Die Regierung hat sich für die Novelle des Universitätsgesetzes einiges vorgenommen: Student:innen sollen, wieder einmal, angehalten werden, schneller und fokussierter zu studieren; die Reste der universitären Demokratie, kümmerlich wie sie sind, werden noch weiter beschnitten; und – und darum wird es hier gehen – mit den prekären Dienstverhältnissen an den Universitäten soll Schluss sein! Für diese hehre Ziel ist die Regierung auch willens in Kauf zu nehmen, dass man die prekäre Beschäftigung abschafft, indem man die prekär Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlässt.
Die Ausgangslage
Die Universität ist, grob gesagt, ein Zwei-Klassen-System. Auf der einen Seite stehen jene deren Karrieren annähernd ‚ideal‘ verlaufen, sowohl im Sinne von „gut“ als auch im Sinne von „idealtypisch“. Auf der anderen Seite stehen alle anderen: Ihre Karriere verlaufen nicht entlang definierter Pfade; sind sie in der Regel über Serien befristeter Verträge angestellt, sei es als Forscher*innen in Drittmittel-finanzierten Projekten oder als Lehrbeauftragte.
Derartige Kettenverträge sind, eigentlich, unzulässig. Doch § 109 des Universitätsgesetzes in seiner geltenden Fassung gesteht den Universitäten eine Ausnahme zu: Er erlaubt Kettenverträge – solange eine ‚Kette‘, also eine Serie unmittelbar aufeinanderfolgender Anstellungen, sich nicht auf mehr als sechs Jahre erstreckt (acht Jahre bei Teilzeit). Nach dem Ende einer Kette muss eine Pause von wenigstes einem Jahr eingelegt werden. Danach kann aber eine neue Kette beginnen.
Diese Regelung, wenigstens darüber sind sich die die Regierung und die meisten betroffenen Wissenschafter*innen einig, ist schlecht. Darüber hinaus hat Giovanni Pitruzzella, einer der Generalanwälte des EuGH, letztes Jahr festgehalten, sie verstoße gegen die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit.[1]
§ 109 muss sich also ändern. Das steht außer Streit.
Die Novelle
Das passiert nun mit der Novelle zum Universitätsgesetz. Sie streicht, einfach gesagt, das „unmittelbar aufeinanderfolgend“. Nach acht Jahren in toto (für Forscher:innen) und nach Ablauf des sechten Studienjahrs ab dem ersten Arbeitstag (für Lehrbeauftragte) ist Schluss – für immer.[2] Dann darf eine ehemals befristete Wissenschafter:in nicht noch einmal befristet an derselben Universität angestellt werden. Viele Disziplinen sind aber nur an wenigen Universitäten in Österreich vertreten, und die meisten Spezialisierungen nur jeweils an einer. Das Verbot weiterer befristeter Anstellungen an einer Universität wiegt also schwer.
Entfristung oder Ende?
Die Regierung geht davon aus, dass die Universitäten kaum anders können werden, als viele der bisher befristeten Wissenschafter:innen nun unbefristet anzustellen. Die betroffenen Wissenschafter:innen hingegen befürchten, die Universitäten werden sie einfach ‚gehen lassen‘. Was wird es werden?
Universitäten stellen, grob gesagt, drei Gruppen von Wissenschafter:innen befristet an:
Idealtypische Karriereverläufe. Der vorgesehene Karriereweg für Wissenschafter*innen führt über eine Stelle für das Schreiben der Dissertation (in der Regel 30h/Woche und befristet auf 3–4 Jahre; oft über Drittmittel finanziert) über eine Post-Doc-Stelle (in der Regel 40h/Woche und befristet auf 6 Jahre) zu einer so genannten „Tenure Track“-Stelle (also einer Stelle mit Aussicht auf unbefristete Anstellung) oder einer Professur. Jedoch ist es unüblich, mehr als eine dieser Stufen an derselben Universität zu absolvieren. Hier wird sich also wenig ändern.
Drittmittel-finanzierte Projekte. Wird eine Wissenschafter:in über so genannte Drittmittel angestellt, um im Rahmen eines zeitlich begrenzten Projekts zu forschen. Derzeit sind das an den öffentlichen Universitäten ca. 10.200 Personen (diese entsprechen ca. 6.500 Vollzeitäquivalenten).[3] Die meisten Projekte laufen für 3–6 Jahre. Da die Projekte zeitlich begrenzt sind, schreibt § 26 Abs. 6 des Universitätsgesetzes vor, dass auch das Dienstverhältnis dieser Wissenschafter:in befristet sein muss. Das wird auch nach der Novelle so bleiben. Hier kann sich also gar nichts ändern.
Lehrbeauftragte. Wie viele Lehrveranstaltung welchen Typs in einem Semester angeboten werden müssen, ist nur begrenzt vorhersehbar. Daher gibt es einen gewissen Bedarf an Lehre, der nur kurzfristig gedeckt werden kann. Das tun Universitäten indem sie Lehraufträge an so genannte ‚externe Lektor:innen‘ vergeben. Diese Lehraufträge sind in der Regel auf ein Semester befristet. Derzeit sind an den öffentlichen Universitäten ca. 6.600 Lektor:innen angestellt (diese entsprechen ca. 1.000 Vollzeitäquivalenten [sic!]).[4] Das ist die einzige Gruppe, bei der es, auf den ersten Blick, scheinen könnte, als müssten die Universitäten nun viele von ihnen unbefristet anstellen. Die Lehre muss schließlich stattfinden. Und viele, vielleicht sogar die meisten, Lehrbeauftragten sind schon länger als sechs Jahre dabei.
Die Erfahrung und die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache.
Die Universitäten scheuen davor zurück, Lehrbeauftragte zu entfristen. So sind an der der Universität Wien, laut der IG Lektor:innen und Wissensarbeiter:innen, derzeit ca. 1.800 Lehrbeauftragte angestellt, aber nur ca. 60 von diesen unbefristet.
Darüber hinaus erwerben jedes Jahr ca. 2.300 Menschen in Österreich ein Doktorat.[5] Es steht also eine ausreichend große akademische ‚Reservearmee‘ zur Verfügung, um etwaige Abgänge zu ersetzen. Die Universitäten stehen also auch nach der Novelle nicht unter Druck, irgendjemanden unbefristet anzustellen.
Die Befürchtungen der betroffenen Wissenschafter:innen scheinen also wahrscheinlicher als die Hoffnung der Regierung. Die Novelle dürfte viele Wissenschafter:innen arbeitslos zu machen.
Eine epistemische Verengung
Das würde freilich nicht alle Fächer gleichermaßen treffen. Es sind vor allem jene die zu gesellschaftskritischen Themen forschen und lehren, jene die Traditionen Kritischer Theorie am Leben erhalten, die sich in befristeten Dienstverhältnissen finden. Die Novelle droht mithin auch die Rolle der Universitäten ein weiteres Mal zu verschieben, weg von Stätten der Kritik und der Reflexion, hin zur bloßen Verwertung. Das soll sie wohl auch.
Update: Ich habe hier ursprünglich geschrieben, der neue § 109 gelte ab 1. Mai und die Universitäten müssten dann, also im darauffolgenden Semester, Kolleg:innen, die schon länger ‚dabei‘ sind, unbefristet anstellen oder eben ziehen lassen. Darüber gibt es divergierende Rechtsmeinungen.
Rechtssache C‑274/18 Minoo Schuch-Ghannadan gegen Medizinische Universität Wien (2019), Schlussantrag des Generalanwalts, Abschn. II.A.2 und 3. Der EuGH weißt zwar darauf hin, dass die Europäische Kommission das auch so sehe, äußert sich aber sonst nicht dazu, weil das Arbeits- und Sozialgericht Wien danach nicht gefragt hat. Siehe ebd., Urteil des Gerichtshofs, Rn. 27–32. ↩︎
Dass „nach Ablauf des sechten Studienjahrs ab dem ersten Arbeitstag“ für Lehrbeauftragte Schluss ist, schreibe ich nicht, weil ich Gefallen an komplizierten Formulierungen finde. Ist jemand ausschließlich in der Lehre beschäftigt, so zählt tatsächlich nur der erste Tag der Anstellung. Ob diese einen Monat, ein Semester oder ein Jahr dauert, ist unerheblich. Auch ob man später noch einmal an derselben Universität angestellt ist oder nicht, ist unerheblich. Ab diesem Tag darf man nur noch innerhalb der nächsten sechs Studienjahre weitere befristeten Lehraufträge an derselben Universität erhalten. Wer also beispielsweise während seines Doktorats einen Lehrauftrag für ein Semester erhält, danach für eine Post-Doc-Stelle sechs Jahre ins Ausland geht und dann zurück kommt – hat Pech gehabt. ↩︎
Siehe uni:data. Datawarehouse Hochschulbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Auswertung „Personal nach Verwendung“, Codes 24 und 25. ↩︎
Ebd., Code 18. Das bezieht auf so genannte „hauptberufliche“ Lektor:innen, also jene Lektor:innen, die ein Dienstverhältnis zur Universität haben. Daneben gibt es auch „nebenberufliche“ Lektor:innen; diese werden als freie Dienstnehmer*innen beschäftigt. Für diese ändert sich mit der Novelle aber nichts. ↩︎
Vgl. Statistik Österreich, „Graduations at public universities“. ↩︎