Hanau - Während des Terroranschlags von Hanau im Februar 2020 ist der Polizeinotruf offenbar überlastet und nicht ausreichend besetzt gewesen. Das berichten das ARD-Magazin "Monitor", der Hessische Rundfunk und der "Spiegel" unter Berufung auf eigene Recherchen.
Zahlreiche Zeugen und Betroffene kamen demnach unter der Notrufnummer 110 nicht durch, darunter ein späteres Todesopfer. Eine Dokumentation der Notrufe zeige, dass während der Tatzeit zwischen 21:55 Uhr und 22:09 Uhr gerade einmal fünf Anrufe über den Polizeinotruf registriert wurden. Offenbar waren aber viele Notrufe nicht durchgekommen. Zahlreiche Zeugen berichteten unabhängig voneinander, dass die 110 während der Tatzeit nicht erreichbar gewesen sei.
Unter den Anrufern, die mehrfach erfolglos versuchten, die Polizei zu erreichen, war auch ein 22-jähriges späteres Opfer. Während er den Attentäter in seinem Auto verfolgte, wählte er mehrfach erfolglos den Polizeinotruf, wie sich aus seinen Handydaten entnehmen lässt. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, sprach von einem schweren Versäumnis: Es sei "nicht unwahrscheinlich", dass man mit mehr Kenntnis von Zeugen auch "Gelegenheiten gehabt hätte, nachfolgende Taten noch zu verhindern", sagte er dem ARD-Magazin. Das Polizeipräsidium Südosthessen räumte auf Nachfrage von "Monitor" ein, es sei "bei sehr hohem Anrufaufkommen" nicht auszuschließen, dass "Notrufe im Einzelfall nicht direkt angenommen werden können".
Dass es sich angesichts lediglich fünf angenommener Anrufe im Tatzeitraum nur um Einzelfälle handelt, scheint indes fraglich. So konnten in der Tatnacht nach den vorliegenden Dokumenten nur an zwei Apparaten Notrufe entgegengenommen werden, und auch diese waren offenbar nicht durchgängig besetzt. Eine Rufumleitung zu einer Leitstelle war wohl nicht eingerichtet. Zudem wurden den drei Medien zufolge zahlreiche erfolglose Anrufversuche in der Tatnacht nicht registriert oder aufgezeichnet.
So wurde im unmittelbaren Anschluss an den Terroranschlag im Zeitraum von über einer Stunde nicht ein einziger Anruf mit Tatbezug registriert. All das sei "zutiefst irritierend", sagte Fiedler. Notrufe müssten von professionellen Leitstellen entgegengenommen werden. Umleitungen dorthin seien "eigentlich seit Jahrzehnten Standard".
Wie es dazu kommen konnte, dass das ausgerechnet in Hanau nicht der Fall war, müsse aufgeklärt werden. Aufklärung fordert auch die Fraktionsvorsitzende der SPD im Hessischen Landtag, Nancy Faeser: "So etwas darf nicht passieren. Wie kann es sein, dass im Jahre 2020 Polizeibehörden mit völlig aus der Zeit gefallenen Notrufsystemen arbeiten?" Die hessischen Behörden müssten die Vorgänge nun aufklären, so Faeser. "Was ist in der Nacht schiefgelaufen? Was wird dafür getan, dass das besser wird?" Die Polizei teilte unterdessen auf Nachfrage von "Monitor" mit, dass ein "Überleitungssystem" für Notrufe "geplant" sei.
Foto: Tatort in Hanau (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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