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„Beim Abgeordneten sollten die Wünsche seiner Wähler großes Gewicht haben, ihre Ansicht hohe Geltung, ihre Angelegenheit unermüdliche Aufmerksamkeit. Es ist seine Pflicht, ihnen seine Ruhe, sein Vergnügen und sein Wohlbehagen zu opfern, vor allem aber ihre Interessen den seinigen vorzuziehen. Aber seine unparteiische Ansicht, sein reifes Urteil, sein erleuchtetes Gewissen darf er weder ihnen noch irgendeinem Menschen noch irgendeiner Gruppe opfern. Euer Abgeordneter schuldet euch nicht nur seinen Fleiß, sondern auch sein Urteil, und wenn er dieses eurer Ansicht opfert, dann betrügt er euch, statt euch zu dienen.“

An diese Worte, die Edmund Burke 1774 an seine Wähler in Bristol gerichtet hat, habe ich in den letzten Tagen oft gedacht. Ich hatte sie mir 1994 als Leitlinie für meine Arbeit als Bundestagsabgeordneter ausgesucht. Burke ist ein Säulenheiliger des politischen Konservatismus und einer der Vordenker der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie. Was würde er zu den Korruptionsskandalen von Unionsabgeordneten sagen, die uns in diesen Tagen erschüttern?

Burke beschreibt das Bild eines Abgeordneten, wie ihn auch das Grundgesetz vor Augen hat. Abgeordnete „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“, heißt es in Art. 38 Abs. 1 GG.

Wie passt das zusammen mit Nebentätigkeiten, die zu Interessenkonflikten mit der Orientierung am Gemeinwohl führen können? Wo bleibt der den Wähler:innen geschuldete Fleiß, wenn die Nebeneinkünfte die Höhe der Abgeordnetenentschädigung übersteigen? Und wenn es viel Geld für (zeitlich) wenig Arbeit gibt: ist das nicht ein Indiz für unzulässige Einflussnahme oder gar Bestechung?

Welche Erwartungen haben wir an Abgeordnete?

Diese Fragen erfordern klare Antworten, wenn das Vertrauen wiederhergestellt werden soll, das in diesen Tagen durch die Fälle Nüsslein, Löbel, Fischer, Hauptmann, Strenz und Zech massiv erschüttert wurde. Dabei geht es nicht nur darum, diese Fälle lückenlos aufzuklären, auch wenn einige der Genannten inzwischen ihr Mandat niedergelegt haben. Neben den personellen Konsequenzen, die möglicherweise auch durch Gerichte gezogen werden, muss auch über institutionelle Konsequenzen nachgedacht werden, die solches Fehlverhalten in der Zukunft besser ausschließen, als bisher.

Deutscher Bundestag - Anlage 1 - Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages
§ 1 Anzeigepflicht(1) Ein Mitglied des Bundestages ist verpflichtet, dem Präsidenten aus der Zeit vor seiner Mitgliedschaft im Bundestag schriftlich oder in Textform anzuzeigen:1....

Das führt noch einmal zu der Frage, wie Abgeordnete sein sollten, welche Erwartungen wir an sie haben, zusätzlich zu den oben genannten.

Wir wollen durch tüchtige Frauen und Männer im Bundestag vertreten werden. In der Regel haben sie es deshalb im Leben zu etwas gebracht. Sie sollen unabhängig sein. Abgeordnete sollen nicht an ihren Sesseln kleben. Manche finden, acht Jahre Bundestag sind genug.

Wegen der Skandale wird jetzt auch gefordert, den Abgeordneten jede Nebentätigkeit zu untersagen. Nur so sei gesichert, dass sie sich voll und ganz dem Mandat widmeten. Außerdem würden sie schließlich sehr gut dafür bezahlt.

Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst könnten mit solchen Regeln gut leben. Das Abgeordnetengehalt ist in der Regel deutlich höher als der bisherige Verdienst und sie haben ein jederzeitiges Rückkehrrecht in den Beruf, § 6 Abgeordnetengesetz.

Arbeitnehmer:innen und Angestellten darf während der Mandatsausübung vom Arbeitgeber nicht gekündigt werden. Sie können deshalb auch davon ausgehen, zum alten Betrieb zurückkehren zu können.

Auch Berufsanfänger:innen hätten mit einem Nebentätigkeitsverbot für Abgeordnete kein Problem. Nirgendwo sonst können Sie gehaltsmäßig höher einsteigen als im Bundestag. Die Rückkehr-Frage stellt sich nicht. Im Gegenteil: mit dem Mandat verbindet sich die Hoffnung, nach Ausscheiden aus dem Bundestag leichter eine gut bezahlte Stelle zu finden.

Mehr Transparenz hilft

Aber wollen wir wirklich ein Parlament von Beamt:innen, Berufseinsteiger:innen und ausschließlich abhängig Beschäftigten? Würde so die Bevölkerung repräsentiert? Was ist mit Handwerker:innen, Ärzt:innen, Rechtsanwält:innen, Landwirt:innen, Unternehmer:innen, Freiberufler:innen und Selbständigen?

Nehmen wir einen typischen Handwerksmeister mit sechs Mitarbeiter:innen. Soll er seinen Betrieb aufgeben für ein Bundestagsmandat, das nach vier Jahren beendet sein kann, weil die Partei ihn nicht wieder aufstellt oder die Wähler:innen sich anders entscheiden? Die durchschnittliche Zugehörigkeit zum Bundestag beträgt acht Jahre.

Es ist unrealistisch, dass sich Selbständige für ein Bundestagsmandat interessieren, wenn sie dafür ihren bisherigen Beruf vollständig aufgeben müßten. Deshalb hat das Abgeordnetengesetz in §44 a Abs 1 festgelegt:

„Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages. Unbeschadet dieser Verpflichtung bleiben Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat grundsätzlich zulässig.“

Der deutlich größere Teil der Abgeordneten hat keine meldepflichtigen Nebeneinkünfte.

Infografik: Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten
Die Grafik zeigt den Anteil von Abgeordneten mit meldepflichtigen Nebeneinkünften

Bei manchen Abgeordneten sind allerdings die „Nebeneinkünfte“ deutlich höher als das Einkommen aus der Abgeordnetentätigkeit.

Nebeneinkünfte pro Bundestagsabgeordnete/r from de

Was zu der berechtigten Frage führt, ob ab einer bestimmten Höhe der Nebeneinkünfte noch davon ausgegangen werden kann, dass „die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit“ steht.

Außerdem werfen Nebeneinkünfte grundsätzlich die Frage nach möglichen Interessenkollisionen auf. Mehr Transparenz über Höhe und Herkunft dieser Gelder könnte hier helfen.

Zwar müssen alle Nebeneinkünfte dem Bundestagspräsidenten genau angezeigt werden. Veröffentlicht werden die Angaben bisher jedoch nur pauschalisiert und in Stufen.

Deutliche Verschärfung der Verhaltensregeln nötig

Die Unionsfraktion hatte sich in der Vergangenheit gegen eine detailliertere Offenlegung der Nebeneinkünfte gewehrt. Jetzt will sie mit einer Transparenzoffensive die Konsequenzen aus den Skandalen der jüngsten Zeit ziehen. Sie hat einen 10-Punkte-Katalog mit deutlichen Verschärfungen der Regeln vorgelegt.

Über diese gesetzlichen Regeln hinaus will sich die Unionsfraktion einen Verhaltenskodex geben, der in einem wichtigen Punkt noch weiter gehen soll. Mitglieder des Fraktionsvorstands, Sprecher:innen und Obleute sollen im Hinblick auf Nebentätigkeiten behandelt werden wie Mitglieder der Bundesregierung.

Maskenaffäre: Brinkhaus: “Wir haben da Fehler gemacht”
“Ein Gefühl dafür, was anständig ist”, habe es bei den Abgeordneten Nüßlein und Löbel nicht gegeben, sagt Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus im ZDF heute journal.

Denen schreibt § 5 Abs. 1 Ministergesetz vor, dass sie „neben ihrem Amt kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben dürfen. Sie dürfen während ihrer Amtszeit auch nicht dem Vorstand, Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.“

Von dieser Regel wäre künftig fast ein Drittel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion betroffen. Und da die meisten Abgeordneten hoffen, irgendwann zu diesen Führungskräften der Fraktion zu gehören, dürfte dieser Verhaltenskodex zu einer allgemeinen Reduzierung der Nebentätigkeiten von Unionsabgeordneten führen.


Was jetzt zu tun ist

Mit der Transparenzoffensive und dem Verhaltenskodex greift die Unionsfraktion einige der wichtigen Forderungen von Transparency International Deutschland auf. Unter der Überschrift „Was jetzt zu tun ist“ heiße es in einem 8-Punkte-Katalog:

1. Umfassendes, verpflichtendes Lobbyregister;

2. legislativer Fußabdruck;

3. Offenlegung von Nebeneinkünften und möglichen Interessenkonflikten;

4. Abgeordnete dürfen nicht gleichzeitig bezahlte Lobbyisten sein;

5. Ein:e Interessenbeauftragte:r für Transparenz bei der politischen Interessenvertretung;

6. Verschärfung des § 108e StGB zur Mandatsträgerbestechung;

7. Mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung und

8. Karenzzeiten.

Für unsere Demokratie wäre es gut, wenn diese Vorschläge von Transparency International Deutschland aufgegriffen und möglichst rasch umgesetzt würden.


Der Kommentar ist zuerst erschienen in RUMS - der Brief für Münster www.rums.ms.



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