Während unterschiedlichste Gruppen in Zeiten einer Pandemie mit allerlei Herausforderungen zu ringen haben, trifft es einen Teil von uns auf ganz besondere Weise. Es ist nicht abzustreiten, dass unter anderem Kulturschaffende, Selbstständige und Gesundheitspersonal ausreichend Aufmerksamkeit bekommen müssen, um diese Krise zu überstehen. Dabei wird in der Regel auf zwei Faktoren hingewiesen: Geld und Gesundheit. Pumpen wir die Menschen mit finanziellen Spritzen voll und veranlassen chaotische Regeln zum Verhalten in der Öffentlichkeit, die sich bitte regional zu unterscheiden haben, um der lokalen „Küche“ Rechnung zu tragen, wird das Problem sicher gelöst werden.
Heute soll es jedoch nicht darum gehen, dass die Maßnahmen nicht transparent genug gemacht werden und auch nicht darum, dass die finanziellen Stützen Papiertiger sind, die lange nicht ausreichen, um Menschen in existenzieller Not zu helfen. Vielmehr möchte ich eine Gruppe in den Fokus stellen, die neben den genannten Aspekten Geld und Gesundheit unter weiteren besorgniserregenden, latenten Problemen zu leiden hat: Kinder.
Gesundheit: Spätestens mit der Mutante ist es angekommen: Covid19 stellt auch für die Jüngeren eine Gefährdung der Gesundheit dar. Obwohl Israel starke Leistungen im Bereich der Impfungen vorweisen kann, erschrecken die Zahlen nicht nur Experten, denn die Mutante B117 sorgte dort für einen Anstieg von etwa 23 % bei den Infektionen von Kindern unter 10 Jahren. Glücklicherweise konnte bisher zumindest nicht festgestellt werden, dass die Variation auch gefährlicher ist, doch ich halte diese Tatsache für wenig relevant, wenn es um den Umgang mit den Verhaltensregeln geht. Es wird immer deutlicher, dass Kinder stärker betroffen sind und die Argumentation sollte nicht lauten, dass es schon halb so wild sei – zu keinem anderen Zeitpunkt würde so argumentiert werden. So dürften Kinder früh ein Bier trinken, da ein Bier wohl kaum schaden anrichten kann. Gesundheit ist ein seltenes Gut und es gilt, dies zu schützen und nicht Risiken einzugehen, die vermeidbar sind.
https://www.bmj.com/content/372/bmj.n383
https://taz.de/Studie-zu-Long-Covid/!5749678/
Geld: Es geht mir an dieser Stelle nicht um Checks, die Kindern ausgestellt werden. Dazu würde ich aber auch nicht „Nein“ sagen, da das BGE eh eines Tages kommen wird. Stattdessen fällt in allen Bereichen der Gesellschaft auf, dass bisher viel zu wenig Geld in Erziehung und Sozialisation gesteckt wurde. Angefangen beim offensichtlichen Beispiel der Finanzierung unseres Bildungssystems: marode Schulen, unhygienische Bedingungen und fehlendes Personal in Bezug auf Entwicklung der Kinder. Ich spreche hier von Assistenten, Schulpsychologen und Sozialarbeitern. Nicht erst seit der Pandemie ist vielen Menschen bewusst, wie katastrophal die Lage in dieser Hinsicht ist und es trifft wie immer die, die sowieso im Nachteil sind. In einer Konferenz der BV Nemo (https://www.bv-nemo.de/) berichteten Eltern, Schüler:innen und Kolleg:innen alle: die Digitalisierung dauert zu lange, transparente Kommunikation fehlt und vor allem in Bezug auf Integration scheitern viele halbgare Konzepte, die derzeit mittelmäßig umgesetzt würden. Abgesehen davon, dass im Bereich der Bildung massive Investitionen und Innovationen notwendig sind, muss auch an anderen Stellen Geld in die Hand genommen werden, da die bürokratischen Infrastrukturen entschlackt gehören und effizienter agieren müssen. Anreize für Unternehmen, eine Unterstützung der Jugendämter und bessere Bezahlung aller Menschen (#BGE) – und damit auch der Personen, die für die Entwicklung der Jugend verantwortlich sind.
Mitsprache: Jedoch jede noch so wohlgemeinte Aktion findet ihre Idee derzeit in Köpfen, die „nur“ indirekt betroffen sind. Viele Elternräte und Menschen, die persönliche Beziehungen zu Kindern haben, setzen sich sicherlich oft mit guten Intentionen ein. Es bleibt aber doch politisch prekär, dass die Rechte der Kinder momentan nicht voll anerkannt und ausgeschöpft werden. Ein erster und längst überfälliger Schritt wäre es, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen und konkrete Säulen ihrer Rolle in unserer Gesellschaft festzuhalten. Erweitert wird diese Notwendigkeit durch das Wahlrecht. In den Kommunen ist es bereits der Regelfall und so sollte das Wahlalter für Landtags- und Bundestagswahlen auf 16 Jahren gesenkt werden. Es mag nur einen kleineren Teil der Jugend betreffen, doch so kann zumindest dieser Teil aktiver an der Gestaltung der Politik teilhaben. Einher damit verlangt die Moderne, dass Paradigmenwechsel in der politischen Klasse vollzogen werden müssen. Mir ist bewusst, dass es bereits Jugendorganisationen gibt, doch auch hier sind die Zahlen mehr als ernüchternd:
Ja, wir vertrauen oft darauf, dass ältere Menschen die Erfahrung und Qualifikation haben, politische Entscheidungen ausgewogen und überlegt zu gestalten, dennoch halte ich es für mehr als erstrebenswert, mehr Jugendliche in den gesellschaftlichen Diskurs einzubinden. In der SPD setzt man momentan an, mit dem #JusosindieParlamente eine Offensive zu starten und in meiner Blase zeigen sich tatsächlich mit verschiedensten Kandidaten, dass eine Verjüngung möglich scheint. (Ich weiß, dass ein 33-jähriger Juso kein Kind ist, aber ich hoffe naiv darauf, dass er näher an deren Realität dran ist, als es ein 61-jähriger Berufspolitiker ist.)
https://www.n-tv.de/politik/So-alt-kommen-sie-nicht-mehr-zusammen-article22013607.html
Entwicklung: Viele Menschen der zu Beginn genannten Gruppen leiden extrem unter der aktuellen Lage, das muss in unserem Bewusstsein sein. Doch während viele Erwachsene durch Erlebnisse und Reflexion etwas besser mit der Situation umgehen können, ist die Entwicklung der Kinder schlicht schwer zu greifen. Ängste, fehlende Sozialkontakte, ausbleibende Erfahrung, Verschiebung der Lebensrealität, eine mögliche Erkrankung an Covid oder gar der Verlust eines geliebten Menschen üben Einfluss aus, den wir noch gar nicht einschätzen können. Bereits 70.000 Menschen sind SARS-CoV-2 allein in Deutschland zum Opfer gefallen. Es steht außer Frage, dass jeder Todesfall ein Schicksalsschlag ist, doch wie schwer so etwas auf Kinder wiegt, ist kaum vorherzusehen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-10/covid-19-verstorbene-coronavirus-todesfall-angehoerige
https://taz.de/Schule-und-Corona/!5750084/
Neben den akuten Problemen wie Geld und Gesundheit leiden Kinder also oft zusätzlich unter den latenten Fehlern im System, die dringend korrigiert werden müssen. Unterstützt wird diese Forderung dadurch, dass Druck, Angst und psychologische Probleme bei Kindern durch die Pandemie vergrößert werden, aber keinesfalls vorher unbekannt waren. Insofern ist es nicht ausreichend, das Thema wie ein Schnitzel breit zu klopfen, sondern vielmehr müssen endlich konkrete Veränderungen her, die ich bereits angedeutet habe, so z.B. die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz, denn nur so kann die Gesellschaft ihren künftigen Generationen Goethes Grundsatz der Wurzeln und Flügel erfüllen.
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