltenden Richtern und Rechtsgelehrten wie Ihnen, dass hier irgendetwas sogar gravierend nicht stimmt. Der PCR-Test, den wir hier, weil ich das zufällig irgendwo am Rande mitbekommen hatte, den wir hier ins Visier genommen hatten, wo sich dann herausgestellt hat, der kann überhaupt keine Infektion nachweisen, weil er eben nicht zwischen lebendem und totem Material unterscheiden kann und weil mit diesen Zyklen im Übrigen extreme Manipulationsgefahr besteht.

Der PCR-Wert als Maß aller Dinge, jetzt für die Inzidenzwerte, ist einfach völlig ungeeignet. Wenn man sich aber die Gesamtheit, Herr Prof. Murswiek anguckt, dass hier, ich glaube erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Gewaltenteilung komplett aus den Angeln gehoben wird, dass hier die Rechtsweggarantie des 19 Absatz 4 zu Grabe getragen wird und dass die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen praktisch in jedem einzelnen Punkt nicht gegeben ist - Sie haben es ja eben dargestellt, warum das Ganze widersprüchlich ist - wenn man dann gleichzeitig sieht, dass das Verfassungsgericht bei seinem Klimabeschluss durchaus in der Lage war, etwas differenzierter heranzugehen, muss man da nicht auch die Frage stellen: Geht es eigentlich tatsächlich hier um Gesundheit oder geht es um irgendetwas ganz anderes, was wir noch näher definieren müssen?

Murswiek: Herr Füllmich, diese Frage wird mir auch immer wieder gestellt und ich stelle sie mir auch immer wieder. Man kann sich wirklich nur wundern, wie die Politik dazu kommt, so über so evidente Zusammenhänge hinwegzugehen. Ich möchte aber trotzdem keine Antwort hier versuchen. Ich beschränke mich auf das, was ich wirklich als Jurist beurteilen kann und als Staatsbürger muss man sich schon überlegen, welche Motive stehen denn dahinter? Aber das halte ich nicht für richtig, wenn ich als Verfassungsrechtler gefragt bin, mich dann dazu äußere, was ich denn selbst vermuten würde.

Füllmich: Es ist schon fast nur noch eine rhetorische Frage. Ich würde mich in Ihrer Rolle ganz genau so verhalten und ich würde mich auch, wenn ich im Gericht argumentieren würde, wahrscheinlich ebenfalls noch zurückhaltend bleiben. Aber man muss schon fragen, wie es sein kann, dass eine Bundesregierung, die mit jeglicher Fachkompetenz auf die sie zugreifen will, ausgestattet ist, solche offensichtlichen Zusammenhänge, wie wir sie ja hier durch Befragung von Menschen, die über jeden Zweifel erhaben sind - also der frühere Vizechef von Pfizer Dr. Mike Yeadon hat sich hier erklärt, Prof. Ulrike Kämmerer von der Universität Würzburg - wir haben aus allen Himmelsrichtungen Menschen gehabt, die uns klare Auskunft geben konnten auf Fragen, die eigentlich die Bundesregierung hätte stellen müssen, bevor sie jemals auf diese Lockdownmaßnahmen gekommen ist. Das empfinden wir zumindest als äußerst beunruhigend.


Wir gehen der Sache auch weiter nach. Zum Schluss, das habe ich jetzt in die aktuellen Klagen eingebaut, die wir gefertigt haben, haben wir auch noch von früheren Mitarbeitern der WHO erfahren, wie es überhaupt zu dieser Feststellung eines public health emergency of international concern, das ist ja die Grundkonstellation, die gebraucht wurde seitens der WHO, um nicht nur die Pandemie zu erklären, sondern vor allem um die sog. Impfstoffe, um die es jetzt geht für diese emergency authorization klarzumachen oder hier in Europa für die bedingte Zulassung. Das gibt uns jedenfalls so sehr zu denken, dass wir dem Ganzen weiter nachgehen werden. Wir sind kein Gericht, aber wir sind in der Lage, das zu tun, was ein Gericht eigentlich tun müsste, wir sind in der Lage, das zu tun, was unter den Grundsatz audiatur et altera pars eigentlich die Bundesregierung hätte tun müssen. Ich bin Ihnen jedenfalls äußerst dankbar, Herr Prof. Murswiek, für diese Arbeit, denn das hier wird zu einem Lackmustest für die Demokratie werden. Das wird insbesondere zu einem Lackmustest für diesen, jetzt ja mit einem neuen Präsidenten besetzten - für dieses Bundesverfassungsgericht werden. Sie haben keinen Zweifel daran gelassen und als ich Ihre Arbeit gelesen habe, hatte ich auch keinen Zweifel daran, dass es evident auf der Hand liegend verfassungswidrig ist, was hier gemacht worden ist. Unter allen drei Aspekten, die Sie eben ausgeführt haben: Aushebelung der Gewaltenteilung, Aushebelung der Rechtsstaatsgarantie und auch noch die Verältnismäßigkeit, die nicht im Ansatz gewahrt ist. Also ich bin sehr sehr dankbar und ich hoffe darauf, dass trotz aller Widerstände - denn im Grunde wird ja dadurch, dass das alles immer absurder wird auch die Fragwürdigkeit immer klarer - ich hoffe, dass trotz aller Widerstände sich im Verfassungsgericht noch genügend Leute finden werden, die diese Schlussfolgerungen, die sie hier aus dem Sachverhalt, den Sie schildern, teilen werden, nämlich dass das Ganze evident verfassungswidrig ist.

Originalquelle: https://corona-ausschuss.de/sitzungen/ (Sitzung 51 ab 2:04:25)

Murswiek: Ja dankeschön. Ich bedanke mich auch, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, meine Verfassungsbeschwerde hier vorzustellen. Ich muss mich jetzt auch verabschieden, weil ich gleich in ein anderes online meeting gehen muss. Also weiter auch alles Gute für Ihre Arbeit und ich halte es wirklich für wichtig, dass Sie sich sehr darum bemühen, möglichst den Faktenhorizont zu erweitern, der die Menschen in die Lage versetzt, die Coronapolitik zu beurteilen.

Füllmich: Herzlichen Dank Herr Prof. Murswiek. Das bedeutet uns viel und Ihnen auch alles Gute und vor allem viel Erfolg!


Soweit das Interview. Ich hoffe, damit ist etwas klarer geworden, worum es geht. Ich wiederhole mich sehr gerne. Es geht um alles. Die liberale Demokratie wurde schwer, hoffentlich nicht irreversibel, beschädigt. Aber auch schon die Grundrechte allein, wären ein Grund auf die Straße zu gehen. Also wenn einem das erlaubt wird, was ja nicht selbstverständlich ist heutzutage, wenn wir über Grundrechte reden, für die man sich eigentlich keine Erlaubnis abholen muss.

Wohin die Reise gehen kann

Als ich las, dass der Verfassungsschutz eine neue Kategorie „Demokratiefeindliche oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ eingeführt hat, dachte ich: endlich. Nachdem ständig neue Verordnungen in einem Tempo gemacht wurden, dass die Judikative ihren Zweck in der Gewaltenteilung nicht mehr erfüllen konnte und vielleicht auch nicht können sollte, dachte ich, der Verfassungsschutz schaltet sich ein und beobachtet ab jetzt die Bundesregierung.

Im Gegenteil musste ich jedoch feststellen: Die neue Kategorie galt wider Erwarten nicht denen, die den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, den Föderalismus schleifen und mit den Grundrechten wesentliche Teil der Verfassung in nie gekanntem Ausmaß aussetzten. Nein die Akteure ließen sich gar nicht dem Links- oder Rechtsextremismus zuordnen. Also wird nun die Mitte der Gesellschaft als Verfassungsfeinde beobachtet?

Da bin ich doch wahnsinnig glücklich, im besten Deutschland aller Zeiten zu leben, in einem Land, in dem man gut und gerne leben kann und in dem sich die gute und gütige Regierung stets Gedanken macht, wie man es noch einen Ticken besser machen kann.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt sich beispielsweise die folgenden Fragen (ab Seite 122):

Was wäre, wenn ...

... angesichts einer erfolgreichen Nutzung des Sozialkreditsystems in China auch andere Staaten  über die Nutzung eines solches Systems diskutieren?

... auch Deutschland darüber nachdenkt, wie ein digitales Bonuspunktesystem grundsätzlich  mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sein könnte, und letztlich ein solches System einführt?

... das Punktesystem in der Folge eine weitreichende Steuerungs- und Orientierungsfunktion in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft entwickelt?

... Menschen in Deutschland daraufhin wichtige Lebensentscheidungen lieber auf Basis einer  algorithmischen Empfehlung treffen, als auf die eigene Einschätzung oder den Rat ihrer Freundinnen  und Freunde und Familien zu vertrauen?

Also ich freu mich schon narrisch darauf, zumal sich ja ein paar Problempunkte bereits fast von alleine gelöst haben. Zum Beispiel der mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Oder das mit der heterogenen Gesellschaft. So heißt es weiter im Papier:

Gegnerinnen und Gegner des Systems sind mehr denn je „soziale Außenseiterinnen und Außenseiter“ und haben mit Stigmatisierungen und Ablehnung zu kämpfen.

Mir scheint das aktuell schon erreicht zu sein, bevor es richtig los geht. Ist doch auch mal schön, wenn man nicht ständig gegen so viele Widerstände arbeiten muss und die letzten Demokraten schon vor dem Start eine nicht schützenswerte Minderheit sind.

Es ist wichtig, auch mal das Positive zu sehen, auch wenn ich mir mit dem vorliegenden Text und meiner Verweigerung zur Teilnahme an der experimentellen Gentherapie meinen Startscore sauber zerschossen haben dürfte. Hoffentlich reicht’s noch für eine ÖPNV-Berechtigung. Jetzt ist aber ja erst mal Sommer. Da ist alles schick und da gibt es auch noch keine Impfpflicht, weil die Regierung das „im Augenblick“ noch nicht für erforderlich hält. „Die nächsten Wochen gelten erst einmal dem Werben.“

Aber wenn es dann soweit ist und Werbebudget und Geduld erschöpft sind, dann kann es auch mal recht schnell gehen wie in Frankreich oder Italien oder auf den Balearen oder…

Das wird aber dann eine ganz offene Debatte wie immer in der Diskussion und vielleicht wird dann sogar auch der Bundestag beteiligt. Nachts um 23:00 Uhr. Irgendwo versteckt in einer Reform des Stiftungsrechts oder so. Und wieder wie bei fast allem in der Coronakrise mit Zustimmung von Union, SPD und Grünen. Vollkommen egal also, wie die Wahl ausgeht, wenn man sich für eine dieser Parteien entscheidet.

Quelle: https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=749

Es gäbe einen Weg, in eine andere Richtung zu gehen. Vorschläge liegen ebenso auf dem Tisch wie Gründe, warum es so nicht weitergehen kann. Es wäre langsam mal an der Zeit, sich dafür einzusetzen, bevor sich das Fenster endgültig schließt. Wie ich schon so oft geschrieben habe: Wenn man nicht genau weiß, wann man den Anfängen wehren soll, sollte man lieber einmal zu früh und einmal zu viel wehren.

Was, wenn wir bereits jetzt handelten und zu viel handelten? Dann hätten wir unsere Demokratie gerettet, Kinder könnten eine unbeschwerte Kindheit genießen, Grundrechte genössen vollen Schutz, Minderheiten wären wirksam geschützt, eine funktionierende Gewaltenteilung würde für eine Balance der Kräfte sorgen. Ich hätte gerne dieses Präventionsparadoxon.

Warum ich wohl nicht gegen die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes demonstrieren werde

Das Versammlungsrecht ist konstituierend für unsere Demokratie, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinen guten Zeiten hier im Brokdorf-Beschluss recht eindrücklich formuliert hat.

„Diese Freiheit ist in Art. 8 GG gewährleistet, der Versammlungen und Aufzüge - im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen - als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung schützt. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers.“

Das habe ich ausführlicher in einem wenig beachteten thread nach der Demo in Berlin vom 1.8. letzten Jahres hier geschrieben.

Zugegeben, das war bevor mir klar wurde, was für ein demokratieschädigender Radikalisierungsladen dieses Twitter ist. Und auch bevor ich zu misstrauisch wurde, ob es Teilen der Klimabewegung wirklich um Gerechtigkeit, Demokratie und das gute Leben für alle geht, weshalb ich mich mit der Bundesnotbremse dann auch aus selbiger verabschiedet, quasi meine private Notbremse gezogen habe.

Die Maßnahmenbefürworter sollten sich mal darüber im Klaren sein, dass es sehr viele Menschen in diesem Land gibt, die Angst haben vor einem übermächtigem Staat und dem Verlust der grundgesetzlich garantierten Rechte und diese Angst hat zugenommen je autoritäter sich der Staat geriert. Das ist im wirklichen Leben zu beobachten.

Dagegen muss man mittlerweile sagen, dass die übersteigerte Angst vor COVID19, die anfangs berechtigt gewesen sein mag, nichts mehr mit dem realen Leben zu tun hat. Sie spielt sich nur noch in den Köpfen von Menschen ab, führt aber dazu, dass die berechtigte Angst der ersten Gruppe noch stärker wird, weil selbst bei noch so guten und entwarnenden Zahlen, die Eingriffe in die Freiheitsrechte noch intensiviert werden und von sich links wähnenden Gruppen unter hashtags wie #zerocovid und #nocovid noch befeuert werden.

Solange die, mit denen ich für eine gerechtere Welt und mehr Demokratie einzutreten glaubte, sich für zerocovid oder nocovid einsetzen, solange sie für einen Impfpass eintreten und damit das Tor zur Überwachung und zum social scoring ganz weit aufstoßen, solange sie für die Impfung auch Jugendlicher und eine Impfpflicht eintreten und solange wegen genau dieses Verhaltens der Überwachungsstaat etabliert wird, solange bin ich nicht bereit, ihrem DEMO-Aufruf zu folgen und mich an einer Symptombekämpfung abzuarbeiten. Quasi meine eigene Solange-Entscheidung für die Hoheit über meine Verfassung (verstehen jetzt wohl nur Juristen).

Nochmal: Wer nicht grundsätzlich die Machtfrage stellt, gestaltet nicht. Er wird gestaltet.

Es geht um alles, nicht lediglich um ein paar erschreckende Befugnisse für die bayerische Polizei. Krisen wurden für so etwas immer genutzt und dafür teils (medial) geschaffen oder forciert. Die gesamte Pandemie über wurden Bürgerrechte scheibchenweise massiv beschnitten, ohne dass es jemanden groß interessiert hätte. Es sei ja schließlich eine Gefahr da, also müsse man einstweilen auf Freiheiten verzichten. Das sei ja nur zu unserem Besten.

9/11 führte bei uns zum sog. Otto-Katalog, der nur befristet geltend sollte. Er wurde immer wieder verlängert, weil ja auch immer wieder eine Terrorgefahr medial hochgejazzt wurde. Der Otto-Katalog wurde vergangenes Jahr entfristet. Norbert Häring gibt einen Ausblick wo die Reise - auch für Geimpfte, die sich dann vielleicht umsonst ihre Gesundheit ruiniert haben - hingehen kann:

Geimpfte, die sich an ihrer scheinbaren Privilegierung freuen und das vielleicht sogar gut finden, sollten neu nachdenken. Es geht ja hier nicht (mehr) um die Bekämpfung einer ungewöhnlich gefährlichen Krankheit. Es geht darum, eine allgegenwärtige digitale Überwachungs- und Kontrollinfrastruktur aufzubauen und die Menschen an diese zu gewöhnen. Zu den künftig auf Schritt und Tritt kontrollierten gehören die Geimpften genauso wie die Nichtgeimpften.

Und diejenigen, die zu Recht sagen, dass sie ja nichts zu verbergen haben, weil sie unpolitisch und nicht kriminell sind, sollten sich fragen: Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der niemand es wagen kann, für uns den Kopf hinauszustrecken und öffentlich gegen Missstände aufzubegehren.

Was bereits so alles passiert ist, ist hier schön zusammengefasst:

  • Weitgehende Abschaffung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten, die nach den Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis eingeführt worden war. Die Bundespolizei erhält die Befugnisse eines Geheimdiensts, die Geheimdienste übernehmen polizeiliche Aufgaben, beide arbeiten Hand in Hand.
  • Vollmacht der Bundespolizei, die Freiheit von Bürgern und Flüchtlingen durch Aufenthaltsverbote, Abschiebehaft und ähnliche Maßnahmen ohne richterliche Autorisierung massiv einzuschränken.
  • Legalisierung des technischen Eindringens von Polizei und Geheimdiensten in Computer-Systeme, mobile Endgeräte und andere elektronische Systeme, um dort massenhaft Daten abzugreifen oder zu manipulieren.
  • Ermächtigung der Geheimdienste und Bundespolizei zu Cyber-Attacken und anderen Beobachtungs- und Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Gesinnung einer Person, ohne dass strafrechtlich oder nachrichtendienstlich relevante Tatsachen und Handlunge vorliegen.
  • Umfassende, automatisierte Überwachung und Zensur des Internets mit Hilfe von Upload-Filtern.
  • Lückenlose zentralisierte Erfassung und Speicherung persönlicher und biometrischer Daten, die dann allen staatlichen Behörden zugänglich sind.

Dagegen sollte sich langsam mal Widerstand regen, bevor es zu spät ist. Aber ich begrüße es ausdrücklich, wenn möglichst viele Menschen zumindest gegen die Vertiefung des autoritären Staates in Bayern auf die Straße gehen. Mit Maske. Bei Nullinzidenz. Im Freien...Und gemeinsam mit SPD und Grünen, die für den autoritären Staat gestimmt haben...

Ich war noch nie auf einer Demo gegen die Coronamaßnahmen. Aber ich werde wohl am 1. August 2021 nach Berlin fahren. Das ist demokratische Notwehr.


*Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) ist die Redaktion für überregionale Inhalte der Verlagsgesellschaft Madsack in Hannover. Deren größte Kommanditistin ist die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, das Medienbeteiligungsunternehmen der SPD. Ich habe die SPD auf Twitter und Facebook adressiert und den Nürnberger Kodex verlinkt. Leider ohne Reaktion.

Titelbild: Yinan Chen auf Pixaby.com

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