Das war eine spannende Woche mit wichtigen Entscheidungen, nicht nur für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf, sondern auch für die nächsten vier Jahre. Wir wissen jetzt, wer im September ins Kanzleramt einziehen kann (in alphabetischer Reihenfolge): Annalena Baerbock, Armin Laschet oder Olaf Scholz. Aber weil nicht die alphabetische Reihenfolge darüber entscheidet, sondern Sie, liegen spannende Wochen vor uns.

Die drei Persönlichkeiten sind auf sehr unterschiedliche Art und Weise in ihre jetzigen Positionen gekommen. Olaf Scholz wurde bereits im August 2020 nominiert, nachdem er zuvor bei der Wahl als SPD-Parteivorsitzender unterlegen war.

Annalena Baerbock war schon lange eine von zwei Persönlichkeiten, die es als einzige werden konnten. Die Grünen hatten es ihren beiden Vorsitzenden überlassen, darüber unter vier Augen zu entscheiden. Für den Fall, dass sie sich nicht einigen könnten, stand fest: die Frau hatte den ersten Zugriff.

Komplizierter war die Lage bei der Union. Zum einen, weil sich zwei Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen mußten, zum anderen, weil die CDU wegen Corona erst am 16. Januar ihren neuen Vorsitzenden gewählt hatte.

Bei der CDU folgte eine Kampfabstimmung der nächsten. Die Grünen entschieden geräuschlos. In beiden Parteien spielten Kriterien eine Rolle, die keine von beiden für zukünftige Entscheidungen der K-Frage in ihre Satzung schreiben würde.

Weder würden die Grünen das Entscheidungsrecht ihrer Mitglieder dauerhaft an die beiden Bundesvorsitzenden delegieren, noch würden CDU und CSU in ihre Satzungen schreiben: Wenn es zwei Kandidat:innen gibt, ist nominiert, wer zum Zeitpunkt der Nominierung in den Meinungsumfragen führt.

Denn offenkundig ist es nicht so einfach. Meinungsumfragen ändern sich schnell. Hätte die Union sich nur danach gerichtet und im Dezember entschieden, wäre jetzt Jens Spahn der Kanzlerkandidat.

Ohne das erkennbar auch persönlich gute Verhältnis zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck, also mit anderen Persönlichkeiten an der Spitze, hätte die Parteibasis der Grünen nicht auf ihr Entscheidungsrecht verzichten können.

Die Frage „Wie hältst Du es mit der Basis?“ hat auch im Entscheidungsprozess der Unionsparteien eine große Rolle gespielt. Anhänger von Markus Söder verwiesen immer wieder darauf, dass dieser auch unter den CDU-Bundestagsabgeordneten und bei vielen CDU-Mitgliedern Unterstützung genieße.

Deshalb wollte Söder nicht gelten lassen, dass sich im CDU-Bundesvorstand eine breite Mehrheit für Laschet ausgesprochen hatte. Söder hatte zwar davon gesprochen, dass er nur dann kandidieren wolle, wenn er auch von der CDU breit unterstützt würde. Aber damit habe er keine „Hinterzimmer“-Entscheidungen gemeint, sondern sich auf die ganze CDU bezogen. Damit stellte er in Frage, dass der von 1001 Delegierten gewählte Bundesvorstand für die Partei sprechen könne.

Gerade bei streitigen Entscheidungen ist wichtig, dass die Regeln vorher klar sind, und dass nicht versucht wird, die Regeln im Verlauf des Verfahrens so hinzuzimmern, dass das Ergebnis passt. „Moving the goalposts“ sagen die Briten dazu. Nicht der Ball muss ins Tor, sondern das Tor wird schnell verschoben, damit der Ball rein geht.

Die Legitimität des Verfahrens ist entscheidend dafür, dass die unterlegene Seite das Ergebnis anschließend mittragen kann. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Entscheidungen demokratisch zu legitimieren. Entweder durch repräsentative Demokratie oder durch direkte Demokratie.

Die Basis der Unionsparteien sind ihre Mitglieder, 415.000 Mitglieder der CDU und 140.000 der CSU. Nur ein gemeinsamer Mitgliederentscheid beider Parteien hätte im Weg der direkten Demokratie gezeigt, wie die Basis tatsächlich denkt.

Die Parteien müssen demokratischen Grundsätzen entsprechen, schreibt das Grundgesetz vor, und das Parteiengesetz normiert Grundprinzipien repräsentativer Demokratie, denen die Parteien folgen müssen. Danach müssen sich letztlich alle Entscheidungen mittelbar oder unmittelbar auf die Mitglieder zurückführen lassen.

Der CDU-Bundesvorstand wird von 1001 Delegierten gewählt, die wiederum von den CDU-Mitgliedern der Kreisverbände gewählt werden. Damit repräsentiert der Bundesvorstand die Partei und ist demokratisch legitimiert, für die Partei zu sprechen und zu entscheiden.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die von Anhängern Söders als Entscheidungsgremium ins Gespräch gebracht wurde, weil sie das einzige gemeinsame Gremium von CDU und CSU sei, ist weder Basis, noch repräsentativ für die Partei (Sie repräsentiert ihre Wähler:innen). Es ist Sache der Parteien, ihre Kandidat:innen für Parlamentwahlen aufzustellen. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Nummer Eins.

Hinzu kommt, dass etwa 25 Prozent der gegenwärtigen Bundestagsfraktion gar nicht mehr dabei sein werden, wenn der nächste Bundestag entscheidet, wer ins Kanzleramt einziehen darf. Denn sie treten zur Wahl im September nicht mehr an. Die durchschnittliche Amtszeit im Bundestag beträgt nur zwei Legislaturperioden.

Auch eine Konferenz aller Kreisvorsitzenden, die als Entscheidungsgremium ins Spiel gebracht wurde, wäre nicht repräsentativ gewesen. Es gibt CDU-Kreisverbände mit mehr als 4000 Mitgliedern. Andere haben weniger als 400.

In einer langen Sitzung hat der CDU-Bundesvorstand mit deutlichem Ergebnis über die beiden Bewerber für die Kanzlerkandidatur entschieden: Für Laschet gab es 31 Stimmen. Für Söder stimmten 9. Enthalten haben sich 6.

Auf Twitter war die Diskussion der eigentlich vertraulichen online-Vorstandssitzung im Liveticker zu verfolgen, weil Journalist:innen im Minutentakt mit sms versorgt wurden. Diese „Durchstechereien“, die es ja auch bei den Ministerpräsidenten-Konferenzen gibt, werden dazu führen, dass man bei Präsenz-Sitzungen in Zukunft wohl öfter die Handys einsammeln wird, um einen offenen und vertraulichen Meinungsaustausch zu garantieren.

In diesem Fall hatte die „Live-Berichterstattung“ eine positive Nebenwirkung: die Öffentlichkeit konnte mitverfolgen, wie die Argumente pro oder contra zu den beiden Kandidaten angesprochen und abgewogen wurden: die Meinungsumfragen, die Stimmung an der Basis, die Qualitäten der beiden Bewerber. Dass es möglich ist, die einzelnen Aspekte dabei unterschiedlich zu gewichten, liegt auf der Hand. Am Ende muss man mit Mehrheit entscheiden.

Der Wahlkampf wird spannend und hoffentlich um die richtigen Zukunftsfragen geführt. Für mich ist besonders wichtig: Wie schaffen wir es, die Pariser Klimaziele einzuhalten und die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, weil sonst weite Teile der Erde unbewohnbar werden und auch der Rest von ständigen Naturkatastrophen heimgesucht wird? Wie kann es gelingen, unsere Industriegesellschaft ohne soziale Verwerfungen nachhaltig und zukunftssicher zu machen? Denn nur, wenn uns das auf demokratischem Weg gelingt, werden andere Staaten auf der Welt dem deutschen Beispiel folgen. Allein bliebe unser Einfluss auf das Klima zu gering. Wie bewältigen wir die wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Folgen der Corona-Krise? Wie nutzen wir die Vorteile der Digitalisierung und bleiben wachsam gegenüber negativen Nebenwirkungen? Wie kommen wir zu mehr Bildungsgerechtigkeit, um die Nachteile der Geburtslotterie auszugleichen? (Ich habe das „Wie“ hervorgehoben, weil es nicht mehr um das „Ob“ gehen kann und deshalb der Weg zu den Zielen die entscheidene politische Frage ist.)

Ob diese und andere Zukunftsfragen im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen, oder ob stattdessen die wöchentlichen Meinungsumfragen für wichtige Politik gehalten werden, die man vor allem anderen kommentieren müsse, hängt auch davon ab, ob Journalist:innen die Politiker:innen danach fragen und nicht locker lassen, ehe sie eine Antwort bekommen. Es ist allerdings viel einfacher, Artikel über Meinungsumfragen oder die Kleidung von Politiker:innen in Talkshows zu schreiben. Meinungsumfragen werden kommentiert wie Fussball-Tabellen. Würden diese so erstellt, wie Meinungsumfragen, bliebe Schalke bei manchen in der Bundesliga.

Zum Schluss ein Blick auf Münster. Auch hier verspricht der Wahlkampf spannend zu werden. Dr. Stefan Nacke (CDU) und Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) dürfen sich Hoffnungen auf das Direktmandat machen. Aber man sollte trotz der schlechten Umfragewerte für die SPD auch Svenja Schulze nicht unterschätzen. Immerhin hat die münstersche SPD mit ihr eine amtierende Bundesumweltministerin ins Rennen geschickt.

Bis die Entscheidung am 26. September getroffen wird, fließt noch viel Wasser die Aa hinunter. Aber der Wettlauf für den nächsten Bundestag ist eröffnet.


Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht in Rums https://www.rums.ms







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