Berlin - Der ehemalige Außeminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisiert Europas Rolle im Ukraine-Konflikt als "beschämend" und fordert eine offene Diskussion über deutsche Waffenexporte nach Kiew. "Die Wahrheit ist, man kann sich bei Rüstungslieferungen immer schuldig machen - durch Handeln und durch Nichthandeln", sagte er der "Bild am Sonntag".
Was man bei der Ukraine jetzt brauche, sei "eine Diskussion ohne Tabus und Denkverbote in der Öffentlichkeit und im Bundestag", so Gabriel. Er verwies darauf, dass Deutschland schon einmal Waffen in eine Konfliktgebiet geliefert habe, als es um den den Völkermord an den Jesiden ging. Vom Handeln Europas und Deutschlands im Ukraine-Konflikt zeigte sich Gabriel, der Vorsitzender der deutsch-amerikanischen Atlantik-Brücke ist, tief enttäuscht: "Derzeit überlassen wir die Preisschilder für Krieg in Europa den Amerikanern. Ich finde das beschämend." Paris und Berlin müssten jetzt ihre Führungsrolle wahrnehmen. Nach Möglichkeit immer in Partnerschaft mit den USA, aber notfalls auch allein. "Dafür aber müssen wir zeigen, dass uns der Frieden etwas wert ist. Jeder, der den Frieden in Europa bricht, muss wissen, dass er dafür einen hohen Preis zu zahlen hat", so Gabriel. Die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 muss laut Gabriel bei einem Einmarsch Russlands in die Ukraine gestoppt werden: "Militärische Angriffe Russlands auf die Ukraine wären der Todesstoß für Nord Stream 2." Gabriel verteidigte aber, dass sich Deutschland bislang nicht von dem Projekt verabschiedet habe: "Wenn man mit Russland verhandeln will, dann muss man möglichst viel auf dem Tisch liegen lassen und möglichst wenig vorher schon beerdigen." Kritik übte Gabriel auch an der Uneinigkeit Europas im Ukraine-Konflikt: "Wir sind uneinig in der Beurteilung der Situation in der Ukraine, haben Angst um unsere Wirtschaftsinteressen und sind froh, dass andere für uns die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen. Wir Europäer müssen lernen, unsere Interessen selbst in die Hand zu nehmen." Die Europäer müssten zugeben, dass sie keine wirklich entscheidende Rolle bei der Lösung der Kriegsgefahr spielten. "Wieder einmal sind wir auf die USA angewiesen. Aus Russlands Sicht spielt Europa keine Rolle, denn 1945, 1989 und 1997 hat die Sowjetunion und später Russland immer mit den USA über das Schicksal Europas verhandelt", so Gabriel. So solle es aus russischer Sicht bleiben.
Gabriel weiter: "Wir Europäer tun alles, um das zu bestätigen, weil wir uneinig und ängstlich sind. Das ist für uns Europäer ein Armutszeugnis." Zur Befriedung des Konflikts schlägt er ein robustes UN-Mandat vor: "Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass seit Jahren die militärischen Konflikte in der Ost-Ukraine nicht aufgehört haben, an denen Russland beteiligt ist. Was dort nötig wäre, ist eine internationale UN-Friedensmission, die den Waffenstillstand, den Abzug schwerer Waffen und die Beendigung jeder Gewalt dort robust durchsetzt - notfalls auch mit Waffen."
Die Ampel-Regierung rief der Ex-SPD-Chef auf, mit einer Stimme im Ukraine-Konflikt zu sprechen: "Deutschland darf keine Zweideutigkeiten zulassen. Ich bin sicher, dass die Bundesregierung das weiß."
Foto: Sigmar Gabriel (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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