Berlin - Unter deutschen Wirtschaftswissenschaftlern stößt der Staatseinstieg beim größten deutschen Reiseveranstalter TUI auf ein geteiltes Echo. Das Urteil reicht von "vertretbar" bis "Fehler", ergab eine Umfrage der "Welt" (Donnerstagausgabe).
Für "vertretbar" hält Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die erneute Hilfen für TUI. "Das Geschäftsmodell von TUI ist zukunftsfähig", sagte der Professor, der an dem Mannheimer Institut den Forschungsbereich Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft leitet. "Der Tourismus wird sich viel rascher erholen als etwa das Geschäft mit Geschäftsreisen, wenn erst die Durchimpfung der Bevölkerung in Gang gekommen ist", so Heinemann. "Ein Erholungsurlaub lässt sich anders als ein Business-Trip nicht durch eine Videokonferenz ersetzen." Insofern werde das Geschäftsfeld von TUI aus heutiger Sicht nicht dem "Post-Corona-Strukturwandel" zum Opfer fallen.
"Somit macht es aus staatlicher Perspektive Sinn, das Unternehmen durch die Durststrecke zu bringen." Niklas Potrafke, Leiter des Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie am Ifo-Institut in München, hält den Staatseinstieg zwar nicht prinzipiell für falsch, er warnt jedoch vor den möglichen Folgen. "Die Coronakrise führt zugegebenermaßen zu einem schmerzhaften Strukturwandel", sagte der Wirtschaftsprofessor. "Aber die vorgesehene Staatsbeteiligung bei der TUI darf nicht dazu führen, diesen dennoch notwendigen Strukturwandel zu behindern." Ähnlich argumentiert Veronika Grimm, Professorin aus Erlangen und Mitglied im Sachverständigenrat.
"Die Tourismusbranche ist durch die Pandemie besonders hart getroffen. Mit der Verfügbarkeit von Impfungen wird sich die Situation perspektivisch verbessern, daher kann es zielführend sein, funktionierende Unternehmensstrukturen zu erhalten." Allerdings warnt Grimm vor der "Möglichkeit, dass sich die Geschäftsmodelle und die Ertragslage in der Tourismusbranche aufgrund von bleibenden Verhaltensänderungen der Menschen dauerhaft ändern". Die Beteiligungen und Hilfen dürften notwendige Reaktionen auf einen solchen Strukturwandel nicht verhindern.
Zudem könne es "ohne klare Regeln kann es politisch schwierig werden, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg zu finden". Demgegenüber spricht Jan Schnellenbach von einem "Fehler" bei der Beteiligung. "Zwar kann man begründen, dass der Staat in dieser besonderen Krise die Existenz betroffener Unternehmen wie TUI absichern soll, aber dies sollte nicht über einen Staatseinstieg geschehen", sagte der Professor von der TU Cottbus. "Das Beispiel der Commerzbank zeigt, dass der Ausstieg aus solchen Abenteuern oft viel zu weit hinausgeschoben wird."
Zudem, so Schnellenbach, tun sich Zielkonflikte auf: "Wir erwarten vom Staat, dass er bei der Regulierung von Märkten als Schiedsrichter agiert, aber das kann er nicht glaubwürdig unparteiisch tun, wenn er gleichzeitig Eigentümer ist." Daher ziehe auch das Argument nicht, dass der Staat Eigentümer werden soll, weil er mit dem Verkauf der Anteile nach der Krise ein gutes Geschäft für den Steuerzahler machen könnte: "Darum geht es nicht. Der Staat ist kein Anlagefonds, sondern er gefährdet die Wahrnehmung seiner ordnungspolitischen Kernaufgaben, wenn er Anteile an privaten Unternehmen erwirbt."
Foto: Tui (über dts Nachrichtenagentur)Dir gefällt, was dts Nachrichtenagentur schreibt?
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