Berlin - Die Linke bereitet sich auf eine Regierungskoalition mit SPD und Grünen vor. "Das Fenster ist so weit geöffnet wie noch nie. Wann, wenn nicht jetzt", sagte die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Auch die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Amira Mohamed Ali sieht einen besonderen Moment gekommen. "Das ist jetzt wieder eine reale Möglichkeit, und darüber wird in meiner Partei natürlich gesprochen", sagte sie der FAS. In jüngsten Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Kantar, Infratest und Forschungsgruppe Wahlen erreicht Rot-Grün-Rot die absolute Mehrheit. CDU/CSU und FDP kommen zusammen auf 32 bis 33 Prozent.

Innerparteilich werden bei den Linken schon Verhandlungsführer gesucht, um Positionspapiere zu schreiben und nach der Bundestagswahl mit SPD und Grünen über Fachthemen zu sprechen. Es sei "das erste Mal in der Geschichte der Partei", dass sich die Linke so ernsthaft auf Sondierungen vorbereite, sagte Hennig-Wellsow. Laut FAS hat es vor dem Beginn des Wahlkampfes im Frühsommer zwei Treffen zwischen den Parteivorsitzenden der SPD und der Linkspartei gegeben. In der Linkspartei gelten solche Treffen als üblich und unspektakulär.

Sie stärken dort den Eindruck, dass Rot-Grün-Rot für die SPD-Vorsitzenden leichter vorstellbar wäre als für den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. "Die Frage einer Koalition wird nachher von den Parteispitzen entschieden", sagte die stellvertretende Linken-Vorsitzende Martina Renner. Die SPD äußerte sich auf FAS-Nachfrage nicht, ob die Treffen stattfanden und welchen Zweck sie hatten. Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich trifft sich seit Jahren mit Abgeordneten von SPD und Grünen, der Kreis trug zeitweise den Namen "Oslo-Gruppe", weil in Norwegen einst Rot-Grün-Rot regierte.

Auch Mohamed Ali steht im Kontakt mit SPD-Abgeordneten. "Soweit ich weiß, ist ein relevanter Teil der SPD-Fraktion sehr offen für Rot-Grün-Rot", sagte sie. Das Kalkül in der Linkspartei lautet, dass Scholz nach der Wahl von seiner Partei gezwungen werden könnte, Rot-Grün-Rot zuzustimmen, auch wenn er persönliche Vorbehalte hat. Ähnlich wird die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, eingeschätzt.

"Ich bin mir nicht sicher, ob Scholz und Baerbock ein Interesse haben, mit der Linken zu regieren. Ich weiß aber bei beiden, dass der Laden dahinter schon will", sagte Hennig-Wellsow. Am Montag stellen die Spitzenkandidaten der Linken, Janine Wissler und Dietmar Bartsch, eine Art Regierungsprogramm vor, das Anhaltspunkte für mögliche Koalitionsverhandlungen enthält. Nach außen soll das Papier laut Hennig-Wellsow zeigen: "Wir haben einen Plan, wir wissen, wie es geht, wir sind vorbereitet und man kann mit uns rechnen."

Und nach innen: "Jetzt wird es ernst. Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, wir haben das im Griff." In dem "Sofortprogramm", über das ddie FAS berichtet, heißt es: "Viele Menschen sprechen sich für Mehrheiten ohne Union und FDP aus." Vor allem will die Linke den Mindestlohn erhöhen, Hartz IV abschaffen, Renten erhöhen, eine Kindergrundsicherung einführen und einen bundesweiten Mietendeckel.

Zur Außenpolitik finden sich in dem achtseitigen Papier nur zwei Absätze. Die Partei will Auslandseinsätze beenden, Rüstungsexporte stoppen und den Wehretat auf dem Niveau von 2018 belassen. Die NATO wird in diesem "Sofortprogramm" nicht mehr erwähnt, obwohl im Wahlprogramm ihre Auflösung gefordert wird. Scholz hatte kürzlich eine Koalition mit den Linken an Bedingungen geknüpft, etwa an ein Bekenntnis der Partei zur EU und zur NATO. Die Bremer Linken-Abgeordnete Maja Tegeler, die im Bundesvorstand ihrer Partei sitzt, sieht eine Kompromissmöglichkeit: "Wenn wir uns nicht auf die Maximalforderung verständigen, aus der NATO auszutreten, sondern zumindest eine Neuausrichtung in der Außenpolitik machen und die Rüstungsausgaben deutlich kürzen, dann sehe ich gute Chancen." Daphne Weber aus dem Parteivorstand glaubt, dass es ohne Abrüstung keine Koalition geben kann: "Da kann man sich nicht mit etwas abspeisen lassen." Im Bündnisfall sind führende Linke nicht sicher, ob ihre Partei einem Militäreinsatz nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zustimmen würde. "Ich glaube, dass das eine rote Linie ist", sagte Schulz. "Wir werden Kriegsbeteiligungen nicht zustimmen", sagte Weber.

In Koalitionsverhandlungen würde die Linkspartei mindestens zwei Ministerien verlangen, etwa das Arbeits- und Sozialministerium und ein Ressort wie Gesundheit oder Bildung. Der Regierungswille unter den Linken wird unterschiedlich dargestellt. Hennig-Wellsow sagte, es seien 98 Prozent für das Regieren, also für Rot-Grün-Rot. "Das ist meine Schätzung." Eine parteiinterne Umfrage hatte einen Wert um die achtzig Prozent ergeben. Weber aus dem Parteivorstand sagte, dass es unter den Bewegungslinken innerhalb der Partei Skeptiker gebe, "ob ein Politikwechsel mit Cum-Ex-Scholz oder Grünen, die die CDU umgarnen, gehen kann". Unter anderem der Polizeieinsatz rund um den G20-Gipfel in Hamburg 2017 wird ihm übel genommen. "Klar haben wir ein Problem mit der Person Olaf Scholz und seiner politischen Ausrichtung und Vergangenheit", sagte Parteivorstand Tegeler. "Wir erleben aber, dass es in der SPD ganz andere Ausrichtungen gibt."

Foto: Linkspartei-Logo auf Parteitag (über dts Nachrichtenagentur)

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