Berlin - Der Medizinethiker Wolfram Henn lehnt Privilegien für bereits gegen das Coronavirus Geimpfte ab. "Wir müssen zurückhaltend sein. `Ich bin jetzt geimpft, also brauche ich keinen Schutz mehr`: So einfach kann es nicht gehen", sagte Henn dem "Mannheimer Morgen" (Samstagsausgabe).

Henn, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, warnte, dass nicht alle Geimpften auch mit Sicherheit geschützt seien, da es sogenannte "Impfversager" gebe. Zudem sei noch unklar, inwieweit Geimpfte die Viren weitertragen könnten. "Wir werden mit Beschränkungen zu leben haben." Er sehe "das viel beschriebene Licht am Ende des Tunnels immer deutlicher aufleuchten".

Wir bräuchten auf der Zielgeraden, auf die wir gerade eingebogen seien, aber noch Geduld. "Der Schlüssel für den weiteren Verlauf der Pandemie wird die Verfügbarkeit der Impfstoffe sein und dann, wenn wir durch die Engpässe des Anfangs gekommen sind, die Akzeptanz der Allgemeinbevölkerung", sagte der Experte, der die genetische Beratungsstelle der Universität des Saarlandes leitet. Mit Blick auf die aktuell niedrige Impfbereitschaft der Deutschen zeigte sich Henn optimistisch: "Ich bin zuversichtlich, dass mit den anlaufenden Impfungen, die sich dann als gut verträglich zeigen werden, das Vertrauen zunimmt." Eine staatliche allgemeine Impfpflicht wäre nach Meinung des Homburger Professors wenig hilfreich.

Sobald es einen Zwang gebe, reagierten viele Menschen mit dem Reflex, sich erst einmal dagegen zu stellen. Für denkbar hält er es allerdings, dass im Bereich der Privatwirtschaft beispielsweise Betreiber von Fitnessstudios eine Corona-Impfung zur Voraussetzung einer Mitgliedschaft machten. Auch Fluggesellschaften, die für möglichst viel Sicherheit an Bord sorgen wollten, könnten womöglich eine Impfbestätigung oder einen negativen PCR-Test verlangten. Er persönlich würde auch dafür plädieren, eine Impfpflicht für eng umrissene Berufsgruppen wie Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen, die Verantwortung für die Gesundheit anderer trügen, einzuführen.

Problematisch sei hingegen, wenn künftig Restaurantbesitzer Nicht-Geimpfte ausschlössen. "Das wäre ein Impfzwang durch die Hintertür." Das Gleiche gelte für Fahrten mit der Bahn, die immerhin zu hundert Prozent in staatlicher Hand sei. "Diese Debatte ist noch nicht ausgestanden. Das ist hochdelikat", sagte Henn.

Man werde hier nicht schnell Regeln setzen können, sondern müsse dies gesellschaftlich diskutieren.

Foto: Corona-Hinweis (über dts Nachrichtenagentur)

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