Berlin - Die ukrainische Regierung hat Deutschland bei der Frage der Waffenlieferungen und der Russland-Sanktionen eine Blockade-Haltung vorgeworfen. "Deutschland hat sich vor Beginn des Krieges geweigert, Waffen an die Ukraine zu liefern", sagte der außenpolitische Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Ihor Zhovkva, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagausgaben).

"Jetzt bekommen wir einige Waffen - aber das ist bei Weitem nicht genug, es ist viel zu spät und viel zu langsam", kritisierte er. Kiew bräuchte von Deutschland vor allem Anti-Panzer- und Boden-Luft-Raketen, so Zhovkva. "Aber wenn Deutschland diese Waffen nicht an uns liefern will, sollte es zumindest andere Partner nicht blockieren, uns zu helfen." Der Regierungsberater forderte die NATO dazu auf, eine Flugverbotszone über der gesamten Ukraine zu errichten - "oder zumindest den Luftraum teilweise abzuriegeln, um humanitäre Lieferungen zu ermöglichen".

Auch bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland trete Deutschland als Bremser auf, kritisierte Zhovkva. "Leider befindet sich Deutschland auch an vorderster Front, wenn es um das Nein zu härteren Sanktionen gegen Russland geht. Zum Beispiel mit Blick auf einen totalen Import-Stopp für Gas, Öl und Kohle. Oder beim Einfrieren aller russischen Konten in Europa beziehungsweise beim Ausschluss aller russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift."

Jeder Dollar, der für russisches Gas gezahlt wird, komme der russischen Armee zugute. Den russischen Truppen sei es nicht gelungen, größere Städte in einem Blitzkrieg einzunehmen, so Zhovkva. Der Vormarsch der Russen verlaufe schleppend. "Selbst wenn es russischen Truppen gelungen ist, kleinere Städte im Süden wie zum Beispiel Cherson einzukreisen, konnten sie dort keine Marionetten-Verwaltungen installieren", so der Regierungsvertreter.

Allerdings seien die russischen Streitkräfte dazu übergegangen, Städte aus Militärflugzeugen anzugreifen, die über dem Schwarzen Meer fliegen. "Dabei schießen sie Raketen mit größerer Reichweite ab." Die Hauptstadt Kiew rüste sich für eine große Verteidigungsschlacht, so der Präsidentenberater. "Der militärische und der zivile Teil der Verwaltung bereiten sich darauf vor, die Stadt zu verteidigen. Sie legen den notwendigen Vorrat an Lebensmitteln an für den Fall, dass Kiew eingekreist wird."

Bislang hätten die russischen Kräfte Kiew nicht einmal zur Hälfte umzingelt. "Mit ihrer jetzigen Personalstärke wird es ihnen auch nicht gelingen, Kiew einzukreisen. Sie müssten die Zahl ihrer Kräfte verdoppeln oder verdreifachen."

Beim Antrag auf eine Mitgliedschaft in der EU hofft die Ukraine auf Unterstützung aus Berlin. "Vieles hängt von Deutschland ab, die Lokomotive in der EU. Eine große Mehrheit der Bundesbürger ist für den EU-Beitritt der Ukraine. Kanzler Olaf Scholz sollte auf die Meinung in der Gesellschaft hören", sagte der Selenskyj-Berater. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, SPD-Politiker Michael Roth, drängte auch auf mehr Tempo bei den Waffenlieferungen an die Ukraine.

"Wir müssen bei den Waffenlieferungen jetzt den Turbo einschalten", sagte er dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Freitagausgaben). "Es gilt nun alles zu tun, um die Wehrhaftigkeit und Verteidigungsfähigkeit der Ukraine nachhaltig zu stärken, um Putin in den Gesprächen zu einer diplomatischen Lösung zu bewegen." Weiter erklärte Roth: "Dabei geht es vorrangig um leicht bedienbare Waffensysteme zur Verteidigung, nach der die Ukraine uns immer wieder fragt. Aber diese Waffen braucht die Ukraine unverzüglich - und nicht erst in zwei Monaten." Nur wenn die Ukraine stark und wehrhaft bleibe und nicht kapituliere, könne es zu einer Lösung durch Verhandlungen kommen. "Für Putin müssen die militärischen und wirtschaftlichen Kosten so hoch sein, dass er zu ernsthaften Zugeständnissen in den Verhandlungen bereit ist. Mit jedem Tag, den die Ukraine übersteht und den russischen Aggressionen die Stirn bietet, rückt eine Lösung durch Verhandlungen näher." Da Deutschland keine Waffen mehr aus Bundeswehrbeständen liefern kann, müsse die Regierung nun umgehend Verhandlungen mit Rüstungsunternehmen führen.

"Wir müssen jetzt schnell mit der Rüstungsindustrie darüber sprechen, welche Waffen kurzfristig geliefert werden können", forderte Roth. Dass Deutschland zu wenig Waffen in den eigenen Beständen habe, mache laut Roth die großen Versäumnisse in der Vergangenheit deutlich. "Das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr muss deshalb gezielt dafür eingesetzt werden, die enormen Defizite bei Waffen und persönlicher Schutzausrüstung zu beheben."

Foto: Bundeswirtschaftsministerium (über dts Nachrichtenagentur)

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