Morgen wird Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in sein Amt eingeführt. Die von Trump angestiftete und angestachelte gewaltsame Erstürmung des Parlaments konnte das nicht verhindern. Seine ungezählten Versuche, die regulären Wahlergebnisse in einzelnen Staaten gerichtlich anzufechten, waren zuvor allesamt gescheitert. Auch sein Druck vor und während der Stimmabgabe, statt ordentlich auszuzählen, das Ergebnis zu seinen Gunsten zu manipulieren, war erfolglos geblieben.

Ab dem 20. Januar ist Trump nicht mehr im Amt. Er wurde abgewählt. Biden hat mit 51,3 Prozent gewonnen. Er hat 7 Millionen Stimmen mehr bekommen als  Trump. Die Wahlleute-Versammlung hat sich mit 306 gegen 232 klar für Biden ausgesprochen. Trotzdem können wir nicht aufatmen.

Wie das Impeachment-Verfahren gegen Trump wegen „Anstiftung zum Aufstand“ ausgeht, ist offen. Im Repräsentantenhaus haben es nur 10 von 211 Republikanern unterstützt, 4 haben nicht mit abgestimmt. 17 republikanische Senator:innen müßten im Senat dafür stimmen, damit die notwendige 2/3 Mehrheit erreicht wird. Danach sieht es eher nicht aus.

Wichtiger als die Frage, wie die Republikaner zu Trump stehen, ist jedoch, dass sie endlich das Wahlergebnis anerkennen und unmissverständlich sagen, dass die erhobenen Fälschungsvorwürfe aus der Luft gegriffen waren und unbegründet sind. Es reicht nicht aus, sich von der Gewalt des Angriffs auf das Capitol zu distanzieren.

Es reicht nicht aus, dass sich die Republikaner von dem Angriff auf das Parlament distanzieren

Sonst hat das für die amerikanische Demokratie schlimme Folgen. So, wie die Dolchstoß-Legende das politische Klima der Weimarer Republik vergiftet hat, droht die Lüge von der „gestohlenen Wahl“ die amerikanische Demokratie zu vergiften. Republikaner, die an dieser Lüge festhalten, untergraben die Legitimität von Präsident Biden.

Die Erklärung von Trump und seiner Familie, nicht zu Bidens Amtseinführung zu kommen, dient auch diesem Ziel und ist nicht nur der Laune eines schlechten Verlierers geschuldet.

Politische Macht wird in einer Demokratie durch Wahlen verliehen. Freie Wahlen sind das Herzstück einer Demokratie. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des festgestellten Ergebnisses führen zum Infarkt.

147 Abgeordnete der Republikaner stimmten auch nach der Besetzung des Kapitols gegen die Feststellung des Wahlergebnisses. Damit bedienten sie Trumps Lügen über Joe Bidens angeblich illegitime Wahl. Über die Hälfte der republikanischen Wähler:innen glaubt nach wie vor, dass die Wahlen „gestohlen“ worden seien. Das sind mehr als 35 Millionen Amerikaner:innen. Es lässt für die Zukunft Schlimmes befürchten.

Einem Präsidenten, der angeblich unrechtmäßig an der Macht ist, schuldet man keinen Gehorsam. Widerstand gegen seine Anordnungen ist legitim. Und in den USA besitzt jede:r Fünfte eine Waffe.

Aber auch wenn es nicht zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt, entsteht großer Schaden im Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen 2024. In einem glänzenden Artikel schreibt der amerikanische Historiker Timothy Snyder:

„Mit der Verteidigung von Trumps großer Lüge am 6. Januar haben sie einen Präzedenzfall geschaffen: Ein republikanischer Präsidentschaftskandidat, der eine Wahl verliert, sollte trotzdem vom Kongress ernannt werden.  Republikaner in der Zukunft ... werden vermutlich einen Plan A haben, um zu gewinnen und zu gewinnen, und einen Plan B, um trotzdem zu gewinnen, auch wenn sie verloren haben. Es ist kein Betrug erforderlich. Nur Vorwürfe, dass es Vorwürfe des Betrugs gibt. Die Wahrheit soll durch ein Schauspiel ersetzt werden, Tatsachen durch Glauben.“

Post-truth is pre-fascism

Trump hat durch systematisches und ständiges Lügen von Anfang an gezielt darauf hingearbeitet, dass Tatsachen durch Glauben ersetzt werden.

„Post-truth is pre-fascism“, schreibt Snyder, „und Trump war unser Präsident nach der Wahrheit.  Wenn wir die Wahrheit aufgeben, geben wir denen mit Reichtum und Charisma die Macht, an ihrer Stelle ein Spektakel zu schaffen.  Ohne Einigung über einige grundlegende Tatsachen können die Bürger keine Zivilgesellschaft bilden, die es ihnen ermöglicht, sich zu verteidigen.“

Was die Methode Trump in den Köpfen vieler Amerikaner:innen angerichtet hat, wird sein Ausscheiden aus dem Amt überdauern. Falls er nicht doch noch durch Parlamentsbeschluss für jedes weitere Amt gesperrt wird, beginnt er am 21. Januar mit einer Kampagne für seine Wiederwahl 2024.

Nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie, die er perfekt beherrscht, werden seine Provokationen die Medien immer wieder beschäftigen. Trump wird alles daran setzen, dass es Präsident Biden nicht gelingt, die tiefen Gräben in der amerikanischen Gesellschaft zuzuschütten und das Land zusammenzuführen.

Der Blick in die USA sollte uns wachsamer machen gegenüber den Gefährdungen, denen sich unsere Demokratie ausgesetzt sieht durch diejenigen, die Tatsachen durch Meinungen ersetzen wollen. Der Vorwurf „Lügenpresse“ zielt genau auf die Institutionen unserer Demokratie, die uns helfen, beides auseinander zu halten.

(Der Text ist die aktualisierte Fassung eines Kommentars, der zuerst bei RUMS /  Neuer Journalismus für Münster erschienen ist)

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