Wiesbaden - Das Bundeskriminalamt (BKA) hat mehrere hundert Hinweise auf Kriegsverbrechen von Soldaten der russischen Armee in der Ukraine. "Bisher haben wir eine dreistellige Zahl von Hinweisen erhalten", sagte BKA-Präsident Holger Münch der "Welt am Sonntag".
Ermittelt werde nicht nur zu Tätern von Kriegsverbrechen, sondern auch zu den dafür militärisch und politisch Verantwortlichen. "Das ist der schwierigste Teil unserer Ermittlungen, eine komplexe Puzzlearbeit. Unser klares Ziel ist es, die für Gräueltaten Verantwortlichen zu identifizieren, ihre Taten durch unsere Ermittlungen nachzuweisen und sie vor ein Gericht zu stellen", so Münch. Das BKA gehe allen Spuren nach, suche Hinweisgeber und sammele Beweise.
"Damit bereiten wir uns auf mögliche Anklagen gegen Personen, die mutmaßlich Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Ukraine tragen, in Deutschland vor", begründete Münch. Nach dem Weltrechtsprinzip können Kriegsverbrecher auch in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Münch hofft auf entsprechende Prozesse. "Das ist unser Ziel, auch wenn es lange dauern kann. Wir stehen was die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine betrifft erst ganz am Anfang", sagte der BKA-Präsident.
Der Generalbundesanwalt, in dessen Auftrag das BKA ermittelnd tätig sei, führe derzeit ein Strukturermittlungsverfahren, aber noch keine Verfahren gegen einzelne Verdächtige. "Aber am Ende wollen wir natürlich Täter zur Rechenschaft ziehen", so Münch. Dafür nutzt das BKA unter anderem Material von Geheimdiensten wie vom Bundesnachrichtendienst.
Dieser hatte zum Beispiel Funksprüche russischer Soldaten mitgeschnitten, in denen freimütig über Gräueltaten an der Zivilbevölkerung berichtet wird. Dazu sagte Münch: "Wir bekommen von unseren Partnerdienststellen alle Informationen, die für eventuelle Strafverfahren relevant sind." Er denke darüber nach, Ermittler in die Ukraine zu schicken. "Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass das BKA auch vor Ort tätig wird. Dafür wäre aber zunächst ein internationales Mandat erforderlich, zudem müsste die Sicherheit unserer Mitarbeitenden gewährleistet sein", sagte Münch.
Bisher sei das BKA aber lediglich um technische Unterstützung gebeten worden und sei diesem Wunsch nachgekommen. Auf die Frage der "Welt am Sonntag", ob es eine Weisung des Bundesinnenministeriums gegeben habe, sich im Unterschied zu anderen westeuropäischen Ländern vorerst nicht mit Polizeikräften in der Ukraine zu engagieren, antwortete Münch: "Nein, das ist unsere eigene fachliche Bewertung. Einsätze müssen einen konkreten Nutzen haben."
Als es etwa nach den Balkankriegen möglich gewesen sei, habe das BKA auch mit internationalen Partnern Gräueltaten vor Ort dokumentiert und ausgewertet und so zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechern beigetragen. Das BKA ist zudem Oligarchen auf der Spur. Dabei gibt es erste Ermittlungserfolge gegen die Gefolgsleute von Putin. "Neben reinen Geldmitteln auf Konten, für deren Einfrieren die Banken zuständig sind, wurden auch Sachwerte eingefroren. Konkret haben wir beispielsweise die Yachten `Dilbar` und `Luna`, die wir verschiedenen Oligarchen zuschreiben, eingefroren, die allein einen geschätzten Wert von knapp einer Milliarde Euro haben", sagte Münch.
Das BKA arbeite in einer Task Force mit, in der mehrere Behörden vertreten seien. Dort könne man viel einbringen, weil es mit diversen Finanzdatenleaks und Daten aus Ermittlungsverfahren im Bereich der russischen Organisierten Kriminalität über einen "Informationsschatz" verfüge. Dabei handelt es sich um geleakte Daten aus Steueroasen. "Sie zeigen, wie kriminelle Strukturen es über Briefkastenfirmen schaffen, beispielsweise inkriminierte Gelder zu waschen, Steuern zu hinterziehen und Sanktionen zu umgehen", sagte Münch der "Welt am Sonntag". Diese Datensätze werte das BKA nun auch im Hinblick auf Personen aus Russland aus, die auf Sanktionslisten stünden.
Foto: Bundeskriminalamt (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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