Konstanz - Daniel Thym, Professor für Asylrecht in Konstanz, beurteilt die Zurückweisungen an der polnischen Grenze zu Weißrussland als Verstoß gegen EU-Recht. In den EU-Asylrichtlinien stehe, "dass jeder an einer Grenze einen Asylantrag stellen darf, der anschließend geprüft werden muss", sagte Thym der "Welt" (Donnerstagsausgabe).
Falls der Antrag abgelehnt werde, seien "demnach auch Abschiebungen nach Belarus oder den Herkunftsstaat möglich, aber nicht ohne vorherige Prüfung". Polen hätte dann das Problem, dass Weißrussland sich wohl schlicht weigerte, die Abgelehnten zurückzunehmen. Dann müsste Polen versuchen, in die Herkunftsstaaten abzuschieben, was "notorisch schwierig" sei. Laut Thym zeigt sich darin das "politische Dilemma" der EU-Asylpolitik: "Wenn man sich an die eigenen Gesetze hält, schafft es beispielsweise der belarussische Diktator, zu entscheiden, wie viele Menschen in die Europäische Union einreisen."
Selbst wenn die EU sich einigen sollte, während einer "hybriden Bedrohung", Menschen ohne Asylverfahren zurückzuweisen, stellt sich laut Thym "die Frage, ob es mit den Menschenrechten und der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar" sei. "Und hier haben die internationalen Gerichtshöfe eine so großzügige Auslegung an den Tag gelegt, dass es sehr schwer werden würde, Zurückweisungen menschenrechtlich zu rechtfertigen", sagte Thym. "Das heißt: Der europäische Gesetzgeber hat unter Umständen gar nicht mehr die Souveränität, das zu entscheiden, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte es danach für rechtswidrig erklären könnte. Das sind sozusagen Ketten, die sich die europäischen Staaten in Form der Menschenrechte selbst angelegt haben", sagte der Asylrechtsprofessor der "Welt".
Foto: Polizei in Polen (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
Dann unterstütze dts Nachrichtenagentur jetzt direkt: