Während die Regierungen anderer europäischer Staaten ihrer Bevölkerung entgegenkommen, treiben die ukrainischen Behörden ihre Bürger in die Enge. Gegen die neuen Betriebskosten schwappte eine Empörungswelle über das Land.
Am Anfang einer Präsidentschaft klingen die politischen Märchen immer vielversprechend. Ukrainer haben damit große Erfahrung. Im Januar 2020 versprach der ukrainische Präsident Wladimir Selenski niedrige Energiekosten. Aber anstatt sein Wort zu halten, führt der Ex-Komiker seine Komödie im Parlament fort. Als Geschenk zum neuen Jahr haben die Menschen verdoppelte Preise auf Gas, Wasser und Elektrizität bekommen.
Gegen den „Preisevölkermord“ kam es zu mehreren Protesten in den Großstädten. Obwohl die Ukraine eines der ärmsten Länder der EU ist, sind die Nebenkostenpreise hier am höchsten. In progressiven und entwickelten Staaten basiert die Preisegestaltung auf dem internationalen Marktprinzip. Kiew spielt aber nach eigenen Regeln. Auf zahlreichen Gipfeln behauptete die ukrainische Regierung mehrmals ihre europäische Integrationsrichtung. Selenski und Co sollten nicht außer Acht lassen, dass es sich nicht nur um die Preise geht, sondern dass auch die Arbeitslöhne ein großes Problem sind. Mit den aktuellen Einkommen ist es unmöglich für die Ukrainer, wirtschaftlich durchkommen zu können.
Im Vergleich zu Österreich
Die österreichischen Energiekosten verschlingen fast die Hälfte der Einkommen der Menschen, was sowieso nicht wenig ist. Die Ukrainer müssen wiederum 100 % ihres Gehalts für Strom und Gas ausgeben können. Um die strittige Situation besser zu verstehen, lohnt es sich, ein wenig tiefer in die Welt der Arithmetik zu tauchen. Für ihre Pensionisten entschied sich Kiew für 52,3 Euro pro Monat. Der Mindestlohn in der Ukraine umfasst 176,5 Euro. Die Inflationsrate steigt immer wieder. Nach der Erhöhung der Nebenkostentarife um 16-19% ist, zum Beispiel, bezahlt eine 3-Person-Familie allein fürs Wasser ungefähr 50,5 Euro pro Monat. Das gilt auch für Heizung. Unter solchen Bedingungen wollen Ukrainer auch das Essen kaufen können. Aber wie?! Nach den letzten Novellen scheint es für die Ukrainer sogar kaum vorstellbar, sich sogar mit den Bedarfsgütern zu versorgen.
„Naftogas“ ist im Spiel
Die Preiserhöhung sei ein Instrument zur Wiederauffüllung des Staatshaushalts, schätzten die Protestierten. Dies macht Sinn, wenn man sich die Ziffern näher anschaut. Der Großteil des Etats ergibt das Öl- und Erdgasunternehmen „Naftogas“. Dieses Jahr ist es nur 16%, das heißt 1 Milliarde Euro weniger ist als im Jahr 2019. Der Nettoverlust der Naftogaz-Gruppe belief sich im Jahr 2020 auf 515 Millionen Euro. Folglich versuchen die Behörden auf Kosten der neuen Tarife, die fehlenden Mittel auszugleichen.
Die wirtschaftliche Lage lässt zu wünschen übrig. Deswegen versuchen Politiker schmerzlos (vor allem für sich selbst), die Corona-Krise zu überwinden. Die negativen Konsequenzen der politischen Entscheidungen spiegeln sich in der Gesellschaft wider. Der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmigal stellte fest: Die Proteste seien nicht nur infolge der erhöhten Tarife entstanden, sondern Teil politischer Manipulation.
Unabhängig von den politischen Präferenzen der Bürger waren die Proteste massenhaft. Die Auflehnungen bezogen sich auf Anhänger aller politischen Parteien. Wenn man sich tiefer die Situation anschaut, könnte man einen positiven Moment sehen - die früher existierende Spaltung der Gesellschaft wurde zur Konsolidierung und Mobilisierung. Die Opposition nutzt diesen Zeitpunkt, um für sich Punkte zu sammeln. Für Yuriy Boyko (Kopf der „Oppositionelle Plattform – For Life“) und den Ex-Präsidenten Petro Poroschenko ist die Tarifkrise zum Instrument des Einflusses auf die herrschende Elite geworden.
Unter Covid-Bedinungen kommen alle versteckten Probleme an die Oberfläche
Die Krise kommt nie rechtzeitig. Die Regierungen unterschiedlicher Länder reagieren darauf in ihrer eigenen Art und Weise. Durch die Handlungen der Behörden sieht man, wie stark die Bevölkerung von ihren Politikern respektiert wird.
Die noch vor kurzem vertrauenswürdige ukrainische Regierung erfüllt aber nicht mehr so stark wie früher die Hoffnung der Gesellschaft: Die finanzielle Staatshilfe sinkt immer wieder; die Steuer und Strafen bleiben trotz der Corona-Pandemie aber gleich, manchmal sogar höher. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind geschlossen, obwohl die großen Vertriebsnetze ihren Gewinn weiter maximieren. Es gibt noch weitere sich widersprechende Lockdown-Bedingungen: Während die nötigsten Güter, nämlich Haushaltschemikalien, Glühbirnen, Müllsäcke, Unterhosen und Socken usw., verboten sind, scheint es kein Problem, z.B. Alkohol zu kaufen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die größten Warennetzwerke den Oligarchen gehören, die ihre Protektion im Parlament haben. Also die Krise wird teilweise durch die gewinnorientierten Gründe der Oligarchen künstlich vertieft.
Während die Leute einen Ausweg aus der Situation suchen, sucht Herr Selenskiy neue Skipisten
Viele „kleine“ Unternehmer, die mit ihren Geschäften 55% BIP des Landes schaffen, verlieren rasant ihre Geldquelle. Deswegen fürchten sich viele Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer vor ihren zukünftigen Pensionseinkommen. Die Rente in der Ukraine hängt davon ab, wie viel und wie lange eine Person an die Pensionskasse zahlt. Dementsprechend sind die Menschen beunruhigt, überhaupt kein Pensionsgeld in der nahen Zukunft zu bekommen.
Die Behörden können endlos verlangen, dass kleine Unternehmen beispielsweise Kaffeehäuser schließen und allen Ukrainern verbieten, Unterwäsche in Supermärkten zu kaufen. Aber was jetzt in den Skigebieten der Ukraine passiert, diskreditiert die Idee der Quarantäne völlig. Ein Foto von Zelenski aus Bukowel (ein Urlaubsskigebiet) reicht jedoch aus, um das Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Institutionen zu zerstören. Das Zelenskis Doppelspiel könnte das ohnehin wackelige Ansehen der Ukraine in den Augen der Weltgemeinschaft untergraben. Im Endeffekt wird die Ukraine das schwelende Vertrauen der Weltspieler verlieren. Das könnte die lange erwartete IWF-Tranche abbremsen.
Aus Angst vor der nächsten Revolution werden die Preise sinken, aber nicht wirklich
Die Tarife um 100% zu erhöhen, um dann um 30% zu verringern ist eine typische Marketingstrategie. Die ist aber schnell nachverfolgbar. Die Regierung versprach: ab 1 Februar werden die Betriebskostenpreise um 30% geringer. Solche Novelle wird bis zum Ende der Heizperiode fixiert. Wie werden die Menschen damit weiter umgehen können? Wird der Lockdown noch weitere Herausforderungen mitbringen? Fängt die ukrainische Regierung endlich im ernst an, an ihre Bürger zu denken? Die Fragen werden erst dann beantwortet, wenn der Schnee schmilzt.
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