Berlin - Der frühere Außenminister Joschka Fischer hat den Rückzug des Westens aus Afghanistan scharf kritisiert. "Durch den Abzug quasi über Nacht ist dort ein Vakuum entstanden, das gewaltige Risiken in sich birgt", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" (Samstagausgabe).
"Diese Region wird uns nicht ruhen lassen, ganz und gar nicht." Fischer befürchtet, dass auch die Art und Weise noch gravierende Folgen haben wird. "Dieses Überstürzte, fast an eine Kapitulation erinnernde, nicht auf Verhandlungen gründende Abziehen wird die NATO und die NATO noch lange beschäftigen", so Fischer. Nach dem Desaster in Afghanistan warnte er vor einem Zerfall der NATO. "Die NATO ist nicht unkaputtbar", sagte Fischer. Das habe schon die schwierige Zeit unter dem früheren US-Präsidenten Donald Trump gezeigt. Nach den beschämenden Ereignissen in Afghanistan sei die Gefahr eines tiefgreifenden Zerwürfnisses trotz eines besseren Verhältnisses zu Trumps Nachfolger Joe Biden weitergewachsen. Aus diesem Grund "werden wir viel mehr in unsere Sicherheit stecken müssen", forderte der Ex-Minister. "Das wird sehr viel teurer als die zwei Prozent, über die der innenpolitische Streit bislang ging", sagte Fischer.
"Da soll man sich keine Illusionen machen." Der Grünen-Politiker war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und gehörte damit zum Zeitpunkt der Anschläge vom 11. September 2001 zum engsten Machtzirkel unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Rückblick übte Fischer scharfe Kritik an den USA. Diese hätten sich allein um den Kampf gegen die Taliban und Al-Qaida gekümmert und danach ihre Anstrengungen auf den Irak verlagert.
"Das war einer der ganz großen Fehler, dass der Aufmerksamkeitsfokus wegging von Afghanistan", kritisiert Fischer. Zumal ausgerechnet das oberste Ziel jetzt wieder gefährdet sei. "Entscheidend war immer, dass Afghanistan nicht wieder zu einem Rückzugsraum für Terroristen wird. Und ausgerechnet diese Frage kann heute keiner beantworten. Wenn es so kommt, hat die US-Regierung ein riesiges Problem."
Der ehemalige Bundesminister unterstützte Forderungen der Oppositionsparteien im Bundestag, die Abläufe insbesondere in den letzten Monaten gründlich zu untersuchen. "Es ist beschämend, was da abgelaufen ist", sagte Fischer. "Ich rate dazu, das nicht ad acta zu legen. Und dazu, mit offenen Augen in die Zukunft zu blicken."
Foto: Joschka Fischer (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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