Berlin - Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Afghanistan hat Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock die zögerliche Haltung der Bundesregierung bei der Evakuierung afghanischer Ortskräfte kritisiert. "Viel zu lange hat die Bundesregierung die Augen vor der Realität verschlossen", sagte Baerbock der "Süddeutschen Zeitung".

Schon im April hätten die Grünen im Bundestag eine frühzeitige Evakuierung der Ortskräfte beantragt. "Noch im Juni haben Union und SPD diesen Antrag abgelehnt." Das räche sich jetzt auf "schmerzlichste Weise". Während die islamistischen Truppen der Taliban am Sonntag Kabul erreicht haben und die afghanische Regierung eine friedliche Machtübergabe plant, versucht die Bundesregierung unter Hochdruck, Botschaftsangehörige und ehemalige afghanische Helfer deutscher Behörden mithilfe der Bundeswehr auszufliegen.

Ein Mandat des Bundestags gibt es dafür noch nicht, kann nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz aber nachgeholt werden. Baerbock hält die Mandatsfrage für nachrangig. "Die deutsche Bundesregierung muss nun alles unternehmen, um Leben zu retten, auch mithilfe der Bundeswehr." Die Leben von Botschaftsangehörigen und Ortskräften, von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, von Frauenrechtlern seien "akut bedroht".

Die Lage sei dramatisch, das Zeitfenster schließe sich, so Baerbock: "Es geht um jeden Tag, um jede Stunde." Baerbock verwies auf einen Bericht von Medica mondiale, wonach 80 afghanische Frauenrechtlerinnen, die für die Hilfsorganisation gearbeitet hätten, nun in Kabul festsäßen. Sie gelten nach den Kriterien der Bundesregierung nicht als Ortskräfte und haben offiziell keinen Anspruch auf Evakuierung. "Ihr Schutz darf nicht an bürokratischen Definitionen oder an dem naiven Glauben scheitern, es seien jetzt noch die üblichen Visa-Verfahren möglich", warnte die Grünen-Vorsitzende.

Foto: Annalena Baerbock (über dts Nachrichtenagentur)

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