Hamburg - Ein gezielter russischer Angriff auf ein ukrainisches Atomkraftwerk wäre nach Einschätzung des Hamburger Völkerrechtlers Markus Kotzur als Kriegsverbrechen einzustufen. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) lege fest, welche Handlungen Kriegsverbrechen seien, sagte Kotzur dem "Handelsblatt".

"Der Angriff auf ein Atomkraftwerk kann mehrere Tatbestände erfüllen." Dazu zählten etwa die vorsätzliche Verursachung großer Leiden, die Zerstörung von Eigentum, die nicht durch militärische Zwecke gerechtfertigt sei sowie Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Außerdem stelle ein solcher Angriff einen "gravierenden Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht" dar. Atomkraftwerke dürften danach explizit nicht angegriffen werden.

Außerdem greife ein Passus, der den Schutz lebensnotwendiger Objekte betreffe. "Darunter lassen sich auch Objekte zur Energieversorgung subsumieren", erläuterte Kotzur. "Verboten sind nicht nur Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche, sondern auch auf zivile Objekte und alle Formen von Angriffen, die übermäßige Kollateralschäden erwarten ließen." Zurückhaltend äußerte sich der Völkerrechtsexperte zu der Frage, ob und wie sich solche Kriegsverbrechen effektiv ahnden lassen.

Russland sei dem Statut des Strafgerichtshofs nicht beigetreten. Eine Überstellung von Kriegsverbrechern durch den UN-Sicherheitsrat scheitere zudem schon daran, dass Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ein Vetorecht habe, so Kotzur. Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht könnten zwar auch vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gebracht werden, etwa in einem Verfahren der Ukraine gegen Russland. "Russland unter seiner aktuellen Führung würde die Zuständigkeit des IGH aber gewiss nicht akzeptieren."

Foto: Atomkraftwerk (über dts Nachrichtenagentur)

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