Berlin - In der aktuellen Debatte um die Rekordverspätungen bei der Bahn stellt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Verbesserungen in Aussicht, warnt aber zugleich vor übersteigerten Erwartungen. "Wenn wir die Bahn als attraktive Alternative im Wettbewerb der Verkehrsmittel etablieren wollen, ist Zuverlässigkeit ein Schlüsselkriterium", sagte Wissing der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS).

Man könne aber "in einem komplexen System wie der Bahn nicht einfach einen Hebel umlegen, und dann ist alles gut". Probleme würden "Schritt für Schritt" abgearbeitet. Zuletzt waren nur noch gut 70 Prozent der Fernzüge mit weniger als sechs Minuten Verspätung angekommen, das ist der mit Abstand schlechteste Wert aller großen europäischen Bahnen. Als Ansatzpunkte für Verbesserungen nannte der Minister ein besseres Baustellen-Management, den Einbau zusätzlicher Weichen und die Einstellung von zusätzlichem Personal.

Er wolle alle Möglichkeiten nutzen, Verspätungen "systematisch zu reduzieren". Allerdings gebe es Umstände wie Unfälle oder Schlechtwetter, die nicht in der Verantwortung der Bahn lägen. Zudem sei das deutsche System, bei dem schnelle und langsame Züge auf denselben Strecken fahren, störanfällig als das französische oder japanische Netz mit eigenen Hochgeschwindigkeitstrassen. Er wolle die Verspätungen damit aber nicht rechtfertigen, sondern "gemeinsam mit der Bahn daran arbeiten, sie zu beseitigen".

Dem amtierenden Bahnchef Richard Lutz, über dessen Ablösung nach der Bundestagswahl spekuliert worden war, stärkte Wissing vorerst den Rücken. "Ich arbeite mit Herrn Lutz sehr gut zusammen", sagte er der Zeitung. "Er kennt die Bahn in- und auswendig, wir haben einen engen Austausch Er macht das mit viel Herz und Engagement, und das gefällt mir." Zudem nannte Wissing erstmals einen konkreten Termin für die geplante Zusammenlegung von Netz und Bahnhöfen zu einer neuen Infrastruktur-Sparte der Bahn.

"Mein Ziel ist es, das zum 1. Januar 2024 umzusetzen", sagte er dem Blatt. Die Struktureform müssen "am Ende mit einem erkennbaren Mehrwert" für die Bürger verbunden sein. Wichtig sei zu dem, dass der Bund als Eigentümer trotz der privaten Gesellschaftsform noch Gestaltungsmöglichkeiten habe. Für die Realisierung des Deutschlandtakts, der für das ganze Land verlässliche Anschlüsse teils im Halbstundentakt vorsieht, relativierte Wissing jedoch die bislang gültige Zeitvorgabe bis zum Jahr 2030.

"Wie wir vorankommen, hängt von vielen Dingen ab", sagte der Minister. Es werde jedoch kontinuierlich an der Verbesserung des Angebots gearbeitet. Zugleich ging Wissing auf Distanz zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. "Mit dem Wissen von heute würden wohl viele Beteiligte manches anders entscheiden, schon weil die kontroverse Debatte um das Projekt großen Schaden angerichtet hat", sagte Wissing. "Aber mir geht es nicht um historische Fragen, ich will die Zukunft gestalten."

In de Debatte um überfüllte Regionalzüge wegen des 9-Euro-Tickets wies Wissing den Bundesländern die Verantwortung zu. Der Bund habe anfangs gewollt, dass der Fahrschein nur im einzelnen Verkehrsverbund gelte. "Die Länder wollten es für ganz Deutschland, und sie haben gesagt, sie können das Angebot entsprechend organisieren", betonte der Minister. "Ich vertraue der Expertise der Länder."

Als Lehre aus dem 9-Euro-Ticket plädierte Wissing für ein integriertes Tarifsystem über die Verkehrsverbünde hinweg. In den laufenden Verhandlungen mit den Bundesländern über die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs verlangte der Minister zunächst Strukturreformen. "Es kann nicht einfach nur mehr Geld für bestehende Strukturen geben", sagte er. "Wenn der Bund für den Nahverkehr mehr Geld zahlen soll, dann müssen die Länder im Gegenzug transparent machen, was mit dem Geld geschieht."

Foto: ICE (über dts Nachrichtenagentur)

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