Berlin - Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine rechnet der Migrationsexperte Gerald Knaus mit großen Fluchtbewegungen in die Europäische Union. "Man muss jetzt davon ausgehen, dass es zu Fluchtbewegungen kommen wird, zumindest für Kinder und Frauen", sagte er der "Rheinischen Post" (Freitagausgabe).

Der bisherige Krieg in der Ostukraine der zurückliegenden acht Jahre habe vor allem zur Flucht innerhalb des Landes geführt. "Allerdings waren diese Kämpfe lokal begrenzt. Heute muss man befürchten, dass viele Menschen aus der Ukraine flüchten könnten", sagte der Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI). Er appellierte dringend an die Europäische Union, der Ukraine nicht in den Rücken zu fallen.

"Es wäre ein Dolchstoß für die Ukraine, jetzt die bestehende Visafreiheit in Frage zu stellen. Die Visafreiheit für Ukrainer muss unter allen Umständen aufrechterhalten bleiben." Der Migrationsexperte rechnet dabei mit einer anderen Art der Flucht als in den letzten Jahren, da die Ukrainer mit ihren Pässen überall in die EU legal einreisen könnten. "Man muss sich in der gesamten EU darauf vorbereiten, eine größere Zahl von Ukrainern zumindest temporär aufzunehmen. Diese Art der Kriegsführung ist das Schlimmstmögliche aller Szenarien, über die man in den letzten Monaten nachgedacht hat", so Knaus.

Konkrete Zahlen nannte der ESI-Leiter dabei nicht. "Wir wissen nicht, wie sich dieser Angriffskrieg Russlands weiterentwickeln wird. Wir wissen nicht, wie schnell und wohin sich die russischen Truppen bewegen werden und was in den Städten in der Ukraine passieren wird."

Konkret zog der ESI-Leiter den Aufbau von temporären Flüchtlingslagern in EU-Staaten in Betracht, um schnell eine humanitäre Versorgung schutzsuchender Menschen gewährleisten zu können. "Wenn in den nächsten Monaten tatsächlich Hundertausende Menschen aus der Ukraine fliehen sollten, muss die EU in der Lage sein, diese Menschen unterzubringen. Das ist auch ein weiterer Testfall für die europäische Solidarität", sagte der Migrationsexperte. Es sei "undenkbar", solche Lager nur in den Nachbarländern der Ukraine - in Polen, der Slowakei, Ungarn oder Rumänien - zu errichten.

Möglichst viele europäische Länder sollten sich demnach aufnahmebereit zeigen. Knaus nahm auch Kanada oder die USA in den Blick, die im Fall von großen Flüchtlingszahlen bei der Aufnahme unterstützen könnten. "Das muss sofort vorbereitet werden", so Knaus weiter.

Foto: Europaflagge (über dts Nachrichtenagentur)

Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?

Dann unterstütze dts Nachrichtenagentur jetzt direkt: