Berlin - Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die Prüfung der Pkw-Maut-Verträge durch die EU-Kommission auf mögliche Verstöße gegen das Beihilfe-Recht angeregt. Das berichtet die "Welt" unter Berufung auf ein Gutachten des Dienstes zu den Schadenersatzklauseln im Betreiber-Vertrag.

"Die vorliegender Ausarbeitung zugrundeliegenden Erkenntnisse dürften der Kommission hinreichend nahelegen, dies in einem förmlichen Beihilfeverfahren aufzuklären", heißt es in dem Papier. Es geht um den Vertrag zur Maut-Erhebung, den das Bundesverkehrsministerium unter Andreas Scheuer (CSU) im Dezember 2018 mit einem Konsortium der Firmen Kapsch und Eventim schloss. Demnach muss der Staat dem Konsortium den sogenannten Bruttounternehmenswert für die vereinbarte Laufzeit von zwölf Jahren zahlen, wenn der Vertrag vom Bund aus ordnungspolitischen Gründen gekündigt wird. Zu diesen Gründen gehören Gerichtsurteile.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte im Juni 2019 die Maut für europarechtswidrig, woraufhin Scheuer die Verträge kündigte. Seither verlangen Kapsch und Eventim wegen jener Klausel Schadenersatz, was derzeit Gegenstand eines Schiedsgerichtsverfahrens ist. Das Gutachten beschäftigt sich mit der Frage, ob die im Herbst 2018 mit Kapsch/Eventim als einzig verbliebenem Bieter vereinbarten Schadenersatzregelungen gegen das Verbot einer ungerechtfertigten staatlichen Begünstigung einzelner Unternehmen und damit einer wettbewerbsverzerrenden Beihilfe verstießen. Laut dem Gutachten hätten vor Vertragsabschluss "strenge Vorkehrungen" getroffen werden müssen, "um echten und wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten".

Es sei aber "nicht erkennbar, welche zusätzlichen Vorkehrungen getroffen wurden". Zu diesen hätte unter anderem die Prüfung der Frage gehört, ob solche Schadenersatzregelungen bei ähnlichen Verträgen zwischen Staat und Privaten üblich und daher "marktkonform" waren. Aber die Marktkonformität der Regelung, so das Gutachten, "dürfte nicht ohne Weiteres feststellbar sein" und liege "zumindest nicht nahe". Auch dränge sich der Eindruck "nicht unbedingt auf", dass solche Regelungen zwischen privaten Akteuren vereinbart worden wären.

Zwar legt sich der Wissenschaftliche Dienst nicht auf eine Bewertung fest, sieht aber hinreichende Gründe dafür, dass die Verträge von der EU-Kommission geprüft werden. Sollte eine solche Prüfung stattfinden und eine verbotene Beihilfe ergeben, müsste Deutschland einen Schadenersatz selbst dann nicht zahlen, wenn es im Schiedsgerichtsverfahren dazu verpflichtet würde. Denn unerlaubte Beihilfen dürfen nicht geleistet werden. Allerdings müsste die Prüfung durch Deutschland durch eine Notifizierung bei der EU-Kommission ausgelöst werden.

Indes hatte das Bundesverkehrsministerium im Dezember 2020 im Bundestag auf die mündliche Frage des verkehrspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Oliver Luksic, geantwortet, dass es keine Anhaltspunkte für eine unerlaubte Beihilfe sehe. Angesichts des neuen Gutachtens kritisierte Luksic die Position des Ministeriums in dieser Frage scharf: "Das Ministerium hat eine beihilferechtliche Prüfung der Entschädigungsregelungen nicht nur vor Vertragsabschluss versäumt, sondern weigert sich bis heute, ein förmliches Beihilfeverfahren bei der Kommission anzustrengen", sagte Luksic der "Welt". Damit handele Scheuer vornehmlich in eigenem Interesse: "Statt alle Hebel in Bewegung zu setzen und die drohenden Kosten des Maut-Desasters abzuwenden, ist das Ministerium damit beschäftigt, die eigenen Fehler unter den Teppich zu kehren." Dies sei "unfassbar", sagte Luksic.

"Inzwischen ist keinem Bürger mehr vermittelbar, weshalb Minister Scheuer noch im Amt ist."

Foto: Autobahn (über dts Nachrichtenagentur)

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